Medizin:"Man fühlt sich nicht so hilflos, wenn man die Dinge selbst in die Hand nimmt"

Schminkkurs Krebspatienten Krebs

Schminkkurs für krebskranke Frauen im Krankenhaus Rechts der Isar.

(Foto: Catherina Hess)

Im Schminkseminar am Klinikum rechts der Isar bekommen Krebspatientinnen wertvolle Tipps - doch es geht um viel mehr als nur Kosmetik.

Von Franziska Gerlach

Kathi trägt ihre Glatze so, als wäre sie ein wunderschönes Abendkleid. Auch wenn sie damit in der Münchner U-Bahn manchmal irritierende Blicke kassiert, wie sie erzählt. Sie hat sich dafür entschieden, offen damit umzugehen. Denn zu ihrer Krebserkrankung gehört die Glatze. Vor anderthalb Jahren hat Kathi erfahren, dass Brustkrebs in ihrer Familie vererbt werden kann. Ihre Oma, ihre Tante und auch ihre Mutter sind daran erkrankt. Und auch Kathi, 30, trägt das Gen, das für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich ist.

In diesem Herbst wollte sie sich die Brüste eigentlich abnehmen lassen, "präventiv", wie sie sagt. Doch soweit sollte es nicht mehr kommen. Im Sommer, nur wenige Monate vor der geplanten Operation, ertastet sie einen Knoten in ihrer Brust, ein Tumor.

Seitdem kämpft sie gegen die Krankheit. Die Freude am Leben hat sie dennoch nicht verloren. Einmal hat sie an einem Fotoshooting für Krebspatientinnen teilgenommen. Sie mag den Austausch mit anderen, wie Kathi erzählt. Jetzt sitzt sie mit anderen Frauen im Schminkseminar für Krebspatientinnen am Klinikum rechts der Isar. Wimperntusche und Lidschatten betonen ihre blauen Augen, Rouge hat ihr Frische auf die Wangen gezaubert, die Lippen hat sie in einem kräftigen Rosé-Ton angemalt.

Deutschlandweit erkranken jedes Jahr 230 000 Frauen an Krebs. Viele müssen eine Chemo- und Strahlentherapie machen. Die Haare fallen aus, viele verlieren auch Augenbrauen und Wimpern. Die Haut verändert sich während der Chemotherapie, oft wird sie trocken und empfindlicher, manche Patienten bekommen Pickelchen oder wunde Stellen. "Da müssen wir also erst recht liebevoll sein", sagt Ivonne Baumann, die das Seminar leitet. Mit der Haut, und mit sich selbst.

Ein kleiner Raum im Untergeschoss der Frauenklinik. Auf dem Tisch stehen Taschen mit Kosmetikprodukten und sieben Schminkspiegel, einer für jede Frau. Tiegel mit Make-Up, Lidschatten und Puder befinden sich in den Taschen, Wimperntusche, Lippenstifte und solche, mit den sich die Augenbrauen nachziehen lassen. "Haare waschen wir heute nicht", sagt Baumann. "Wird auch schwierig", sagt Veronika, 38 Jahre alt, Brustkrebspatientin, Glatze. Es ist ein Kurs wie jeder andere. Die Leiterin läuft von Teilnehmerin zu Teilnehmerin, gibt Tipps, wenn die Frauen Fragen haben. Korrigiert, wenn die Frauen etwas falsch machen. Und doch ist dieser Kurs hier etwas Besonderes, denn es geht um viel mehr als nur Kosmetik.

Reinigen? Am besten mit der sanften Lotion aus der Tasche. Veronika träufelt ein paar Tropfen auf einen Wattepad, kreiselt über ihren kahlen Hinterkopf. "Das fühlt sich gut an", sagt sie.

Silke ist eigentlich wegen der Schminktipps gekommen. Wie zaubert man sich mit Rouge und Pinsel Frische ins Gesicht, wie lassen sich lichter werdende Augenbrauen korrigieren? "Ich habe mich auch auf die anderen Frauen gefreut", sagt die 48-Jährige. Auf den Austausch, den Rückhalt. Überhaupt, sagt sie, sei die Solidarität unter Krebspatienten groß. Das sei auch bei der Therapien so, wenn mehrere Frauen gleichzeitig ihre Infusionen bekämen.

Der Kurs ist auch eine Ablenkung

Anita, 41, tupft Abdeckstift unter ihre Augen, nur ganz wenig. Braune Augen, raspelkurze graue Haare. Drei Mal war sie zur Chemotherapie, geholfen haben die Medikamente, die über eine Infusion in ihren Körper flossen, der Brustkrebspatientin letztlich nicht. Nun wird sie operiert. "Ist zu viel, oder?", sagt sie und setzt den Stift ab. Es ist ihr erstes Schminkseminar überhaupt, denn eigentlich sei sie gar nicht der Typ für ein aufwendiges Make-Up. Sie ist auch gar nicht so sehr wegen der Schminktipps gekommen, sondern um sich abzulenken. Damit die Fragen im Kopf zumindest einmal für zwei Stunden aufhören. Schlägt die Therapie an, wird die Operation helfen?

"Das fand ich echt gruselig, keine Augenbrauen zu haben", sagt Veronika. Die würden einem Gesicht nämlich Kontur verleihen. "Und ohne sieht man aus wie ein Geist." Baumann empfiehlt: "Ihr lächelt euch an, ihr schaut nicht böse in den Spiegel." Es klingt wie ein Befehl, dabei ist diese Anordnung eigentlich gar nicht nötig.

Kathi hat den Abschied von ihren Locken regelrecht geplant. "Ich wollte keine Haare auf dem Schal, oder morgens im Bett", sagt sie. Eine Freundin rasiert ihr alles ab, bevor die Haare von selbst ausgefallen sind. Dieses Planen, die Organisation von Arztterminen und Therapien, war für sie auch ein Weg, sich nicht in der Trauer und Verzweiflung zu verlieren. "Man fühlt sich nicht so hilflos, wenn man die Dinge selbst in die Hand nimmt."

Schminken steigert das Selbstwertgefühl. "Es gibt dem Gesicht einen besonderen Ausdruck", sagt Kathi. "Und die Glatze nimmt man dann so hin."

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