Wissenschaftspolitik:Wenn Forschung nicht zum Patienten gelangt

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Es gelingt nicht immer, Forschungsergebnisse zügig zum Wohle von Menschen einzusetzen. (Foto: Florian Peljak)
  • Der deutschen Wissenschaft wird seit langem dieses Problem bescheinigt: Die Grundlagenforschung ist top; aber Patienten profitieren nur wenig davon.
  • Spezielle Zentren für Gesundheitsforschung sollen den Missstand beheben.
  • Ihr Erfolg ist bislang nicht sehr groß.

Von Kathrin Zinkant

Es kommt nicht gerade häufig vor, dass sich die deutsche Wissenschaft einer selbstkritischen Analyse unterzieht. Doch als das Wissenschaftsjournal Nature kürzlich über eine umfangreiche Selbstevaluation der Helmholtz-Gemeinschaft berichtete, immerhin eine der bedeutendsten Forschungsorganisationen des Landes, kam es wieder einmal zu jener zwiespältigen Diagnose, die wie ein Fluch auf der deutschen Wissenschaft zu liegen scheint. In der Grundlagenforschung sind hiesige Forscher wie immer top. Wenn es aber darum geht, medizinisch relevante Erkenntnisse zum Patienten zu bringen, tut sich die deutsche Wissenschaft schwer.

Dabei ist es keineswegs so, dass das Problem ein unerkanntes wäre. Erst am vergangenen Donnerstag hat Bundesforschungsministerin Anja Karliczek angekündigt, zwei neue Deutsche Zentren für Gesundheitsforschung zu gründen. Sie sollen für Kinder- und Jugendgesundheit sowie im Kampf gegen psychische Erkrankungen tun, woran es offenkundig hapert: Die Top-Forschung zügig "from bench to bedside", also von der Laborbank ans Klinikbett bringen.

Einrichtungen aus Grundlagen-, experimenteller und klinischer Forschung sollen sich zusammentun, um aussichtsreiche Kandidaten für neue Medikamente oder andere Interventionen zu entwickeln und die Früchte dieses Netzwerkens gemeinsam mit Pharmaunternehmen auf den Markt zu bringen, also allen Patienten zur Verfügung zu stellen. In einem Wort: Es geht um die sogenannte Translation, also um die Übersetzung von der Theorie in die Praxis. Im Gesundheitsbereich spricht man von "translationaler Medizin".

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Was erst einmal plausibel klingt, denn selbst die großzügigsten Steuerzahler wollen etwas von dem ernten, was mit öffentlichem Geld im Medizinbereich gesät wurde. Zugleich aber muss man die Frage stellen, ob die Sache denn so einfach ist. Immerhin gibt es bereits sechs Deutsche Zentren für Gesundheitsforschung. Bereits 2009 gründete das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter der damaligen Leitung von Annette Schavan das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und kurz darauf das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD).

Bis 2012 entstanden vier weitere Zentren, die sich den Themen Krebs, Lungenerkrankungen, Infektionen und Herz-Kreislaufforschung widmen. Zudem versuchen sich andere geförderte Einrichtungen wie das seit 2015 aktive Berliner Institut für Gesundheitsforschung an der politisch gewollten Translation. Ein paar Erfahrungen wurden also schon gesammelt.

Taucht man in die Realität beteiligter Wissenschaftler ein, offenbaren sich jedoch unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Translationale Medizin in Deutschland funktioniert. Das liegt zum Einen daran, dass der Begriff "Translation" verschieden gedeutet wird. Zum anderen hängt es wohl auch von den Themenfeldern ab, ob ein Translations-Effekt erkennbar wird. Der Stoffwechsel-Experte Norbert Stefan von der Universität in Tübingen etwa, der seit bald zehn Jahren innerhalb des auf acht Standorte verteilten Zentrums für Diabetesforschung (DZD) arbeitet, beschreibt vor allem Vorteile für die Forschung selbst. "Junge Ärzte, die sich für Forschung interessieren, hatten früher wenig Anreize, um sich an einer Universität um wissenschaftliche Projekte zu bemühen", sagt Stefan.

Die Vernetzung mit anderen Universitäten eröffne hier neue Möglichkeiten, auch interessante Fragestellungen zu verfolgen. Dazu komme die internationale Anerkennung für das Zentrum, die größer sei als für die beteiligten Institute allein. Der Translationseffekt wird für den Diabetologen aber immer dann besonder spürbar, wenn er Patienten sieht. "Wenn ich heute auf einen Menschen treffe, der mit einer komplexen Stoffwechselstörung zu mir kommt, habe ich mehr Möglichkeiten, ihm zu helfen", sagt Stefan. Der Arzt kann die Betreffenden über das Zentrum in laufende Studien bringen oder sie auf der Grundlage von neuen Erkenntnissen aus dem Zentrum behandeln. Eine Translation in den Markt hinein hält der Harvard-Gastprofessor nicht für entscheidend. "Wir wollen Ansätze entwickeln, die für die Patienten effektiv sind", sagt Stefan. Der ökonomische Faktor interessiert den Forscher eher weniger.

Auch andere Zentren wie das DZNE sind derzeit zwar mit Patienten, aber weniger mit der Wertschöpfung auf dem Markt befasst. Was daran liegen mag, dass gegen Alzheimer und Demenz noch keine aussichtsreichen Ansätze für Therapien gefunden wurden. Zugleich geht es aber um die alltägliche Versorgung von Menschen mit solchen Erkrankungen. "Wenn zehn Einrichtungen innerhalb des Zentrums an einem Thema arbeiten, können wir aus den Wissensbeständen der anderen Bereiche schöpfen", sagt Martina Roes von der Universität Witten/Herdecke. Roes ist Sprecherin des Zentrums in Witten und für Methodik und Implementierung, also Einführung in Klinik und Lebensrealität, verantwortlich. Es geht darum, den Alltag der Patienten zu verbessern - wobei auch Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung helfen, wie die Soziologin erklärt. Tatsächlich hat das DZNE im Bereich der Versorgungsforschung bereits Erfolge erzielt.

Doch wenn es um Medikamente und neue Therapien geht, klappt es mit der Translation noch nicht so, wie es der Plan des BMBF vorsieht. Und dafür gibt es nach Ansicht von Christian Drosten Gründe. Drosten hat den Erreger der Sars-Epidemie 2003 entdeckt und war 2012 daran beteiligt, den Auslöser des Mers-Ausbruchs zu identifizieren. Er ist zudem erfahren in der translationalen Forschung. Der Virologe arbeitet seit sechs Jahren als Mitglied im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Im vergangenen Jahr wechselte er von Bonn an die Charité - auf eine Professur des Berlin Institut für Gesundheitsforschung, das ebenfalls translational arbeitet.

Von der Idee, Forschung von Grund auf an der Anwendung zu orientieren, hält er jedoch wenig. "Grundlagenforschung stochert im Nebel - und ob sich hinter diesem Nebel ein Raum verbirgt oder nur eine Wand, das lässt sich nicht vorab bestellen. Das wissen wir nicht", sagt Drosten. Etwas Relevantes zu finden sei oft Zufall, das dürfe man nicht versuchen zu steuern.

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Sollte sich jedoch das Potenzial für ein Medikament oder eine Therapie ergeben, existiere in der deutschen Forschung eine Translationslücke - nämlich in der Übersetzung auf den Markt. "Hier ist Steuerung von außen notwendig", sagt der Virusforscher. Oft fehlten professionelle Kenntnisse über die Aussichten, eine Behandlung in der realen Konkurrenz zu etablieren.

"Wenn man diese Entscheidung Wissenschaftlern überlässt, die schon viele Jahre an Projekten arbeiten, fängt es schnell an zu menscheln." Der Virusforscher wünscht sich deshalb speziell ausgebildete Experten auf Seiten der fördernden Institutionen, die harte, aber fundierte Entscheidungen über einzelne Ansätze treffen. So, wie es auch in anderen Institutionen passiert, zum Beispiel in der Bill & Melinda Gates Foundation, die weltweit Gesundheitsforschung fördert.

In den Plänen des Bundesforschungsministeriums sind solche Steuerungsgremien bislang nicht vorgesehen. Laut einem Gutachten des Wissenschaftsrats sollen sich die Zentren vor allem untereinander stärker vernetzen. Nach wie vor steuern sich die Mediziner und Naturwissenschaftler innerhalb der Zentren aber selbst. Was für die ohnehin hervorragende Grundlagenforschung in Deutschland sicherlich von Vorteil ist. In der Praxis aber kommt auf diese Weise wohl weiter zu wenig an.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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