Frankreich:Die berüchtigteste Giftmörderin des Ancien Régime

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Wegen Mordes aus Habgier wurde die Marquise zu Wasserfolter und Tod durch Enthauptung verurteilt. (Foto: mauritius images)

Die Marquise de Brinvilliers ermordete im 17. Jahrhundert ihren Vater und ihre Brüder. Der Fall inspirierte zahlreiche Schriftsteller und gibt bis heute Rätsel auf.

Von Florian Welle

Die Enthauptung am Abend des 16. Juli 1676 zog Menschenmassen auf die Place de Grève in Paris. Schließlich war die Verurteilte nicht irgendwer: Es handelte sich um die Marquise de Brinvilliers, die wohl berüchtigteste Giftmörderin des Ancien Régime. Das Urteil des höchsten Gerichts Frankreichs lautete: Mord. An ihrem Vater und ihren beiden Brüdern sowie versuchter Mord an ihrer Schwester.

Die Auswirkungen des Prozesses waren enorm: Seitdem gibt es im Französischen die Redewendung "donner un morceau à la Brinvilliers", die so viel bedeutet wie: "jemanden vergiften". Und auch politisch waren die Folgen weitreichend: Auf die Taten der Marquise folgte 1677 die sogenannte Giftaffäre, in der zahlreiche Morde im französischen Adel aufgedeckt wurden. Sogar die langjährige Mätresse des Sonnenkönigs soll darin verwickelt gewesen sein.

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Der Fall der Marquise de Brinvilliers hat seither zahlreiche Schriftsteller inspiriert. E.T.A. Hoffmann etwa verewigte sie in seiner Kriminovelle "Das Fräulein von Scuderi", in der er Paris als "Schauplatz der verruchtesten Gräueltaten" beschreibt. "Die Brinvilliers war ein entartetes Weib", heißt es dort.

Wie viele andere Schriftsteller vor und nach ihm bezog Hoffmann seine Informationen vor allem aus dem Pitaval, einer nach ihrem Verfasser François Gayot de Pitaval benannten Sammlung von unerhörten Kriminalfällen. In ihrer neuartigen Mischung aus Gerichtsakten und Erzählpassagen trug sie maßgeblich zur Entstehung der Kriminalliteratur bei.

Dieser Band also zeichnet die Brinvilliers als eine Frau mit "freundlichem Gesicht, in dem sich Anmut und Regelmäßigkeit der Züge und dem Ausdruck einer ganz reinen, leidenschaftslosen Seele vereinigte". Auf die schiefe Bahn geraten sei sie hauptsächlich wegen ihres Geliebten, des Hauptmanns Godin de Sainte-Croix: "Er war jeder Schandtat fähig." Dieser teuflische Kerl sei "der Verführer" der Marquise gewesen, die dann bald "aus wollüstigem Hang" zu seinem "gelehrigen Schüler" geworden sei.

Das Bild der charakterschwachen Marquise, die 1630 als Marie-Madeleine d'Aubray als erstes Kind reicher Eltern geboren wurde, hielt sich hartnäckig. Noch im Sammelband "Berühmte Strafprozesse" von Maximilian Jacta aus den 1960er-Jahren liest man Sätze wie: "Binnen kurzem gelang es Sainte-Croix, aus ihr eine sachkundige, kaltblütig überlegende, skrupellose, zu allem entschlossene Giftmischerin zu machen." Erst in ihrer Biografie aus dem Jahr 1997 wird die Autorin Brigitte Luciani diesem Bild widersprechen. Sie zeichnet die Mörderin zum ersten Mal als eigenmächtig handelnde Frau - nicht nur Verführte, sondern vor allem Verführerin. Sie lebte demnach mit dem Hauptmann Antoine Gobelin in offener Ehe, bekam Kinder von verschiedenen Männern und schreckte, glaubt man der schriftlich niedergelegten Beichte, selbst vor Pädophilie nicht zurück. Außerdem sei sie spielsüchtig gewesen. Das Hauptmotiv für die Morde an ihrer wohlhabenden Familie (ihr Vater war ein hoher Beamter in Paris) ist denn auch Habgier. Die Morde plant und begeht sie zusammen mit Sainte-Croix; ihr Ehemann spielt so gut wie keine Rolle.

Wer sich flüchtig mit dem Fall beschäftigt, könnte die Faktenlage für hinlänglich bekannt halten. Ein zweiter Blick indes offenbart eine wilde Mischung aus Gerüchten und Unwahrheiten. Das beginnt damit, dass Sainte-Croix angeblich ein Jahr lang in der Bastille schmoren musste, nachdem der Vater der Marquise König Ludwig XIV. bat, den missliebigen Galan einzusperren, um den ausschweifenden Lebenswandel seiner Tochter zu stoppen. In Wahrheit aber wurde Sainte-Croix insgesamt nur eineinhalb Monate festgehalten und flüchtete anschließend sofort wieder in die Arme der Marquise.

War es Arsenik? Oder doch Quecksilberchlorid, Vitriol oder sogar Krötenfett?

Im Gefängnis soll er auch die Bekanntschaft mit einem Italiener namens Exili gemacht und von diesem alles über das Giftmischen gelernt haben. Dabei gibt es keine Beweise dafür, dass Exili über dieses Wissen verfügte. Viel wahrscheinlicher ist, dass Sainte-Croix sein Know-how erst nach der Entlassung beim Hofapotheker erwarb. Die Marquise, dem finanziellen Ruin immer näher, sah in der neuen Beschäftigung ihres Liebhabers dann einen willkommenen Ausweg aus ihrer Lage.

Dass sie das Gift erst an Tieren, Krankenhauspatienten und ihrer Kammerzofe testete, ehe sie 1666 ihren Vater qualvoll tötete - sie flößte ihm das Gift über acht Monate heimlich ein - steht im Pitaval zu lesen. Ob es sich dabei aber um die Wahrheit oder um Legenden handelt, ist nicht mehr zu sagen. Auch über die Zusammensetzung des Giftes wird bis heute spekuliert. War es Arsenik? Oder doch Quecksilberchlorid, Vitriol oder sogar Krötenfett?

Nach dem Tod des Vaters erhielt die Marquise ein Teil des Erbes. Es reichte vier Jahre. Dann brachte sie, diesmal mit Unterstützung eines Handlangers, ihre Brüder um. Vermutlich wären die Morde nie aufgeflogen, wäre Sainte-Croix nicht 1672 gestorben. Angeblich hatte er sich aus Versehen selbst vergiftet. Beim Betreten der Wohnung fand man Liebesbriefe und eine Giftschatulle, woraufhin sich die Marquise absetzte. Erst vier Jahre später wurde sie in einem Kloster in Lüttich festgenommen - und endete schließlich auf der Place de Grève.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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