Serie: Frauen machen Politik:"Migranten sind genau wie Frauen diskriminiert in ihrer Rolle"

Migrantinnen in der Politik: Daniela di Benedetto (SPD), Mursal Noorzai (CSU) Gülseren Demirel von den Grünen.

Migrantinnen in der Politik, von links: Daniela di Benedetto (SPD), Mursal Noorzai (CSU) Gülseren Demirel von den Grünen.

(Foto: Stefan Rumpf, Collage SZ)

Und beide Gruppen sind in der Politik unterrepräsentiert. Was kann man tun? Gespräche mit drei Münchnerinnen mit Migrationshintergrund, die sich engagieren.

Von Elisa Britzelmeier

Der Landtag sollte längst bereit sein für Gülseren Demirel. Aber zwei Monate nach der Wahl hat die neue Abgeordnete noch kein Büro, so viele Grüne sind eingezogen. Ein Treffen im Besprechungsraum also. Auf den Gängen stehen noch Möbel. Demirel bietet Halsbonbons an, sie lächelt genauso wie auf ihren Wahlplakaten. Sie ist eine der neuen Grünen-Abgeordneten, 54 Jahre alt, sie saß jahrelang im Münchner Stadtrat, aber dass Menschen wie sie in der Politik ihren Platz haben - Frauen also, noch dazu Frauen mit Migrationshintergrund - ist immer noch nicht die Regel.

Mehr als 40 Prozent der Menschen, die in München leben, haben Migrationserfahrung. In ganz Bayern ist es jeder Fünfte, und Frauen sind die Hälfte der Bevölkerung. Im Bayerischen Landtag aber, das steht auf dessen offizieller Homepage, gibt es nach wie vor wenige Politiker mit Migrationshintergrund - "die Zahl der Abgeordneten bleibt auch in den nächsten fünf Jahren im einstelligen Bereich." Und: 55 Frauen sehen sich 150 Männern gegenüber. Weil der Landtag noch nicht bereit ist?

Gülseren Demirel wurde als Kurdin in der Türkei geboren und kam als Erstklässlerin nach Deutschland. Sie weiß, dass Migrantinnen auch in anderen politischen Gremien unterrepräsentiert sind. Warum? Ihr fallen viele Gründe ein, als erstes sagt sie: "Es braucht parteipolitische Arbeit." Über alle Parteien hinweg sieht sie zu wenige Migranten vertreten, Männer wie Frauen, selbst in ihrer eigenen. Weil sich die Parteien noch nicht schwerpunktmäßig dieser Zielgruppe zuwenden, wie sie sagt. Man müsste Migrantenvereine gezielt ansprechen, sich vorstellen, so wie das bei Senioren und Jugendlichen bereits gemacht werde. Dazu kommt, dass der Anteil der Nichtwähler unter Migranten höher ist, wie Analysen zeigen, und der Weg in ein Gremium da noch weiter wirkt.

Demirel trifft immer wieder junge Frauen, die sich ehrenamtlich in Vereinen und Migrantenorganisationen engagieren, für die es aber unwirklich erscheint, bis in die Spitzenpolitik zu kommen. Die stellen ihr dann ungläubige Fragen, und sie sagt: Es braucht einen langen Atem, aber es ist nicht unerreichbar. Sie sagt ihnen: Es ist wichtig, sich einzumischen, weil es einen Unterschied macht, wer über Integration spricht, "ob ich über diese Themen diskutiere oder ob andere über Migrantinnen reden". Sie überlegt, wie sie nun Praktika im Landtag gezielt für junge Frauen mit Migrationshintergrund anbieten kann.

Und sie denkt, dass es ohne eine Frauenquote nicht geht. "Dass Gleichberechtigung ohne neue Spielregeln funktioniert, ist eine Illusion", sagt sie. Bei den Grünen gibt es die Quote für Ämter und Mandate, Frauen sind dort stärker vertreten, Migrantinnen trotzdem wenig. Bräuchte es also zusätzlich eine Migrantenquote? Demirel ist da zwiegespalten. Vielleicht als letzter Ansatz, wenn andere Versuche, die Strukturen durchlässiger zu machen, scheiterten. Aber als doppelte Quotenfrau will wohl keine disqualifiziert werden. Sie hat ohnehin das Gefühl, sich beweisen zu müssen, sagt Demirel, im Landtag noch einmal neu: "Wenn der Mann eine kämpferische, emotionale, laute Rede hält, gilt er oft als engagiert. Wenn es die Frau macht, gilt sie oft als hysterisch."

Wer sich mit Migrantinnen in der Politik befasst, schaut auf zwei Themen gleichzeitig: die Rolle von Frauen in der Gesellschaft und die Rolle von Menschen mit Migrationshintergrund. Wie beide zusammenhängen, erklärt Gülseren Demirel so: Als Frau hat man viele gemeinsame Probleme. Aber die Probleme von Frauen mit Behinderung heben sich zusätzlich ab, genauso wie die von homosexuellen Frauen - oder eben die von Frauen mit Migrationsgeschichte.

"Von dir Migrantin lass' ich mir doch nicht sagen, wen ich zu wählen habe", "kümmern Sie sich erst mal um Ihr Land", solche Sprüche hat sie am Infostand schon früher gehört. Im vergangenen Landtagswahlkampf wurde sie besonders heftig attackiert, von deutschen Rechten genauso wie von türkischen. Am Ende dachte sie sich: Jetzt erst recht. Zu sagen, es hätte nichts mit ihr gemacht, wäre gelogen. Für sie ist Heimat: Deutschland und Türkei. Nun fühlte sie sich, als würde sie von beiden Seiten heimatlos gemacht. "Da negiert man meine Erinnerungen, meine Verbundenheit, meine Gefühle. Da wird etwas aberkannt, was Teil deiner Identität ist." Sie fühlte sich verloren, wie damals in der ersten Klasse, als alle Deutsch sprachen und sie nichts verstand. Das Gefühl ist weniger geworden, aber es ist da. Etwa, wenn im Landtag die AfD redet.

Daniela di Benedetto, 44, kam vor 18 Jahren aus Sizilien nach München. Man hört das am Telefon, auch wenn man sie auf Deutsch gut versteht. Weiß sie selbst. Sie merkt, wie ihr Akzent immer wieder auf Ablehnung stößt, verhalten, aber spürbar. "Dabei höre ich in Gremien oft nur Bairisch", sagt sie und lacht. Sie ist SPD-Mitglied, sitzt im Bezirksausschuss 25, Laim, und ist Präsidentin von Comites, dem Komitee für im Ausland lebende Italiener. "Migranten sind genau wie Frauen diskriminiert in ihrer Rolle", sagt sie. Auch die Männer. Selbst wer auf große Zustimmung stoße, lande mit sichtbarem Migrationshintergrund oft eher auf einem der unteren Listenplätze. Offen würde das aber keiner so zugeben.

"CSU und Ausländerin" ist für Noorzai kein Widerspruch

Dass es bei 30 000 Italienern in der Stadt keinen einzigen im Stadtrat gibt, findet sie unmöglich. Manche hätten den Anspruch, so integriert zu sein, dass sie gar nicht groß auffielen und Deutsche genauso für sie sprechen könnten. Dabei sei es kein Widerspruch, die eigene Identität zu betonen und sich gleichzeitig zu engagieren, im Gegenteil, findet Di Benedetto. "Ein Bürger mit Migrationshintergrund, der nicht selbstbewusst ist, verliert die Verbindung zu seinem Bürgerstatus." Der lebe für sich, konzentriere sich auf Arbeit, Familie, die kleinen Pflichten. Ohne das Gefühl eines gesellschaftlichen Zusammenhangs.

Anruf bei Mursal Noorzai, 27, CSU-Mitglied. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Migrantinnen gerade am Anfang andere Sorgen haben, als sich politisch zu engagieren. Noorzai ist Afghanin und studierte in Pakistan, bis sie 2011 nach Deutschland kam, ohne Familie. Ihr Studium konnte sie nicht fortsetzen, sie lernte erst einmal die Sprache, putzte auf Minijobbasis, betreute fremde Kinder. Inzwischen arbeitet sie im IT-Bereich. In der CSU organisiert sie Veranstaltungen oder hilft im Wahlkampf.

Früher war sie Klassensprecherin, und heute findet sie: Man muss nicht Minister sein, um etwas verändern zu können. Doch viele Migranten hätten das Gefühl, nicht zu zählen. Sie hat Afghanen kennengelernt, die wenig über Deutschland wissen, obwohl sie hier leben, die "wegen ein, zwei schlechten Erfahrungen die Deutschen ablehnen". Für sie gehört ihr politisches Engagement dazu, um ein Teil dieses Landes zu sein. Und: Sie will zeigen, dass es geht - den "Leuten meiner Kultur", wie sie sagt, als Vorbild. Und den Deutschen.

"CSU und Ausländerin", das ist für sie kein Widerspruch. Sie hat in der Partei noch nie Ablehnung erfahren, sagt sie. Und sie findet gut, dass die CSU die bayerische Kultur bewahren wolle. Noorzai bewundert Angela Merkel, "ich liebe diese Frau, wie sie zwischen hundert Männern steht und Stärke ausstrahlt und motiviert ist". Frauen aus Ländern wie Afghanistan hielten sich immer noch zurück. Weil das kulturell von ihnen erwartet werde, sagt sie, auch wenn sich viel geändert habe. Oder weil sie in ihren Familien auf Schwierigkeiten stoßen. Sie meine das nicht wertend, aber "manche brauchen vielleicht Motivation, damit sie sich etwas zutrauen". Noorzai spricht viel darüber, dass die Frauen aktiv sein müssen, sich interessieren, die Möglichkeiten nutzen. Mangelnde Präsenz liegt in ihren Augen auch daran, dass Frauen oft andere Prioritäten setzten. Sie spricht viel über das Individuum, ihre Kolleginnen von SPD und Grünen mehr über die Strukturen.

Alle drei verbindet, dass sie aus politisch interessierten Familien kommen. Und dass sie immer wieder bei Themen landen, die nicht nur Migrantinnen betreffen, etwa, dass Frauen sich immer noch "primär für die Familie verantwortlich fühlen", wie Gülseren Demirel sagt. Inzwischen gibt es bei den Grünen Parteitage mit Kinderbetreuung und keine Sitzungen an Sonntagen mehr. Vor 30 Jahren, als ihre Tochter klein war und Demirel alleinerziehend, war sie es gewöhnt, selbst nach Unterstützung zu suchen. Sie rief dann eben Freunde an.

Als Daniela di Benedetto nach Bayern kam, war sie überrascht von den Frauen, die sie hier kennenlernte - sie hatte das Gefühl, als kleines sizilianisches Mädchen viel freier groß geworden zu sein. Als sie mit vier Monate altem Baby wieder Vollzeit arbeitete, warfen andere ihr das vor. Sie sah: Sobald ein Kind da ist, geben viele Frauen ihre Unabhängigkeit auf. Während Männer kaum gefragt werden, wie sie Beruf, Politik und Kinder unter einen Hut bringen, hört sie das permanent. Um Migrantinnen in der Politik sichtbarer werden zu lassen, braucht es also viel mehr. Es braucht einen gesellschaftlichen Wandel, angefangen bei der Erziehung. Di Benedetto sagt es so: "Wenn die Eltern von heute anfangen würden, sofort gleichberechtigt zu leben - nicht nur gesetzlich, sondern auch in der persönlichen Wahrnehmung - dann wäre eine echte Veränderung bald erreicht."

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