Essen & Trinken:Süßkartoffelherrlichkeit mit Haken

Süßkartoffelernte

Das größte Problem ist die Kälteempfindlichkeit von Süßkartoffelpflanzen.

(Foto: Simeon Johnke)

Kaum ein Szenelokal, kaum ein Foodblog kommt ohne ein Gericht aus Süßkartoffeln aus. Doch ihr Import ist aufwendig. Kann die empfindliche Pflanze auch in Deutschland heimisch werden?

Von Patrick Hemminger

Der Sommer war heiß und oft trocken, der September noch ungewöhnlich warm, doch der Süßkartoffel war auch das nicht gut genug. Auf dem Testfeld in Franken hängen ihre Blätter erfroren und vertrocknet auf die Erde. "Denen reichen wenige Minustemperaturen für kurze Zeit, und das war's", sagt Birgit Rascher. Eine Stunde ein Grad unter null, eben vor Sonnenaufgang, wenn die Nacht am kältesten ist, und die Pflanzen beginnen zu sterben. Ihr Wachstum stellen sie bereits bei acht bis zehn Grad ein.

Zum Glück handelt es sich hier nur um einen Testacker, und die Knollen in der Erde können trotzdem noch geerntet werden. Rascher ist Gartenbauingenieurin bei der Bayerischen Landesanstalt in Bamberg. Dort plant sie seit mehr als 20 Jahren Versuche für den ökologischen Gemüseanbau. In Zeiten des Klimawandels arbeitet sie immer öfter mit Pflanzen, die ja in wärmeren Gegenden der Welt zu Hause sind, wie Erdnüsse oder Ingwer. "Heuer haben wir eine gute Ernte bei den Wassermelonen gehabt. Als ich hier anfing, hätten wir so einen Versuch nicht mal gewagt", sagt sie. Das Gleiche gilt für die Süßkartoffel, die sich auf Höhe des 35. Breitengrads am wohlsten fühlt, Bamberg liegt leider auf dem 49., also mehr als tausend Kilometer weiter nördlich.

Etwa zwei Drittel der Weltproduktion von jährlich 120 Millionen Tonnen stammen aus China. Die Knollen, die in deutschen Supermärkten liegen, kommen oft aus den USA, europäische Ware stammt meist aus dem warmen Südspanien. Denn die Temperaturen sind der Knackpunkt. Spät- und Frühfröste mag die Pflanze, die ein Windengewächs und mit der Kartoffel nur sehr weitläufig verwandt ist, gar nicht. "Eine subtropische Kultur ist in den Subtropen immer erfolgreicher. Der Anbau hier ist teurer, das Risiko größer und der Ertrag geringer", sagt Rascher. Sie arbeitet daran, dass er sich trotzdem lohnt.

Denn für Landwirte könnte das ein gutes Geschäft sein. So hipp wie die Süßkartoffel ist derzeit allenfalls die Avocado. Kaum ein Foodtruck, kaum ein Szenelokal, kaum ein Foodblog kommt ohne ein Gericht aus Süßkartoffeln aus. Kein Wunder: Sie ist gesund, schmeckt süßlich, nach einer Mischung aus Kartoffel, Möhre und Kürbis. Und sie wird immer wichtiger für die vegane und vegetarische Küche. Schließlich ist sie enorm vielseitig. Von Pommes bis Suppe ist alles möglich. Nur hat die Süßkartoffelherrlichkeit einen Haken. Es spricht sich allmählich herum, dass der Anbau ökologisch und gesellschaftlich oft fragwürdig ist, auch wegen der langen Transportwege.

Doch das Geschäft mit der Süßkartoffel für deutsche Landwirte erfolgreich zu machen ist aufwendig. In Bamberg setzt Birgit Rascher bei den Jungpflanzen an. In den Anbauländern wachsen sie direkt auf dem Feld. Dafür ist Deutschland zu kalt; Bauern und Gärtner haben nun zwei Möglichkeiten. Entweder kaufen sie vorgezogene Jungpflanzen. Die aber kommen meist aus Israel, womit sich der Gedanke der Regionalität erledigt hat. Zudem kosten Jungpflanzen 30 bis 40 Cent. Das bedeutet: Mindestens 9000 Euro pro Hektar sind weg, egal, ob die Ernte etwas wird oder nicht. Die zweite Möglichkeit ist, Stecklinge selber zu ziehen. Birgit Rascher versucht jetzt im zweiten Jahr, möglichst günstige und ertragstarke Jungpflanzen zu züchten. Dafür steckt die Gartenbauingenieurin Süßkartoffeln im Februar in nährstoffreiche Erde; in einem hellen, warmen Raum natürlich. Daraus wachsen Pflanzen, aus denen dann verschieden große Stecklinge gewonnen werden.

Am 1. Juni kamen die Stecklinge aufs Feld. Doch damit gingen die Experimente erst los. Welche Stecklingsgröße ist am besten? Welche Anbautechnik beschleunigt das Wachstum, welche hemmt es? Wirken sich schwarze Mulchfolien um die Pflänzchen förderlich aus? Oder soll man die Stecklinge abdecken? Die Möglichkeiten scheinen erst mal endlos zu sein. Und die Süßkartoffel ist launisch. Doch Rascher klingt eher optimistisch. "Vom Wetter her war 2018 ein optimales Jahr für die Süßkartoffel", sagt sie. Es war warm genug, der Regen ausreichend und gut verteilt. In der ersten Oktoberwoche wurde endlich geerntet.

Süßkartoffelernte

Auf einem Versuchsfeld bei Bamberg experimentiert die Gartenbauingenieurin Birgit Rascher mit Süßkartoffelpflanzen.

(Foto: Simeon Johnke)

Für eine Analyse ist es eigentlich noch zu früh, ein erstes Fazit zieht Rascher trotzdem: Der Ertrag, so viel sei bereits klar, falle je nach Anbautechnik extrem unterschiedlich aus, sagt sie. "Den größten liefern die gekauften Jungpflanzen. Die kommen ja schon mit Wurzeln aufs Feld und haben den selber gezogenen Stecklingen gegenüber deshalb einen Vorsprung von etwa drei Wochen." Aber mehr heißt nicht unbedingt besser. Da die Jungpflanzen im Topf gezogen werden, sind viele Knollen krumm und schief und für den Verkauf nur bedingt geeignet. "Es könnte also ein, dass es am Ende wirtschaftlicher ist, mit eigenen Jungpflanzen auf größerer Fläche zu arbeiten", sagt Rascher. Das muss die genaue Auswertung zeigen. Am Ende wird Rascher den Gärtnereien wieder ein paar Empfehlungen mehr geben können, wie sie den Anbau der Süßkartoffel optimieren können.

Derzeit sind solche Analysen vor allem für Biobetriebe interessant. Die Pflanze eignet sich besonders für den Ökoanbau. Am Boden bedeckt und erstickt sie Unkraut, für Schädlinge und Krankheiten ist sie nicht anfällig. "Die Frage für die Erzeuger ist, ob sie die Süßkartoffel zu hiesigen Preisbedingungen anbauen können", sagt Norbert Laun vom pfälzischen Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Neustadt an der Weinstraße. Die lokale Vermarktung klappt Laun zufolge gut, auch in größeren Betrieben, die den Lebensmittelhandel beliefern, laufe das Geschäft an. Er schätzt, dass in Deutschland derzeit auf rund 50 Hektar Süßkartoffeln angebaut werden.

Eine pfälzische Süßkartoffel ist derzeit etwa 50 Prozent teuer als eine aus Spanien oder Übersee

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Birgit Rascher.

(Foto: Simeon Johnke)

Auch Landwirte, die gerade mit der Süßkartoffel erste Erfahrungen sammeln, sehen deren Zukunft auf deutschen Äckern positiv. Frank Weisbrod etwa, der das Biogut Schlosser im pfälzischen Schifferstadt leitet. 2017 pflanzten sie dort erstmals Süßkartoffeln. Aktuell wachsen sie auf sechs der insgesamt 300 Hektar des Betriebs. Schon jetzt sieht Weisbrod Potenzial für bis zu 40 Hektar. "Ich glaube, dass wir bei Lebensmitteln langsam aus der Geiz-ist-geil-Phase rauskommen", sagt er. Das sei auch nötig. "Denn noch ist es meist so, dass zwar jeder nach lokaler Ware ruft, aber trotzdem nur Importpreise zahlen will", sagt er.

Eine pfälzische Süßkartoffel ist derzeit etwa 50 Prozent teuer als eine aus Spanien oder Übersee. Dort ist die Produktion billiger und wird es bleiben, allen deutschen Anbauerfolgen zum Trotz. Denn zur aufwendigen Arbeit mit den Jungpflanzen kommt ein weiterer Kostenfaktor, das sogenannte Curing. Kommt die Süßkartoffel aus der Erde, ist ihre Schale dünn und empfindlich. Hierzulande müssen Landwirte und Gärtner sie mindestens fünf Tage warm und feucht lagern, bei 27 Grad Celsius und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dabei werden die Schalen fester und härter, kleinere Macken trocknen und heilen. "Die Spanier und Amerikaner haben es leichter", sagt Weisbrod. "Die holen die Knollen einfach aus dem Boden und lassen sie dort liegen." Curing geht von selbst und unter freiem Himmel.

Qualitäts- oder Geschmacksunterschiede zwischen Knollen aus Kalifornien, China, Franken oder der Pfalz wird keiner feststellen. Es geht nur um die Frage, wie viel es sich der Verbraucher kosten lässt, dass seine Süßkartoffel nicht per Laster oder Schiff Tausende Kilometer um die Welt gekarrt wird. Die Antwort darauf hängt auch davon ab, wie weit Gartenbauingenieure wie Birgit Rascher den Anbaupreis für deutsche Süßkartoffeln noch drücken können.

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