Digitales Deutsches Frauenarchiv:Ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung

Bild zum "Digitalen Frauenarchiv"

Kämpferinnen gegen das "Gretchen und Hausfrauenideal" und für das Frauenstimmrecht (v.r.n.l.): Minna Cauer, Lily von Gizycki, Marie Stritt und Anita Augspurg um 1896.

(Foto: FrauenMediaTurm/Atelier Elvira München)
  • Die Geschichte der Frauenbewegung ist erstmals digital gebündelt.
  • Im Digitalen Deutschen Frauenarchiv finden sich historische Dokumente, skurrile Fundstücke und aktuelle Essays.
  • Die Emanzipationsbewegung ist nicht nur ein Stück Zeitgeschichte, sondern auch ein Kampf um die Sichtbarkeit in einer männlich dominierten Gesellschaft.

Von Anna Steinbauer

Deutschlands Frauen träumen lieber selig zu Füßen Goethes und Schillers, anstatt zu arbeiten und für ihre eigenen Rechte zu kämpfen. Diesen unbarmherzigen Vorwurf richtete die Publizistin Minna Cauer 1893 an ihre Geschlechtsgenossinnen, die sich ihrer Meinung ganz anders als die amerikanischen Frauen verhielten: "So pflegen Deutschlands Frauen ihr Gretchen- und Hausfrauenideal fast bis zur Vernichtung des eigenen Ichs. Dieses Ideal glauben sie durch die Verherrlichung und Anbetung des Mannes und nur durch den Mann erreichen zu können." Sie selbst orientierte sich eher an Antigone oder Iphigenie und gilt heute als eine zentrale Figur in der deutschen Emanzipationsgeschichte.

Mit ihrer Zeitschrift Die Frauenbewegung mischte sich Cauer in die Debatte um die Gleichberechtigung im Kaiserreich ein und kämpfte als Anführerin des linken Flügels für die Einführung des Frauenwahlrechts 1918. Jahrelang lagen ihre Schriften in den Archiven. Nun ist es möglich, digital in Cauers Tagebüchern zu blättern. Diese und andere Zeugnisse deutscher Emanzipationsgeschichte sind seit Mitte September über das "Digitale Deutsche Frauenarchiv" (DDF) öffentlich zugänglich.

Neben historischen Fundstücken publiziert das Team aktuelle Essays und Berichte

Zum 100. Jubiläum des Frauenwahlrechts ist es dem zwölfköpfigen Team von i.d.a., einem Dachverband, der sich der Archivierung deutschsprachiger historischer Dokumente von Frauen widmet, gelungen, in einem gemeinsamen Portal sämtliches Wissen zur Geschichte der deutschen Frauenbewegungen zu bündeln. Insgesamt 30 Frauenarchive, -bibliotheken und Dokumentationsstellen aus ganz Deutschland stellten für das DDF ausgewählte digitalisierte Dokumente und weiterführende Informationen aus ihren Beständen zur Verfügung. So machen Bücher und Zeitschriften, teils unveröffentlichte Briefe, Fotos oder Tonaufnahmen und andere Hinterlassenschaften von feministischen Wegbereiterinnen die vielfältigen Perspektiven weiblicher Erinnerung erfahrbar.

Auf der Plattform kann man zum Beispiel in der Zeitschrift Frauenliebe blättern, die das lesbische Leben im Berlin der Zwanzigerjahre dokumentiert, Bilder der "Wunschkindpille", ein Verhütungsmittel aus der ehemaligen DDR betrachten, die ab 1965 Berufstätigkeit und Mutterschaft miteinander vereinbaren sollte. Und man kann sämtliche Originaldokumente rund um die Selbstbezichtigungskampagne gegen das Abtreibungsverbot einsehen, die Alice Schwarzer 1971 im Stern initiierte.

Alle Fundstücke erzählen von einer der größten sozialen Bewegungen der letzten 200 Jahre, die bis heute im öffentlichen Bewusstsein wenig verankert ist. "Wenn es überhaupt einen Satz in Schulbüchern darüber gibt, dann nur den einen: 1918 bekamen die Frauen das Wahlrecht. Mehr steht oft nicht drin", sagt die Geschäftsführerin des DDF, Sabine Balke. "All die Kämpfe, all die Schwierigkeiten werden nicht erzählt."

Sie sagt, dass Emanzipationsbewegung nicht nur ein wichtiges Stück Zeitgeschichte sei, sondern immer auch ein Kampf um die Sichtbarkeit in einer von männlicher Vorherrschaft geprägten Gesellschaft. Und ein Archiv, das weibliche Sichtweisen und Errungenschaften sammelt, ein wichtiger Schritt in Richtung Parität: "Die Geschichte zeigt, dass die Frauen dafür schon lange gekämpft haben." In dem Moment, in dem Menschen, insbesondere Frauen, sehen "dass da viel geleistet worden ist, stärkt und ermutigt das". Das DDF möchte nicht nur ein Fachportal für Wissenschaftler sein, sondern der interessierten Öffentlichkeit Themen, Akteurinnen und Netzwerke der Frauenbewegungen aus zwei Jahrhunderten nahebringen.

Neben den historischen Dokumenten publiziert das DDF auch aktuelle Essays von Experten und Expertinnen sowie Artikel und Porträts, die mit ausgewählten digitalisierten Schlüsseldokumenten angereichert sind. Die Kontextualisierung war Leiterin Balke besonders wichtig: "Eine Kuratierung der Bestände ist wichtig, sonst ersticken wir in einer Datenflut."

Knapp zwei Jahre hat es gedauert, das staatlich geförderte Projekt aufzubauen

In knapp zwei Jahren setzte Balke mit ihrem Team das interaktive Online-Portal um, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird. Die Geschäftsführerin ist stolz, dass ihre Software-Spezialistinnen etwas geschafft haben, was bisher in Deutschland einzigartig ist: Die Katalog und Archivbestände aller Einrichtungen, die sich mit Frauengeschichte beschäftigen, in einem übergreifenden Metakatalog zusammenzubringen und in Kontext zueinander zu setzen. In diesem Metakatalog auf digitales-deutsches-frauenarchiv.de wurden auch die historischen Dokumente eingebunden, sodass Leser im Portal, aber auch in den Katalogen suchen können.

Vor allem für Schule und Studium sei das Archiv wertvoll, sagt Balke. "Mit Quellen zu arbeiten ist einfach eine andere Art, sich Geschichte anzueignen." Oder auch die Gegenwart. Die Texte der Frauenrechtlerin Minna Cauer zum Beispiel lesen sich wie ein Aufruf in Zeiten, in denen vermehrt von rechts konservative Frauenbilder propagiert werden.

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