Hambacher Forst:"Wir feiern und wir fordern heute"

People protest for the preservation of the ancient forest 'Hambacher Forst' near the western German town of Kerpen-Buir west of Cologne

Die Demonstration am Hambacher Forst wurde eher eine Art große Party.

(Foto: REUTERS)

Zehntausende Menschen jubeln am Hambacher Forst darüber, dass die Rodung des Waldes vorerst ausgesetzt wird und fordern ein Ende der Braunkohle. Aktivisten wollen den Hambacher Forst wieder besetzen.

Reportage von Christian Wernicke, Kerpen, und Hakan Tanriverdi

Uwe Hiksch ist begeistert. Ursprünglich hatten er und seine Mitstreiter aus der Umweltbewegung eine Demonstration geplant, noch im September, bei der er von zehntausend Besuchern ausging. Doch Sonntag um Sonntag beobachtete Hiksch, dass bei den "Waldspaziergang" genannten Demonstrationen im Hambacher Forst immer mehr Menschen kamen. An diesem Samstag hat er nun die Gewissheit: Was hier stattfindet, ist längst keine Demonstration mehr, es ist ein Happening. An vier Stellen haben seine Leute Besucher gezählt, daher ist sich Hiksch ziemlich sicher: 50 000 Menschen seien gekommen. Die Polizei schätzt die Zahl der Demonstranten deutlich niedriger ein.

Hiksch ist Mitglied im Bundesvorstand der Naturfreunde Deutschlands. Für ihn ist das ein sensationelles Ergebnis. Er und alle anderen Organisatoren sind überwältigt vom Erfolg. "Wir feiern und wir fordern heute", sagt Hiksch. "Wir feiern das Urteil und wir fordern den Kohleausstieg 2030." Die Demonstration ist ein vorläufiger Höhepunkt, nachdem das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster in einem Eilverfahren entschied, dass der Energiekonzern RWE die Rodung des Hambacher Forsts vorerst stoppen muss.

Seit diesem Eilbeschluss wirkt das, was hier stattfindet, eher wie eine Party. Gute Laune, Rockmusik und Öko-Pizza. Auch Andreas Büttgen von der Bürgerinitiative "Buirer für Buir" schwebt förmlich. Mit grauem Stoppelbart und einem weißen T-Shirt steht er da, am Bauch spannt es ein wenig, und grüßt alte Bekannte. "Den heutigen Tag nenne ich das Hambacher Fest 2.0", sagt er in Anspielung auf das Fest im Jahr 1832, das im Hambacher Schloss stattfand. Das Schloss gilt seither als Symbol der deutschen Demokratiebewegung. Büttgen glaubt, dass der Wald zu retten ist. Schließlich teilte der Energiekonzern RWE am Freitag mit, dass man von einem Rodungsstopp ausgehe, der sich noch bis Ende 2020 ziehen könne.

Büttgen sagt, dass seine kleine Initiative eine Massenbewegung mit ausgelöst habe. "Wir haben jetzt die Verantwortung, das in friedvollen Bahnen zu halten." Ein Kollege von Büttgen kommt hinzu und sagt, dass man NRW-Innenminister Herbert Reul ein Denkmal setzen müsse. Erst durch die Räumungsaktion habe ganz Deutschland sehr genau verfolgt, was rund um den Hambacher Forst passiere. "Das hätten wir selbst so nicht hingekriegt." 3000 Polizisten hatten in den vergangenen Wochen die Räumung des besetzten Hambacher Forsts vorangetrieben.

Energieversorgung auch ohne Braunkohle

In Hambach wurde eines der weltweit größten Löcher gegraben, um Braunkohle abzubauen. Die Gegend galt als Kraftzentrum Westdeutschlands. Heute gilt der Hambacher Forst vielen Menschen als Symbol dafür, dass sich die Zeiten geändert haben. Die Energieversorgung der Zukunft könne auch ohne Braunkohle gelingen, finden hier viele.

Deshalb strömen die Menschen seit den frühen Morgenstunden zum Wald. Ein Mann mit Dreadlocks spannt den schwarzen Regenschirm auf gegen die pralle Sonne. 26 Grad, es ist einer der letzten Sommertage im Herbst, der Himmel strahlt blau. Der Mann steht in Manheim, ein kleines Dorf am Rande von Köln, ganz in der Nähe liegt die Kartbahn, auf der Michael Schumacher seine ersten Kurven fuhr. Die Kartbahn liegt mitten im Abrissgebiet. Der Mann ist unterwegs in Richtung Fest-Acker. Dort, wo sich Zehntausende Menschen treffen werden, um gegen die Rodung des Hambacher Forsts zu demonstrieren.

2015 wurden hier in Manheim noch Flüchtlinge notuntergebracht. Vor dem leeren Gemeindehaus spielen zwei syrische Kleinkinder. Demonstranten ziehen an diesem Samstag mit einer Regenbogen-Fahne durch die Straßen. Alles wirkt friedlich, leise sogar. Familien wandern gemütlich in Richtung Demonstration, mit den Kindern auf der Schulter. Auf den Plakaten, die sie hochhalten, steht "Hambi bleibt".

Polizisten winken am Ortseingang Busse aus Hamburg, Bayern oder Tschechien an den Straßenrand. "Weiter geht es hier heute nicht", sagt der Beamte. Er lächelt. Drei bis vier Kilometer seien es schon noch.

Staus und überlastete S-Bahnen

Egal ob sie mit dem Auto kommen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Die Menschen kämpfen mit Staus. Die Polizei Aachen sperrte die A4 an der Ausfahrt Merzenich. Auf Nachfrage teilte Pressesprecherin mit, dass die Verkehrssituation unübersichtlich gewesen sei. "Die Autofahrer konnten die Abfahrt nicht nehmen und wurden gebeten, nach Düren weiterzufahren." Stattdessen hätten einige ihre Autos abgestellt und seien in Richtung Acker gelaufen. Dadurch sei ein Rückstau von zehn Kilometern entstanden.

Die S-Bahnen waren ebenfalls überlastet, auch hier wurde abschnittsweise die Strecke gesperrt, weil sich Personen im Gleis befunden haben sollen. Ärgerlich ist das für alle jene Demonstranten, die aus Umweltgründen mit öffentlichem Nahverkehr kommen wollten. Aber es heißt auch: Es könnten noch mehr Menschen werden, die feiern wollen.

Auch Davide Martello ist an den Saum des Hambacher Forsts gekommen. Seit Jahren zieht der Künstler mit seinem Klavier durch die Welt, er spielte am Bataclan-Theater in Frankreich, auf dem Taksim-Platz in Istanbul, auf einer Demo gegen Hooligans in Köln. "Ich habe schon in vielen Krisengebieten gespielt", sagt er. Er habe sein Klavier von Konstanz aus mit einem Lieferwagen hierhergefahren. Die letzten Meter ist er geradelt. Das Klavier ist an das Fahrrad angekoppelt. Als es auch dann nicht vorwärtsgeht, helfen andere und schieben mit an. Martello will RWE jetzt einige Solarpanels schenken und in ein paar Tagen nachfragen, was der Konzern damit angestellt hat.

"Das Fukushima der Kohlewirtschaft"

Sowohl der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) als auch Greenpeace hatten zur Demonstration aufgerufen. Martin Kaiser von Greenpeace wertete die Demonstration als "klares Signal Richtung Berlin". "Hunderttausende Menschen wollen, dass der Ausstieg aus der Kohle schon heute beginnt", sagt er. Kein Wald, kein Dorf, keine Kirche dürften mehr für klimaschädliche Kohle geopfert werden.

Die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, sieht die Bundesregierung in der Pflicht: "Wir brauchen jetzt ein Kohleausstiegsgesetz", sagt sie. Lorenz Gösta Beutin, Energie- und Klimapolitiker der Linken im Bundestag, sagte: "Der Konflikt um den Hambacher Forst war das Fukushima der Kohlewirtschaft." Die vergangenen Wochen hätten das Bewusstsein der deutschen Gesellschaft für Klimaschutz geschärft: "In der Bevölkerung hat sich der Wind spürbar gedreht, eine Mehrheit will den schnellen Kohleausstieg."

Gegen Nachmittag geben Aktivisten der Initiative "Ende Gelände" bekannt, dass sie mit der Wiederbesetzung des Waldes beginnen und zahlreiche Hängematten zwischen den Bäumen spannen werden. Auf Nachfrage, ob auch kontrolliert wird, ob sie den Wald wieder verlassen, sagt ein Polizeisprecher: "Nein, wie sollen wir das denn leisten?" Am Abend melden Umweltaktivisten, 10000 Menschen sei im Laufe des Tages in den Wald gegangen.

Zurück in den Wald gekommen ist auch Balto. Der 22-jährige Physikstudent war am 13. September der erste Waldbesetzer, der von der Polizei vom Baum geholt wurde. Er ist nur zur Demonstration gekommen, er wird nicht bleiben: "Ich muss jetzt auch mal wieder studieren. Und politische Arbeit kann man auch von Berlin aus machen", sagt er.

Auf dem Hauptweg sind alle 20 Meter Barrikaden gebaut, aus Baumstämmen und Zweigen. Mit Schaufeln und Kehrblechen ritzen die Demonstranten neue Gräben in den planierten Waldweg. Sie versuchen es zumindest. Ein Mann im Superman-Kostüm beschwert sich über den Waldboden, der nun wegen des schweren Räumgeräts so festgefahren sei. "Was ich mache, ist zwar illegal, aber das ist mir egal", sagt der Mann, während er die nächsten Krümel auf die nächste Barrikade wirft. Balto, der erfahrenere Besetzer, bemängelt die neuen Kleingräben. Diese versperren den gesamten Weg. "Man muss immer einen kleinen Streifen für die Fußgänger freihalten." Im Wald selbst sind so viele Menschen unterwegs wie sonst in der Fußgängerzone einer Großstadt.

Demonstration im Hambacher Forst

Die neuen Barrikaden sind kleiner als die alten Hindernisse und mit Sprüchen verziert.

(Foto: Christian Wernicke)

"Was hat der Wald davon?"

Alina Wetzel steht derweil barfuß im Staub und schreit alle dreißig Sekunden drei Fragen in Richtung der Masse, sie sich in Richtung Wald bewegt: "Was hat der Wald davon? Was haben die Tiere davon? Was haben wir davon?" Der Wald brauche Ruhe, sagt die 27-jährige Kunstgeschichte-Studentin. Sie kommt aus Essen und ist zum ersten Mal am Hambacher Forst. "Liebe Demonstranten, bitte überlegt euch, ob ihr in den Wald hineinströmt", sagt sie. "Wir sind zu viele."

Am Ausgang des Waldes hingegen wartet ein Dutzend Mannschaftswagen der Polizei. Per Lautsprecher werden die Menschen eindrücklich gewarnt, nicht weiter in Richtung Abbruchkante zu laufen. Die Warnung werden überhört. Dreißig Meter folgt die nächste Ansage: "Gehen Sie bitte nicht weiter", sagt eine Polizistin. "Wir haben Angst um Sie." Die Menschen marschieren weiter.

Zur SZ-Startseite
Hambacher Forst

Hambacher Forst
:Das Gericht gibt vor, was die Politik nicht schaffte

Der Beschluss zum Rodungsstopp im Hambacher Forst zwingt alle Beteiligten im Ringen um den Wald in eine Atempause - und zum Nachdenken. Das ist dringend notwendig.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: