Interview am Morgen: Brexit-Gipfel:"Nur weil May übel mitgespielt wird, kann die EU nicht ihre Prinzipien aufgeben"

Brexit-Demonstration im englischen Torquay

Leave means leave: Unversöhnlich begegnen sich Brexit-Befürworter und -Gegner bei einer Veranstaltung im englischen Torquay, als jemand eine EU-Flagge auspackt.

(Foto: Getty Images)

In Brüssel geht es heute darum, ob die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien fortgesetzt werden. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok lobt die Fortschritte - und pocht darauf, dass sich Deutschland für ein No-Deal-Szenario wappnet.

Interview von Matthias Kolb, Brüssel

Um 19 Uhr wird es ernst in Brüssel. Bevor die Staats- und Regierungschefs der EU-27 über den Stand der Brexit-Verhandlungen diskutieren, darf Premierministerin Theresa May ihre Perspektive schildern. Besonders umstritten ist die Frage der irischen Grenze - weil man sich hier nicht einigen konnte, wurden die Gespräche am Sonntag unterbrochen. Nun sind die Chefs gefragt. Als einer der einflussreichen "Brexit-Sherpas" des Europäischen Parlaments bringt der CDU-Politiker Elmar Brok die Perspektive der Abgeordneten in die Verhandlungen ein. Im Interview spricht der 72-Jährige über die heikle Nordirland-Frage, die Versuche Londons, die EU-27 zu spalten, und er erklärt, warum Theresa May ihm manchmal leid tut.

SZ: Herr Brok, heute Abend beraten die Staats- und Regierungschefs über den Brexit. Nachdem die Verhandlungen am Sonntag geplatzt sind: Was wäre das beste Ergebnis des EU-Gipfels?

Elmar Brok: Am wichtigsten wäre es, dass die Verhandlungen schnellstmöglich fortgesetzt werden. Momentan gibt es keine beschlussfähige Grundlage, weshalb Premierministerin May ihre Vorstellungen schildern wird, bevor Chefunterhändler Michel Barnier seine Sicht darlegt. Beim Abendessen, bei dem May nicht dabei ist, werden die Staats- und Regierungschefs über die weitere Strategie sprechen. Ich gehe davon aus, dass die Gespräche kommende Woche wieder aufgenommen werden, um für einen Sondergipfel Mitte November einen Text zu haben. Es wurden erhebliche Fortschritte erzielt: Neunzig Prozent des Austrittsabkommens ist ausverhandelt.

Strittig ist vor allem die Frage, wie Grenzkontrollen auf der irischen Insel verhindert werden können. Hier steht auch der Frieden in Nordirland auf dem Spiel. Müsste die EU deswegen Theresa May nicht entgegenkommen?

Der Frieden in Nordirland ist uns sehr wichtig, darf aber nicht zur Teilung des EU-Binnenmarkts führen. Das war Mays sogenannter Chequers-Vorschlag vom Juli 2018: Großbritannien bleibt im Binnenmarkt für Waren, aber für Finanzdienstleistungen sollen andere Regeln gelten und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wird eingeschränkt. So etwas wäre eine Katastrophe, denn dann kommen sofort andere EU-Staaten mit ihren Sonderwünschen. Natürlich wollen wir den Frieden in Nordirland erhalten und engagieren uns finanziell im Peace-Programm. Gerade weil das Thema so große Bedeutung hat, wollen wir im Austrittsvertrag eine Rückfalloption, den sogenannten "Backstop" vertraglich regeln, um Sicherheit zu gewährleisten.

Hier in Brüssel ist gerade dauernd von "Theaterdonner" und "Drama" die Rede, wenn es um das Agieren der britischen Seite geht. Werden manche Konflikte in London inszeniert?

Das ist nur selten der Fall. Die britische Regierung ist wirklich völlig zerstritten. Wir haben eineinhalb Jahre auf ein Angebot gewartet. Als die Chequers-Vorschläge kamen, hat sich London beim Gipfel in Salzburg geweigert, darüber zu verhandeln. Es ist eine Frechheit zu behaupten, dass Europa den Briten nicht entgegen kommen würde, wenn wir so lange warten müssen und dann alles schlucken sollen. Wir müssen unsere Interessen wahren und die Integrität des Binnenmarkts ist entscheidend für den Fortbestand der Europäischen Union. Wenn wir hier eine Teilung zulassen, fliegt der ganze Laden auseinander. Auch die EU hat ein Recht darauf, ihre Interessen wahrzunehmen.

Sie sind als Sherpa des EU-Parlaments beteiligt an den Gesprächen und vertreten die Wünsche der Abgeordneten. Sind die Briten ein rationaler, verlässlicher Verhandlungspartner?

Leider nein. Sie haben immer wieder versucht, uns zu teilen und die Einheit der Mitgliedstaaten beziehungsweise des Parlaments zu sprengen. Das wird May auch heute wieder versuchen, wenn sie mit Staats- und Regierungschefs telefoniert, aber es wird ihr nicht gelingen. In London ist vielen nicht bewusst, dass wir als Europäisches Parlament das letzte Wort haben und Barnier auch auf uns achten muss. Selbst wenn die Staats- und Regierungschefs einem Deal zustimmen und das Unterhaus in London "Ja" sagt, würde ein "Nein" der EU-Abgeordneten alles zu Fall bringen. Dann ist Schluss. Wie Chefunterhändler Barnier uns bisher informiert, das ist wirklich vorbildlich und wir haben volles Vertrauen in ihn.

Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten arbeiten an konkreten Plänen, um sich für einen chaotischen Brexit zu rüsten. Dient das No-Deal-Szenario dazu, Druck aufzubauen?

Elmar Brok

Der Europa-Politiker von der CDU Elmar Brok

(Foto: picture alliance / dpa)

Nein, das ist verantwortungsvolles Handeln, das verlangen vor allem die Unternehmen von uns. Im Falle eines "hard Brexit", den wir alle vermeiden wollen, darf es nicht zu chaotisch werden, da steht die Politik in der Vorsorgepflicht und muss klare rechtliche Regeln schaffen. Es ist absolut nötig, jetzt aktiv zu werden, denn man kann nicht erst am 1. April 2019 mit der Gesetzgebung und sonstigen Vorbereitungen beginnen. Um es klar zu sagen: Für das Vereinigte Königreich ist der Brexit, besonders ein harter Brexit, eine Katastrophe, aber er ist auch schlecht für uns. Wir müssen gerüstet sein für alle Eventualitäten.

Verhandelt wird über zwei Teile: den Austrittsvertrag und die "politische Erklärung" über die künftigen Beziehungen. Wie unterscheiden die sich?

Im Austrittsabkommen müssen die kniffligen Fragen wie die irische Grenze juristisch sauber festgehalten werden, denn dieses Dokument ist völkerrechtlich verbindlich. Das gilt nicht für die "politische Erklärung", die das künftige bilaterale Verhältnis beschreibt. Ohne Austrittsvertrag gibt es aber keine "politische Erklärung", da wäre das Spiel beendet. Der Inhalt der Erklärung ist unstrittig: Da würde drinstehen, dass man einen Freihandelsvertrag anstrebt und in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit et cetera kooperiert. Um konkrete Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag und eventuell eine Zollunion zu führen, braucht man mehr Zeit. Dafür wird es eine Übergangsregel von zwei bis drei Jahren geben, in der das alles verhandelt werden kann. Das Vereinigte Königreich muss da alle Regeln, auch die vier Freiheiten des Binnenmarktes, wie bisher einhalten. Für die Wirtschaft würde sich dann für diesen Zeitraum nichts ändern. Das Vereinigte Königreich wäre aber aus der EU schon heraus. An sich sind beide Seiten nah beieinander und wollen Schaden minimieren. Eine vernünftige Lösung lehnen nur jene Ideologen unter den Tories ab, die glauben, dass Großbritannien durch den harten Brexit wieder zur Großmacht wird.

Sie sind vor allem Außenpolitiker. Welche Folgen wird der Brexit für das Ansehen der EU in der Welt haben - und wie wird das Vereinigte Königreich von April 2019 an dastehen?

Die kritische Masse und damit der Einfluss der Europäischen Union wird abnehmen. Der Einfluss von Großbritannien wird gar nicht mehr existieren, weil das Land zu klein ist. In der Sicherheitspolitik versuchen wir den Schaden durch ein Sonderabkommen zu minimieren, der den Austausch von Daten für die Terrorismusbekämpfung und die Zusammenarbeit von Geheimdiensten sowie die verteidigungspolitische Kooperation regelt.

Theresa May ist seit zwei Jahren und drei Monaten Premierministerin. Seither ist kaum eine Woche vergangen, in der nicht über ihren Rücktritt spekuliert wurde. Bedauern Sie sie mitunter?

Wenn ich sehe, wie sie von der eigenen Partei und ihrem Kabinett behandelt wird, dann muss ich wirklich sagen: Theresa May tut mir leid. Sie muss mit allen Seiten kämpfen. Aber nur weil May übel mitgespielt wird, kann die EU nicht ihre Prinzipien aufgeben. Ich habe aber den Eindruck, dass sie als eine der wenigen in London erkannt hat, dass eine konstruktive Lösung möglich ist. Sie möchte eine solche aushandeln, aber ob das gelingen kann, weiß ich nicht.

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