Gewerkschaften:Ernsthaft, wirksam, heimlich

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Kurz bevor eine Frist des Bundesverfassungsgerichts abläuft, nimmt die Koalition eine Änderung des Gesetzes zur Tarifeinheit vor. Die Linke protestiert, der Beamtenbund spricht sogar von "einer Geheimdienstoperation".

Von Detlef Esslinger, München

Die große Koalition will das Gesetz zur Tarifeinheit ändern. Damit befolgt sie eine Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts. Es hatte das bisherige Gesetz zwar im Juli 2017 weitgehend für verfassungsgemäß erklärt, aber bis Ende 2018 eine Änderung verlangt. Die Koalition will dies nun tun, indem sie die Richter exakt wörtlich nimmt.

Das Gesetz war vor drei Jahren in Kraft getreten, trotz des Protests vor allem von kleineren Gewerkschaften wie dem Marburger Bund und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). In einem Betrieb, in dem mehrere Gewerkschaften aktiv sind, gilt demnach nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die dort die meisten Mitglieder hat. Dies ist die Bedeutung von "Tarifeinheit". Die kleinen Gewerkschaften befürchteten stets, auf diese Weise bedeutungslos gemacht zu werden: Denn wer trete noch einer Gewerkschaft bei, die keine Tarifverträge mehr erkämpfen dürfe? Diese Gefahr sahen auch die Karlsruher Richter. Deshalb urteilten sie: Erstens müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Interessen kleinerer Berufsgruppen "hinreichend berücksichtigt" würden; also die der Ärzte in einem Klinikum oder der Lokführer bei der Bahn. Zweitens dürfe das Gesetz, bis es geändert sei, nur angewendet werden, sofern die größere Gewerkschaft die Interessen der kleinen Berufsgruppen "ernsthaft und wirksam" berücksichtigt.

Weshalb es nun künftig im Gesetz heißen soll: Der Tarifvertrag der kleineren Gewerkschaft gelte immer dann, falls im Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft ihre Interessen "nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt" worden seien. Die Linke protestiert, und der Beamtenbund (DBB) auch; letzterer ist der Dachverband, dem die GDL angehört. DBB-Chef Ulrich Silberbach sagte am Montag der Süddeutschen Zeitung, was die Koalition vorhabe, sei eine "Mini-Korrektur". Er spielte darauf an, worauf sich die Gesetzesänderung beschränkt: auf das Hineinkopieren der Formulierung "ernsthaft und wirksam" aus dem Urteil ins Gesetz.

Aber auch die Art, in der das Gesetz geändert werden soll, löst Kritik aus. Regierung und Koalitionsfraktionen arbeiten derzeit an einem sogenannten "Qualifizierungschancengesetz". Es ist kein eigenes neues Gesetz, sondern besteht aus Änderungen anderer Gesetze (was immer wieder vorkommt). Und eine dieser Änderungen soll nun diejenige des Tarifvertragsgesetzes sein. Das "Qualifizierungschancengesetz" wurde am 15. November vom Kabinett beschlossen. Daraufhin fiel dem gewerkschaftspolitischen Sprecher der Linken, Pascal Meiser, auf, dass in einem Gesetz, das Arbeitslosen helfen soll, quasi huckepack auch das Tarifrecht geändert wird. Er warf der Regierung vor, anderthalb Jahre lang nichts getan zu haben, jetzt aber "heimlich, still und leise" doch noch ein Gesetz "aus dem Hut zu zaubern". Den betroffenen Gewerkschaften und der Opposition blieben so nur wenige Tage zur Prüfung, ob die Auflagen aus Karlsruhe sachgemäß umgesetzt wurden, sagte Meiser der SZ.

"Heimlich, still und leise" war am Montag auch die Formulierung von DBB-Chef Silberbach. Das Verfahren "kommt einer Geheimdienstoperation schon sehr nahe", sagte er. "Eine Frage von so hoher Tragweite sollte nicht in einem Anhang zu einem Gesetz beschlossen werden, das mit diesem Gegenstand nicht das Geringste zu tun hat." Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) indes hatte in der Vorlage fürs Kabinett geschrieben, Gespräche geführt zu haben - "mit allen Gewerkschaften, die Verfassungsbeschwerde erhoben hatten und zu Gesprächen bereit waren".

Beim DBB ist man jedoch der Auffassung, dass diese Gespräche nur Alibis waren. Er hat schon vor Längerem eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht; die Verhandlung steht noch aus. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) findet die Gesetzesänderung gut. Damit komme die Koalition den Vorgaben der Karlsruher Richter nach - und "zu weit gehende Verdrängungen" von Tarifverträgen würden verhindert, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann der SZ. Im DGB sind die größeren Gewerkschaften vertreten, die von dem Gesetz nichts zu befürchten haben. Am Freitag will der Bundestag die Neufassung beschließen.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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