Praxis-Öffnungszeiten:Die Patienten sind Teil des Problems

"Patientenfreundlichere" Sprechzeiten zu fordern, ist reiner Populismus. Wichtiger wäre, dass Patienten nicht ständig Termine absagen oder mit Banalitäten in die Notaufnahme gehen.

Kommentar von Werner Bartens

Wer notfallmäßig krank wird, sollte sich dafür nicht gerade das Wochenende aussuchen. Kliniken sind dann schlechter besetzt und es sind weniger Fachärzte vor Ort als werktags. Dutzende Studien belegen, dass Patienten nicht so gut versorgt werden und - im Fall ernster Erkrankungen - geringere Überlebenschancen haben, wenn sie an einem Samstag oder Sonntag ins Krankenhaus müssen. Ähnliche Daten gibt es auch für jene Patienten, die eine Notfallambulanz in der Nacht aufsuchen müssen.

Insofern ist es ein naheliegender Vorschlag der gesetzlichen Krankenkassen, dass Arztpraxen häufiger abends und samstags geöffnet haben sollten. Auch mit der von vielen Medizinern gepflegten Tradition, die Praxis am Mittwoch- und Freitagnachmittag abzusperren, soll nach dem Wunsch der Kassenvorstände bald Schluss sein: Es könne ja wohl nicht angehen, dass immerhin 80 Prozent der Mediziner an diesen beiden Tagen schon kurz nach Mittag Feierabend machen. "Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte", sagt Johann-Magnus von Stackelberg vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, ein gelernter Betriebswirt.

Klingt richtig, klingt logisch - ist aber in der Schlussfolgerung trotzdem falsch. Zwar können Menschen immer und überall krank werden, aber in den Praxen der niedergelassenen Ärzte sind Notfälle in der Minderheit. Bei vielen Kontroll- oder Vorsorgeterminen kommt es oft nicht auf den Tag und manchmal nicht mal auf die Woche an. Für die meisten Patienten braucht es keine zusätzlichen Öffnungszeiten, es sei denn, weil das bequemer für sie wäre. Echte Notfälle werden in jeder seriösen Arztpraxis sowieso vorgezogen, wenn sie nicht gleich in der Notaufnahme oder beim Rettungsdienst landen.

Wer "patientenfreundlichere" Sprechzeiten fordert, macht ein paar populistische Punkte, verkennt aber den Alltag in der Arztpraxis. Wie wäre es stattdessen, bei Patienten ein "arztfreundlicheres" Verhalten anzumahnen? Das ist zwar wenig populär, doch immer mehr Mediziner klagen darüber, dass sich Patienten wiederholt Termine geben lassen, dann aber - ohne abzusagen - einfach nicht erscheinen. Ein weiterer Befund: In den Notaufnahmen häufen sich seit Jahren die Fälle von Patienten mit banalen Beschwerden.

Luxus-Situation in Deutschland

In einem wohlhabenden Land gehört die flächendeckende medizinische Betreuung zwar zur Daseinsvorsorge. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Anspruch auf Arztpraxen mit 24-Stunden-Service. Wer einen Termin beim Doktor wahrnimmt, sollte sich des Privilegs bewusst sein, dass ihm der Luxus einer freien Arztwahl zusteht und überall im Land zumeist rasch geholfen wird. Dafür kann man sich durchaus an die vorgegebenen Sprechstunden halten und zum vereinbarten Termin erscheinen. Für alles andere gibt es Notdienste, Rettungsstellen und Krankenhäuser, übrigens auch so dicht gewoben wie in sonst keinem anderen Flächenland.

Wenn Ärzte am Mittwoch und Freitag ihre Praxis bereits zur Mittagszeit zusperren, verschwinden sie übrigens nur selten auf den Golfplatz oder die Segelyacht. Vielmehr telefonieren sie noch stundenlang Befunden hinterher, schreiben Arztbriefe und sitzen tagelang an der vorgeschriebenen Dokumentation. Ärzte in dieser Hinsicht zu entlasten, wäre eine lohnende Aufgabe für Kassen und Politik - und käme auch den Patienten zugute, weil den Medizinern dann mehr Zeit für sie bliebe.

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