Landtagswahl:Ein Bayern, zwei Welten

Landtagswahl: Zwischen Stadt und Land herrschen in Bayern große Unterschiede - auch politisch.

Zwischen Stadt und Land herrschen in Bayern große Unterschiede - auch politisch.

(Foto: public domain; Collage SZ)

Die Ballungszentren werden grün, auf den Dörfern erstarken die Freien Wähler: Wie sehr unterscheidet sich das Wahlergebnis zwischen Stadt und Land? Und woher kommt der Unterschied? Ein Erklärungsversuch in Grafiken.

Von Jana Anzlinger, Katharina Brunner und Christian Endt

Der eine Spitzenkandidat macht Stage-Diving, die andere Spitzenkandidatin beschwört eine neue Ära herauf: Die Grünen haben am Sonntagabend in der Münchner Muffat-Halle ausgiebig gefeiert. Hauptgrund für die Euphorie ist, dass sie im Landtag künftig die zweitstärkste Kraft sind. In München haben die Grünen einen weiteren Grund, euphorisch zu sein - genaugenommen fünf Gründe: So viele Direktmandate hat die Partei in der Landeshauptstadt geholt, ein sechstes errang sie in Würzburg. Noch nie zuvor wurde ein Grüner in Bayern direkt in den Landtag gewählt.

Das Wahlergebnis zeigt nicht nur den Untergang der Volksparteien, die Zersplitterung der Linken oder den Aufstieg der AfD. Es zeigt auch, wie gespalten der Freistaat ist: in eine urbane und eine ländliche Hälfte. Der Erfolg der Grünen speist sich vor allem aus den großen Städten. Auf dem Land, in den Dörfern und Kleinstädten, sind die Grünen vom Volkspartei-Status noch weit entfernt.

Weniger als die Hälfte der 13 Millionen Bayern lebt noch auf dem Land, die Stadtbevölkerung wächst, vor allem in den Ballungszentren. In den acht größten Städten Bayerns leben fast drei Millionen Menschen.

Bei der Landtagswahl waren 2,1 Millionen Menschen in München, Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, Ingolstadt, Erlangen und Fürth wahlberechtigt. Hätten nur sie abgestimmt, wäre der neue Landtag ein anderer: Die CSU wäre so abgestürzt, dass Markus Söder sich wohl frustriert in Nürnberg verkrochen hätte. Die Grünen lägen nur noch drei Prozentpunkte hinter der Regierungspartei. Die SPD hätte ein zweistelliges Ergebnis erzielt, AfD und Freie Wähler einstellige. Die Linke würde ins Maximilianeum einziehen. Schwarz-Orange hätte im Landtag keine Mehrheit, Rot-Rot-Grün-Gelb aber schon.

Hätten hingegen nur die 7,4 Millionen Wahlberechtigten abgestimmt, die in Orten mit weniger als 100 000 Einwohnern leben, wären im bayerischen Landtag weniger Parteien vertreten. Außer der Linken wäre auch die FDP nicht dabei, die CSU hätte fast 40 Prozent geholt und die Freien Wähler noch mehr gewonnen.

Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist also groß. Der Stimmenanteil der einzelnen Parteien verteilt sich über eine riesige Bandbreite: Bei der SPD reicht er von 4,6 Prozent in Straubing bis hin zu 21,5 Prozent in Hof, ähnlich groß ist die Bandbreite bei den Freien Wählern.

Im unterfränkischen Bad Kissingen hat knapp jeder zweite die CSU gewählt. In München-Mitte hat die Regierungspartei hingegen ihr schlechtestes Ergebnis (16,1 Prozent) eingefahren.

Dort hat auch die AfD mit weniger als vier Prozent am schlechtesten abgeschnitten, die Grünen hatten mit 42,5 Prozent in München-Mitte den größten Erfolg. Die AfD hat eines ihrer besten Ergebnisse in der oberpfälzischen Kleinstadt Cham eingefahren (16 Prozent), wo die Grünen mit 7,8 Prozent am schlechtesten abgeschnitten haben.

Wie lässt sich erklären, dass Großstädte sich derart vom Rest des Freistaats abheben?

Wahlentscheidung auf dem Bauernhof?

Noch aus Zeiten der Industrialisierung stammt die sogenannte Cleavage-Theorie. Politikwissenschaftler argumentieren, dass es unter den Bürgern mehrere Cleavages, also Gräben oder Klüfte, gibt, die die politische Haltung entscheidend beeinflussen. Arbeit versus Kapital ist ein solcher Graben: Arbeitnehmer haben andere Interessen als Arbeitgeber. Ein weiterer Graben tut sich zwischen Stadt und Land auf. Die Begründung: Die Landbevölkerung sei eher vom primären Sektor abhängig, wähle also zugunsten der Landwirtschaft. Die sei für die Städter unbedeutend, da sie auf den sekundären Sektor angewiesen seien, also eine starke Industrie und zum Beispiel bessere Arbeitsbedingungen in den Fabriken wollten.

Tatsächlich erklärt diese Theorie nur zum Teil das Gefälle bei der Bayernwahl: Je mehr Fläche im Stimmkreis landwirtschaftlich genutzt wird, desto erfolgreicher haben dort CSU und Freie Wähler abgeschnitten - und desto schlechter SPD, FDP und Grüne. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht so stark wie er früher wohl war. Die SPD hat unter Arbeitern nicht punkten können, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Einige Landwirte sind von der CSU enttäuscht. Hinzu kommt, dass auch außerhalb der Ballungszentren die wenigsten noch selbst in der Landwirtschaft arbeiten. Heute ist die Verbundenheit mit der Landwirtschaft womöglich eher eine kulturelle. Selbst in den kleineren Dörfern gibt es andere Interessen. Die SPD hat der ländlichen Bevölkerung eine Schulgarantie für jedes Dorf versprochen, die FDP eine bessere medizinische Versorgung.

Junge Städter, alte Dörfler

Eine andere Erklärung scheint besser zu greifen: Die Altersstruktur in Bayern unterscheidet sich stark zwischen Stadt und Land. Junge Bayern flüchten aus den Dörfern, wo ihnen eine Perspektive fehlt, junge Nicht-Bayern ziehen zum Studieren und Arbeiten nach München oder Nürnberg. In diesen beiden Städten liegt das Durchschnittsalter bei etwa 43 Jahren. Der durchschnittliche Bad Kissinger ist hingegen 46,3 Jahre alt. Und Wahlentscheidung und Alter hängen stark zusammen.

Die 18- bis 29-Jährigen haben bei dieser Landtagswahl viel seltener ihr Kreuz bei der CSU gemacht als andere Altersgruppen. Die Grünen sind mit ihren progressiven Ansichten und ihrem jungen Spitzenduo bei jungen Wählern besonders beliebt. Versprechen wie das kostenlose ÖPNV-Ticket für Schüler, Azubis und Studenten scheinen sich gelohnt zu haben. Bei den über 60-Jährigen liegt die CSU weit vor allen anderen Parteien, auch wenn sie in dieser Altersgruppe ebenfalls stark verloren hat. Bei den 30- bis 59-Jährigen spielten AfD und Freie Wähler eine vergleichsweise große Rolle.

Entsprechend zeigt sich: Je mehr Menschen zwischen 18 und 39 Jahren in einem Stimmkreis leben, desto besser haben die Grünen abgeschnitten.

Das Ergebnis der CSU ist in den Stimmkreisen, wo viele junge Leute leben, besonders schlecht ausgefallen.

Wo ein größerer Anteil zwischen 40 und 64 Jahren lebt, hat die CSU besser abgeschnitten und die Grünen schlechter. Auch Freie Wähler und AfD sind schwächer, wo mehr Unter-40-Jährige wohnen und stärker, wo es mehr 40- bis 64-Jährige gibt, allerdings ist bei diesen beiden Parteien der Zusammenhang nicht so frappierend wie bei CSU und Grünen.

Angst vor dem unbekannten Ausländer

Viele AfD-Anhänger sagen, dass sie Angst vor den Folgen der Zuwanderung haben, vor "Überfremdung", "Islamisierung", türkischen "Parallelgesellschaften" und vermeintlich kriminellen Flüchtlingen. In der Realität wurzelt diese Angst nicht. Vielmehr scheint sie eine Angst vor dem Unbekannten zu sein: Je mehr Ausländer in einem Stimmkreis leben, desto schlechter hat die AfD dort abgeschnitten.

Auch zwischen CSU-Wahl und niedrigem Ausländeranteil gibt es einen Zusammenhang. Umgekehrt gilt: An den Orten, wo mehr Mitbürger ausländischer Staatsbürgerschaft leben, punkten die Grünen. Und diese Orte sind eben eher Großstädte. Dass die Vorbehalte dort am größten sind, wo es die wenigsten Berührungspunkte gibt, zeigt sich auch in Umfragen und bei Wahlen anderswo. Da ist Bayern also doch nicht so eigen.

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Bad Kissingen fälschlicherweise in Oberfranken verortet; es liegt aber in Unterfranken.

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