Bundesverfassungsericht:Wann Meinungen gefährlich werden

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  • Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gescheitert.
  • Das Bundesverfassungsgericht bestätigte das Urteil des Amtsgerichts Verden, das die 89-Jährige wegen Volksverhetzung verurteilt hatte.
  • In einem anderen Fall hoben die Richter ein Urteil wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus auf.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Manchmal ist es nur braunes Geraune, manchmal gefährliche Hetze: Der richtige Umgang mit Reden und Texten von Rechtsextremisten fällt der Justiz nicht immer leicht. Nun hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Beschlüssen klargestellt, wo die gerade noch erlaubte Provokation aufhört und die strafbare Volksverhetzung beginnt.

Die Grenze verläuft, wenn man so will, zwischen Gesinnung und Gefahr. Im ersten Fall geht es um die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck, 89, die - mehrmals wegen Volksverhetzung verurteilt - jüngst in Haft genommen worden war. In zahlreichen Schriften hatte sie darauf beharrt, aus den Standort- und Kommandanturbefehlen von Auschwitz-Birkenau ergebe sich, dass die Häftlinge für die Rüstungsindustrie arbeitsfähig gehalten werden sollten. Das Amtsgericht Verden hatte sie 2016 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Karlsruhe hat dieses Urteil nun bestätigt - ein klarer Fall von Volksverhetzung, weil damit die historisch belegte Massentötung in Auschwitz geleugnet worden sei. Dies trägt aus Sicht einer Kammer des Ersten Senats schon per se ein hetzerisches Element in sich, denn es könnte bei Rechtsradikalen Aggressionen gegen Andersdenkende auslösen. "Sie trägt damit unmittelbar die Gefahr in sich, die politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche umkippen zu lassen."

Wie schwierig diese Grenzziehung ist, zeigt der zweite Fall. Das "Netzradio Germania" hatte 2012 die Audiodatei eines Redners veröffentlicht, der von der "Lügenpropaganda der alliierten Siegermächte" fabulierte. Der Autor wollte erkennbar den Massenmord der Nazis relativieren, er sprach von der "schon vor zehn Jahren nachgewiesenen Vier-Millionen-Lüge von Auschwitz" und von "angeblichen Zeugen", die gelogen hätten, "wenn sie wohlfeil behaupteten, es wären auf deutschem Boden, ob in Dachau, Buchenwald oder Bergen-Belsen Häftlinge vergast worden".

Das Landgericht Paderborn verurteilte den Radiobetreiber zu einer Geldstrafe - zwar nicht wegen einer flagranten Holocaustleugnung, wohl aber wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus. Das Verfassungsgericht hob dieses Urteil nun auf. Seine Begründung läuft darauf hinaus, dass auch eine abstoßende Beschönigung der Naziherrschaft noch zulässig sein kann, solange damit nicht der "öffentliche Frieden" gestört wird. Eine bloße "Vergiftung des geistigen Klimas" rechtfertige noch kein Verbot, ebenso wenig "der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte". Anders verhält es sich mit Appellen zum Rechtsbruch oder aggressiver Emotionalisierung: Wenn Meinungsäußerungen die "rein geistige Sphäre" verließen und "erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen", erst dann schlägt laut Verfassungsgericht die Stunde des Strafrechts.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Rechtsextremismus
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