Obstbäume:Birnen sind nichts für Weicheier

Obstbäume: Reiche Ernte: Die schiere Menge an Birnen, die im Laufe der vergangenen Wochen über ihren Küchentisch gewandert sind, hat unsere Autorin manchmal verzweifeln lassen.

Reiche Ernte: Die schiere Menge an Birnen, die im Laufe der vergangenen Wochen über ihren Küchentisch gewandert sind, hat unsere Autorin manchmal verzweifeln lassen.

(Foto: Claudia Tieschky)

Unsere Autorin hatte plötzlich einen Garten mit einem Birnbaum - und keinerlei Ahnung. Nach einem Wahnsinnsobstjahr mit 160 Kilo Ernte ist ihr klar: Die Arbeit macht einen völlig fertig, aber es lohnt sich.

Von Claudia Tieschky

Die Sache ist: Ich liebe Birnen. Sonst wäre alles anders gekommen. Als ich den Baum im vorigen Spätsommer zum ersten Mal begutachtete, war das eine ziemlich traurige Sache. Er steht in einem Garten, der meiner Familie gehört und umständehalber ohne Pflege war, um diesen Garten musste sich jemand kümmern. Sollte ich? Der Birnbaum hatte fast keine Früchte, die wenigen, die es gab, waren winzig und schrumpelten schon am Ast, auf den Blättern zeigten sich rot-gelbe Flecken, die irgendwann auf der Unterseite einen glitschigen Schlodderknorpel bildeten. Und ich? Wusste nichts über Obstbäume.

Die Aussicht auf Birnen war trotzdem verlockend. Birnen bekommt man nie so, wie sie sein sollen. Was im normalen Lebensmittelhandel geboten wird, wechselt von steinhart grün durch wochenlanges Rumliegenlassen höchstens zu schrumpelig halbgelb, man kann daraus etwas Nettes schnitzen, aber essen sollte man es nicht. Auf Wochenmärkten gibt es manchmal richtige Birnen, saftig, aber nicht musig, knackig, aber nicht hart, mit diesem flüchtigen fruchtigen Aroma, das nach der trägen, pappigen Stille eines Sommernachmittags schmeckt. Man könnte sagen, die Birne schmeckt wie der Moment, in dem Langeweile zur Erleuchtung wird.

Deshalb sagte ich Ja. Obwohl es jedes Mal eine kleine Regionalzugreise dorthin ist. Und so war ich plötzlich unfassbar zeitgemäß, weil überall Leute aus der Stadt sich Schrebergärten zulegen, Datschen, Wochenendhäuser und überhaupt raus aufs Dorf wollen. Ich will das nicht. Ich bin gern mitten in der Stadt und möchte da bleiben. Aber der Birnbaum, der war nun mal da draußen. Alt, knorrig und mit eigenen Regeln, von denen ich rein gar nichts ahnte. Der Baum wusste schon, wie mein Sommer laufen würde. Ich noch nicht.

Der Baum wusste schon, wie mein Sommer laufen würde. Ich noch nicht

Zeitgemäß und richtig sinnvoll ist natürlich auch die Hinwendung zum regionalen Lebensmittel - wer will schon die Ökobilanz einer Zwiebel aus Südamerika verantworten? Der höhere Zweck des Gärtnerns ist für verfressene Menschen allerdings reine Gier - es geht um Essen, das frischer und besser schmeckt, weshalb man feiner kochen und mehr genießen kann. Gut, wer schon beim Bestellen einer Ökokiste zuckt, weil gegessen werden muss, was kommt, der könnte womöglich überfordert sein, wenn das Zeug im Garten schlagartig reif ist, so viel war mir vage klar.

Heute kann ich sagen: Birnen sind nichts für Weicheier. Wer ein wenig Eskapismus sucht, kann ja Landlust-Magazine lesen, Holzpilze schnitzen und Pulswärmer stricken. Ein Garten dagegen verlangt, sich besinnungslos reinzustürzen. Es macht einen total fertig, aber es lohnt sich. Höre ich mich an wie ein Fitnesstrainer, bevor es sehr, sehr fies wird?

Es war ja an sich nicht viel zu erwarten. Der Baum war alt, von nicht überlieferter Sorte - und er war ganz offensichtlich von etwas befallen, das nicht gut sein konnte. Ich googelte, als noch Schnee lag. Mein Baum (jetzt war es ja schon fast meiner) hatte Birnengitterrost. Der wird von Wachholdergewächsen übertragen, die im Umkreis von 500 Metern stehen. Unwahrscheinlich, dass ich die Besitzer mit freundlichen Worten davon überzeugen könnte, ihr Wacholderzeug für mich zu killen. Bleibt also spritzen - und da entscheide ich mich statt für das Hammergift (die meisten Webseiten über Pflanzenkrankheiten scheinen von Spritzmittel-Herstellern zu stammen) für kieselsäurehaltiges Schachtelhalmextrakt, das den Baum stärken soll. Ich spritzte ab Mai die braune Brühe auf den Baum. Ich gebe zu, ich habe manchmal mit ihm geredet. Aber mehr habe ich nicht gemacht.

Was macht man mit 250 kg Birnen?

Unklar ist der Autorin bis heute, um welche Birnensorte es sich handelt.

(Foto: Claudia Tieschky)

Im April war der Baum von Bienen und Hummeln umsummt. Im Mai dachte ich, hui, da hängen ganz schön viele kleine Birnen. Mitte Juni fange ich an, mir ernsthaft Gedanken zu machen, wie die Ernte zu bewältigen sein könnte. Es wird ein Wahnsinnsobstjahr. Hektisch suchte ich nach Rezepten mit Birne und versuche vorsichtig, den Mann zu Hause auf eine Beschäftigung als Erntehelfer einzustimmen.

Von Mitte Juli an hatten die Birnen Birnengröße. Verdammt, wann musste ich ernten? Sommerbirnen sind von Juli an reif, lese ich; andere Sorten erst im Spätherbst. Aber in diesem heißen Sommer ist sowieso alles früher reif. Die Früchte an meinem Baum sind, wie viele Sorten, grün und unten rundlich; es gelingt nicht, mit Abbildungen die Sorte zu bestimmen. Williams Christ? Madame Favre? Klar ist bald: Sind die Früchte außen gelb, ist es zu spät zum Pflücken, dann sind sie innen Matsch. Und kein Mensch, der bei Trost ist, wartet, bis Birnen von selber runterfallen. Sie sind dann überreif und vom Aufprall angeschlagen. Doch irgendwann Anfang August habe ich es raus. Es ist nicht genau zu erklären, aber eine richtig reife Birne liegt mit einem entscheidenden Mehr an Schwere in der Hand, wenn man sie leicht hebt. Ich hatte es verstanden, ich konnte das Gewicht deuten. Die Birnen, die ich pflücke, sind fest und saftig. Für drei Tage bin ich stolz.

Dann ist das plötzlich alles nicht mehr wichtig. Gewitter ist angesagt, kommt aber nicht, dafür kommt Wind. Ein großer Ast, übervoll von Birnen, bricht zur Hälfte ab. Keine Zeit für Hölderlin-Lyrik, die Hälfte ist eindeutig überschritten, reif oder halb reif, Land, See, völlig egal, der Baum braucht Entlastung, runter mit dem Zeug und Dachlatten als Stützen. Drei Kisten Birnen sind voll, aber man hat nicht das Gefühl, dass am Baum schon sichtbar weniger hängen.

Ich frage mich: Wann habe ich die Birnen über? Gar nicht. Dazu schmecken sie viel zu gut

Gelagert werden die Birnen am kühlsten Ort im Keller, auf Holzbrettern und Zeitungspapier, aber in diesem Jahr ist auch der Keller bacherlwarm. Lange werden sie nicht halten. Auf jeden Fall kann man sie essen. Vier Stück pro Tag ungefähr. Die Umgebung wird auch gut versorgt. Birnendiät, sage ich, und frage mich, wann ich sie überhaben werde. Es wird aber überhaupt nicht langweilig, es schmeckt viel zu toll. Süß, fest und saftig. Es sind genau die Birnen, die man nie bekommt. Es ist himmlisch und ein bisschen irre. Ich schleppe sie überall hin mit. Auch im Büro grinsen bald aus jeder Ecke Birnen.

Ich fotografiere den Küchentisch mit Birnen drauf, jede ragt in eine andere Richtung, als ob sie torkeln. Der Mann zu Hause findet, sie sehen aus wie eine Deppenarmee. Er ist immer noch bemüht, in die Sache nicht zu sehr reingezogen zu werden. Er liest mir jetzt vor. Ein Rezept für Rotweinbirnen. Wir machen probeweise zwei große Gläser voll. Das ist leicht. Man kocht halbierte Birnen mit Gewürzen in Rotwein und füllt sie möglichst kochend in sterilisierte Gläser. Zuschrauben, zehn Minuten auf den Deckel stellen, beim Umdrehen macht es plopp, der Deckel wölbt sich nach unten.

Jedes Mal, wenn ich nach ein paar Tagen in den Birnenkeller komme, sind die Dinger etwas gelber und weicher. Von jetzt an wird die Sache obsessiv. Ein deutliches Gefühl von Verantwortung für das Obst macht sich breit, aber auch die Frage, was man wirklich später essen will. Neulich im Schrank bei den Fahrradschläuchen wiedergefunden: ein Glas mit der Aufschrift "Aprikose-Paprika-Vanille 2015".

Alles Einkochen hilft nichts, wir kommen mit dem Reifeprozess im Keller einfach nicht mit

An zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden landet ein Teil der Birnen geschält und halbiert in der Kühltruhe. Weitere werden zu Kompott gekocht, dafür sollte man lieber noch festere Früchte nehmen, damit sie beim Kochen nicht zerfallen. Ich entscheide mich für Sternanis, Vanille und abgeriebene Orangenschale als Gewürz. Wieder stelle ich fest, dass die Birnen beim Kochen kleiner werden, oder auch nur weicher, jedenfalls passen viel mehr davon in die Gläser als gedacht, und man braucht viel mehr Sud (oder Wein), als man glaubt. Das Kompott wird fast kochend bis zum Rand in abgekochte Gläser gefüllt, die verschlossen noch mal in einem großen Topf mit Wasser simmern, damit alles bis in den Winter hält. Der Mann zu Hause will aber nicht warten, sondern lieber sofort Birne Helene. Damit meint er die Variante aus den 60er-Jahren, in der eine vorsichtig mit einem halben Löffel Rum pochierte halbe Birne im Glas mit Vanillepudding übergossen wird. Das ist nicht gerade die verfeinerte Küche, sondern Kinderessen, schmeckt aber super, vor allem, wenn man die Schokolade dazu zwischen die warmen Birnen und den Pudding packt. Sahne darf auch noch drauf.

Geht es nicht auch salzig, frage ich mich, als die Nachmittagshitze durch die runtergelassenen Rollläden in dieses Schlachtfeld namens Küche sickert und dringend ein Essiggurkenglas aufgebrochen werden muss. Ich schmelze eine Menge Zwiebeln in Butter an, gebe Salz und klein geschnittene Birnen dazu und eine ordentliche Portion von dem Majoran, der draußen im Garten vor sich hinwächst, lasse es lange köcheln, gieße Flüssigkeit nach und bin am Ende sehr angetan. Das kann man zu Fleisch essen, zu gebackenen Kartoffeln, oder einfach so löffeln. Ein großer Topf davon wird gemacht und in kleinen Portionen eingefroren.

Trotzdem, es hilft nichts, wir kommen mit dem Reifeprozess der Torkelbirnen im Keller nicht mit. Also fahren wir weit raus, über die Dörfer, zu einem Bauernhof, auf dem eine Obstpresse steht, dazu ein Hofladen und eine Holunderplantage. Es sieht aus wie der Traum eines Stadtmenschen von ländlicher Idylle, aber es ist kein Traum, es ist die Lösung.

Was macht man mit 250 kg Birnen?

Nun aber ist alles Obst zu Saft verarbeitet oder eingeweckt.

(Foto: Claudia Tieschky)

Oder fast. Wegen eines Anfalls von dummem Geiz liegen nur zwei Kisten Birnen im Auto. (Man könnte ja vielleicht doch noch einige essen statt saften.) Es werden 24 Liter. Die meisten Leute bringen ihre Äpfel her. Zwei Jungen packen gehäckselte Obststücke in eine Presse, sie sind von oben bis unten voll mit Apfelstückchen, hinten kommt der bereits erhitzte und haltbare Saft raus und wird in Plastikbeuteln, die einen Ausguss haben, luftdicht verpackt. Mit den Birnen geht das auch so, nur brauchen sie eine andere Presse und werden deshalb nicht erhitzt. Wir müssen das zu Hause tun, damit der Saft haltbar wird und bekommen eine fürsorgliche Anweisung sowie weitere Plastikbeutel mit, in die wir den erhitzten Saft einfüllen sollen. Daraus könnte man auch Gelee machen. Irgendwann mal. Vielleicht.

Heute jedenfalls nicht mehr. Es ist spät nachts, wir hängen mit glühenden Gesichtern über dampfendem Birnensaft. Als der letzte Saftbeutel gefüllt ist, wischen wir die Küche und trinken ein hopfiges Bier auf der Terrasse. Wir sehen verwildert aus, erschöpft, aber hey - der Baum ist praktisch leer. Er steht da hinten im Garten im Dunkeln. Es kommt mir vor, als würde er leicht schnarchen. Es waren 160 Kilo Birnen. Er wird das nächste Jahr durchschlafen. Vielleicht pflanze ich dann Tomaten an.

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