GBW-Verkauf:"Was mit den Mietern ist, das ist ihm doch wurscht"

Laut dem neuen Mietspiegel sind die Mieten in München wieder gestiegen. Aber bildet er die Verhältnisse richtig ab?

Nach der Modernisierung sollen die Mieten um bis zu 120 Prozent steigen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Ein Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag soll derzeit klären, ob die Staatsregierung wirklich keine andere Wahl hatte, als die Wohnungen der staatlichen GBW zu privatisieren.
  • Die Mieter der GBW sind enttäuscht - auch, weil jetzt teure Sanierungen anstehen, die vielen überflüssig scheinen.

Von Anna Hoben

Zwei hellgelbe Wohnblöcke an der Lothstraße, Maxvorstadt, vier Eingänge, 60 Wohnungen, Garagenzeile. Ein halbes Leben haben viele Bewohner hier verbracht, manche noch mehr, Erstbezug: 1960. Doch zurzeit kann man zusehen, wie die Häuser sich leeren, nach und nach. Die Vermieterin, die GBW-Gruppe, modernisiert, vor Kurzem ist es losgegangen, "die Wohnungen werden den heutigen Wünschen der Mieter und Wohnungssuchenden angepasst", schrieb die GBW in einer Pressemitteilung.

Im obersten Stockwerk sitzt Paul Eckert in seinem Sessel und atmet tief durch. Eckert, ein großer Mann mit verschmitztem Lächeln, ist 95 Jahre alt, er hört nicht mehr besonders gut, steigt aber jeden Tag die vier Stockwerke hinab und wieder hinauf, einmal, um die Post zu holen, einmal, um einkaufen zu gehen. Er verreist sogar noch regelmäßig. Doch dass er in seinem Leben noch mal umziehen muss, hätte er nicht gedacht. "Die Situation belastet mich sehr." Am meisten zu schaffen macht ihm die Vorstellung von monatelangem Lärm und Dreck. Wer durch Eckerts Wohnung geht, bleibt immer wieder stehen und staunt: über seine Sammlung von Engelsfiguren und Mini-Eisenbahnwaggons, die Puppen auf dem Sofa, die Uhren, die Ecke mit Kreuz und Gebetsbuch, die Bilder an der Wand, viele hat er selbst gemalt.

GBW-Verkauf: Vor 58 Jahren zog Paul Eckert in seine Wohnung; die jetzige Situation belastet den 95-Jährigen.

Vor 58 Jahren zog Paul Eckert in seine Wohnung; die jetzige Situation belastet den 95-Jährigen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Über die Jahre ist die Wohnung ein Museum seines Lebens geworden. Dieses Museum muss nun schließen. Voraussichtlich Ende des Jahres wird Eckert ins gegenüberliegende Haus ziehen, die neue Wohnung im ersten Stock wird den gleichen Schnitt haben wie die alte. Nach Möglichkeit soll sie am Ende auch genau gleich eingerichtet sein, wünscht sich Eckert - bei seinem Museum werden die Umzugsleute gut zu tun haben. Die Bauarbeiten finden zeitversetzt in zwei Phasen bis Ende 2019 statt, erst der eine Wohnblock, dann der andere. Manche Mieter ziehen zweimal um, erst in eine Ersatzwohnung, dann zurück in ihr altes, modernisiertes Zuhause.

Die Geschichte der GBW-Mieter an der Lothstraße beginnt wie viele Geschichten in München. "Ankündigung einer Modernisierungsmaßnahme" steht als Betreff auf dem Schreiben, das die Mieter Anfang April erhalten haben. Es ist ein Maßnahmenkatalog in der Länge einer Bachelorarbeit. Auf 32 Seiten erläutert die GBW, was alles getan wird, von der Sanierung der Fassade, Balkone, Fenster und Rollläden über den Einbau eines Aufzugs bis hin zu Außenanlagen und Garagen. Das Dach wird aufgestockt, sieben neue Wohnungen sollen entstehen. "Wir beabsichtigen, Ihre Wohnanlage attraktiver zu gestalten", so beginnt das Schreiben; es endet mit der voraussichtlichen künftigen Monatsmiete.

Die Bewohner finden eigentlich, dass ihre Wohnanlage attraktiv genug ist. Zwar seien lange viele Dinge vernachlässigt worden, hört man. Probleme mit den Leitungen zum Beispiel. Koche man sich einen Kaffee, während die Waschmaschine läuft, haue es schon mal die Sicherung raus. Aber sonst - alles in Ordnung, sagen die Mieter. Vor einigen Jahren wurden die Fenster ausgetauscht. Warum nun in den Wohnzimmern etwa die Fensterbrüstung um 50 Zentimeter nach unten versetzt werden soll, das kann im Haus niemand verstehen.

Knapp 20 Euro Quadratmeterpreis

Die energetische Modernisierung werde "die Heizkosten für die Mieter spürbar senken", verspricht die GBW. Die Vorauszahlung soll sinken, um 4,90 Euro pro Monat; gleichzeitig aber soll die Kaltmiete um bis zu 120 Prozent steigen. Paul Eckert hat bisher für seine 70-Quadratmeter-Wohnung 728 Euro warm bezahlt. Nach der Modernisierung sollen es 1359 Euro sein, knapp 20 Euro pro Quadratmeter. Das ist völlig legal und deshalb möglich, weil der Vermieter bislang noch elf Prozent der Kosten einer Modernisierung auf die Mieter umlegen darf, jedes Jahr, auch dann, wenn sich die Kosten längst amortisiert haben.

Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) will die Umlage nun auf acht Prozent senken und, wichtiger, auf drei Euro pro Quadratmeter in sechs Jahren beschränken. Ob es sich in der Lothstraße bei allen Maßnahmen, die die GBW umlegen will, überhaupt um Modernisierung handelt und nicht teils schlicht um Instandhaltung, die der Vermieter bezahlen muss, prüft derzeit der Mieterverein.

Eckert ist kein armer Rentner, er bezieht eine gute Pension. Trotzdem würde die Mieterhöhung für ihn bedeuten, dass er 56 Prozent seines verfügbaren Einkommens, nach Abzug aller Fixkosten, für die Miete ausgibt. Bisher waren es 30 Prozent. Und so wie ihm geht es vielen Mietern an der Lothstraße. Der Mieterverein verhandelt deshalb mit der GBW über jeden Einzelfall und pocht in vielen Fällen auf eine sogenannte wirtschaftliche Härte. Die liegt vor, wenn man mehr als 40 Prozent des Einkommens für die Miete ausgibt.

Die Wohnanlage an der Lothstraße ist nicht irgendeine GBW-Anlage. Viele Mieter sind hochbetagt; als sie einzogen, waren sie - oder ihre Ehepartner - Beschäftigte bei der Bayerischen Landesbank. Die hieß damals noch Gemeindebank, sie hatte das Belegungsrecht für die Wohnungen der GBW, die damals noch der Bank gehörte. Ihre Arbeitgeberin war also zugleich ihre Vermieterin. Paul Eckert, der zum Ende seiner Laufbahn die Hypothekenstelle leitete, war einst mit seiner Mutter in die Wohnung gezogen, später lebte er dort allein. "Schlimm ist, dass Söder die Wohnungen verkauft hat", sagt er. "Was mit den Mietern ist, das ist ihm doch wurscht."

Die GBW will die Wohnungen verkaufen

Die Geschichte ist bekannt: Im Jahr 2013 verkaufte die Bayerische Landesbank den Staatsbetrieb GBW mit seinen etwa 30 000 bezahlbaren Wohnungen an ein Konsortium von 27 Investoren unter der Führung der Augsburger Patrizia Immobilien AG. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag soll derzeit klären, ob die Staatsregierung wirklich keine andere Wahl hatte, wie Markus Söder (CSU) behauptet, damals als Finanzminister für den Verkauf verantwortlich. Der Prozess sei undurchsichtig abgelaufen und habe immensen Schaden angerichtet, kritisiert die Opposition, an diesem Freitag muss sich Söder vor dem Ausschuss erklären. Viele Bewohner hätten seit dem Verkauf enorme Mieterhöhungen hinnehmen müssen, "weil der Investor rausholt, was geht", sagt Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München. "Der GBW-Verkauf war der größte wohnungspolitische Fehler in Bayern."

Die GBW betont stets, ihr Wohnungsbestand solle wachsen. Die Wohnungen an der Lothstraße will sie nach der Modernisierung allerdings verkaufen. "Mittelfristig", wie sie mitteilt. Die jetzigen Mieter könnten die Wohnungen "zu Vorzugskonditionen erwerben" und hätten ein Vorkaufsrecht. Wie diese Vorzugskonditionen aussehen sollen, verrät die GBW nicht. Auch nicht, welche Geldsumme sie an der Lothstraße investiert. Fakt ist, dass ein Verkauf von 60 Wohnungen in dieser sehr guten Lage ein Vielfaches einbringen wird.

GBW-Verkauf: Ludwig und Barbara Münzer wohnen seit 40 Jahren im Haus.

Ludwig und Barbara Münzer wohnen seit 40 Jahren im Haus.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Juni standen im Hof an der Lothstraße plötzlich zwei große Container. Darin könnten die Mieter Möbel und Sperrmüll aus ihren Wohnungen und Kellern entsorgen, schrieb die GBW. Manche Bewohner hatten eher den Eindruck, dass man am liebsten sie entsorgen würde. Vordergründig sei der Umgang fürsorglich gewesen. "Aber man hat schon gespürt, sie wollen einen loswerden", sagt ein Bewohner. "Wir modernisieren niemanden aus seiner Wohnung hinaus", schreibt die GBW. Doch für manchen im Haus klingt dieser Satz zynisch. Frei werdende Wohnungen ließ die Eigentümerin über die Jahre leer stehen. In den vergangenen Wochen kamen noch mehr hinzu, einige Mieter sind ausgezogen. "Sie haben die Flucht ergriffen", so drückt es einer aus. Als die Bauarbeiten vor einigen Tagen begannen, stand jede zweite Wohnung leer.

Der Mieterin Maria S., knapp 90 Jahre alt und schlecht zu Fuß, seit sie sich die Hüfte gebrochen hat, bot die GBW für die Dauer der Bauarbeiten eine Ersatzwohnung im vierten Stock an - ein Aufzug wäre da noch nicht eingebaut gewesen. Vor ein paar Wochen ist sie nun in ein Heim gezogen. Sie hat ihr Klavier verkauft, ihr Auto. Auch sie hat den Schlüssel umgedreht in dem Leben, dessen Mittelpunkt viele Jahrzehnte lang die Wohnung an der Lothstraße war. Die GBW habe den Umzug bezahlt. "Die letzten Jahre meines Lebens hab' ich mir anders vorgestellt", sagt S. Eine weitere Mieterin, 91, erlitt kurz nach einer Zusammenkunft beim Mieterverein einen Schlaganfall. An dem Abend sei ihr erstmals bewusst geworden, was die Situation bedeute, sagt ihre Tochter. Der Stress, der Umzug, die Baustelle. "Alten Leuten anzudrohen, dass sie zweimal umziehen müssen, das ist schon heftig."

Den Vorwurf, alte Mieter zu vergraulen, weist die GBW von sich. "Dass wir ältere Mieter vorsätzlich in ein Pflegeheim drängen, entspricht nicht der Wahrheit, vielmehr kam der Impuls hierzu von den jeweiligen Mietern selbst. Wir haben sie bei der Suche sowie dem bürokratischen Aufwand unterstützt." Man habe mit allen Mietparteien "intensive Einzelgespräche" geführt, in denen die persönliche Lebenssituation der Bewohner erörtert worden sei, "um bestmöglich auf ihre Bedürfnisse und Ansprüche einzugehen".

Der Investor ist der langjährige Vermieter

Oft tun sich Mieter zusammen, wenn ein Investor ihr Haus kauft und modernisieren will, und kämpfen für ihre Interessen. An der Lothstraße ist der Investor der langjährige Vermieter, das Unternehmen, dessen Kürzel einst für "Gemeinnützige Bayerische Wohnungsbaugesellschaft" stand. Man gewinnt an der Lothstraße nicht den Eindruck, als schweißte die Situation die Bewohner zusammen. Jeder sieht zu, wie er am besten durch die Sache kommt. Die Unterhaltungen, erzählt Ludwig Münzer, drehten sich nur noch um ein Thema: Wer zieht aus, wer bleibt? Seine Frau und er wohnen seit 40 Jahren in der Anlage, 1000 Euro warm bezahlen sie, nach der Modernisierung sollen es ungefähr 1700 Euro sein. Eigentlich wollen sie nicht aus dem Viertel weg, aber vielleicht müssen sie es irgendwann. Doch für eine bezahlbare Wohnung, sagt Münzer, müsse man "in die Prärie" ziehen. Er meint: dahin, wo keine S-Bahn mehr fährt. Man hört sein Achselzucken fast durchs Telefon. "Aufregen nützt doch nichts."

Und dann ist da noch der Mieter S. Auch er genoss Kündigungsschutz und lebenslanges Wohnrecht, wie es in der sogenannten GBW-Sozialcharta vereinbart ist. "Aber was bringt das schon", sagt er. 240 Mark kalt zahlte er, als er im Jahr 1978 mit seiner Frau in die Wohnung zog. "Klar sind die froh, wenn wir raus sind", sagt S., 74 Jahre. Anfangs tat er sich schwer, dann freundete er sich an mit der Idee eines Umzugs. So schön sei es in der Maxvorstadt nun auch nicht. "Früher war's schöner."

Vor Kurzem ist das Ehepaar rausgezogen nach Geretsried, in die Nähe der Familie ihres Sohnes, in ein Haus mit Betreutem Wohnen. Dort gebe es einen roten Knopf, schwärmt S., den müsse man nur drücken, wenn man Hilfe brauche, sofort sei jemand zur Stelle. S. findet, es ist ein guter Deal. Die neue Miete hätten sie sich ohnehin nicht leisten können. S. hat nicht das Gefühl, um sein Recht auf bezahlbaren Wohnraum betrogen worden zu sein. Er ist ein langjähriger Mieter, wie ihn sich ein Investor nur wünschen kann. Einer, der nun weg ist aus München.

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