Prozess:16 Minuten für einen spektakulären Coup

Millionenschwere Goldmünze gestohlen - Prozessauftakt in Berlin

"Wissen und Staunen": Einer von vier Angeklagten, der im Januar 2019 im Prozess wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin vor Gericht steht.

(Foto: Paul Zinken/dpa)
  • Seit diesem Donnerstag geht es vor dem Berliner Landgericht um einen Coup, der weltweit für Aufsehen sorgte: das Verschwinden einer riesigen Goldmünze, der "Big Maple Leaf", aus dem Berliner Bode-Museum.
  • Im März 2017 sollen zwei Brüder zusammen mit ihrem Cousin die Münze gestohlen und danach zersägt und verkauft haben.
  • Drei Tatverdächtige und ein mutmaßlicher Komplize müssen sich vor Gericht verantworten.

Aus dem Gericht von Verena Mayer

Dass sie möglicherweise für einen der spektakulärsten Museumsdiebstähle der jüngeren Geschichte verantwortlich sind, lassen sich die jungen Männer nicht anmerken. Mit hängenden Köpfen schlurfen die Brüder Ahmed und Wayci R. in den Gerichtssaal und setzen sich zwischen ihre Verteidiger auf die Anklagebank.

"Ich bin Schüler", sagt der 20-jährige Ahmed R., als die Richterin ihn nach seinen Personalien fragt. Sein vier Jahre älterer Bruder Wayci gibt zu Protokoll, dass er an der Beuth Hochschule für Technik studiere, man versteht die beiden aber kaum, weil sie so nuscheln. Dann sagen sie nichts mehr, und die nächsten Stunden werden die Brüder sich mit großen Augen im holzgetäfelten Schwurgerichtssaal umsehen, als wüssten sie nicht, warum sie hier sind.

Nur am Andrang im Zuschauerraum merkt man, dass es Donnerstagmorgen vor dem Berliner Landgericht um einen Coup geht, der weltweit für Aufsehen sorgte: das Verschwinden einer Goldmünze, groß wie ein Autoreifen und schwer wie eine Waschmaschine. Im März 2017 sollen die Brüder zusammen mit ihrem Cousin Wissam R. die "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen und danach zersägt und verkauft haben, Gold im Wert von 3,7 Millionen Euro. Als die Pressefotografen zur Anklagebank drängen, um Fotos der Brüder zu machen, hält sich Wayci R. eine Zeitschrift vor das Gesicht. Ihr Titel lautet "Wissen und Staunen".

Zu staunen gibt es einiges

Das dürfte so etwas wie das inoffizielle Motto des Prozesses sein. Zu staunen gibt es nämlich einiges. Allein der Weg, den die Diebe zurücklegten, um an die Münze zu kommen. Ein Kriminalbeamter, der am Morgen nach dem Einbruch am Tatort war, zählt die Stationen auf: Von den Gleisen des nahe gelegenen S-Bahnhofs Hackescher Markt ging es über eine Leiter durch ein Fenster in eine Umkleidekabine des Museumspersonals. Von dort durch Treppenhäuser, Flure, Schauräume und Türen, die sich nur in eine Richtung öffnen lassen, ins Münzkabinett, Raum 243.

Und das alles musste innerhalb von 16 Minuten geschehen, denn so lange befand sich der in dieser Nacht zuständige Wachmann auf seinem Rundgang in einem anderen Teil des Museums. Derselbe Weg dann zurück - diesmal mit einem Rollbrett, auf dem die Goldplatte lag. Der Kriminalbeamte erinnert sich noch gut, wie er das Schild an der Vitrine las: "Ich dachte, es fehlt eine Münze, aber da stand: hundert Kilogramm."

Wie es mit dem Wissen aussieht, ist eine andere Frage. Der Verteidiger des vierten Angeklagten sagt, es gebe "keine gesicherten Erkenntnisse" - ob die drei R.s etwas mit dem Diebstahl zu tun haben und ob ihnen sein Mandant Denis W. dabei geholfen habe. Der 20-jährige Schüler war Wachmann im Bode-Museum und soll der Staatsanwaltschaft zufolge für die drei R.s den Tatort ausgekundschaftet haben, unter anderem mit Selfies, die er im Museum machte. Ihm kam die Polizei als Erstes auf die Spur, in seinem Auto wurde ein Flyer des Museums gefunden. "Bei Ihnen tauchen auch mal andere Namen auf, oder?", fragt die Richterin. Denis W. nickt, er hatte mehrere Alias-Namen und war der Polizei bereits aufgefallen, als er getankt hatte, ohne zu bezahlen.

Die Berliner Großfamilie R. war in den vergangenen Jahren immer wieder mit spektakulären Einbrüchen aufgefallen

Und er hat einen Schulfreund mit einem bekannten Namen: Ahmed R. Die drei R.s entstammen der Berliner Großfamilie R. Die war in den vergangenen Jahren immer wieder mit spektakulären Einbrüchen aufgefallen. So soll ein Mitglied 2014 an der Plünderung einer Bank beteiligt gewesen sein. Damals wurden mehrere Hundert Schließfächer aufgebrochen und Münzen, Geld und Gold im Wert von zehn Millionen Euro gestohlen. Danach sprengten die Täter die Sparkasse.

Auch Schüler Ahmed R., der so verträumt in den Saal guckt und hin und wieder an einer Cola nippt, ist der Justiz bekannt. Sein Strafregister umfasst bereits etliche Einträge, darunter Diebstahl mit Waffen und gefährliche Körperverletzung, erst vor einigen Monaten wurde er zu 40 Stunden Freizeitarbeit verurteilt. Über Monate überwachten die Ermittler daraufhin die Familie R., telefonisch und über Vertrauenspersonen, Autos wurden per GPS verfolgt. Die drei R.s sollen zudem die drei vermummten Gestalten sein, die auf Bildern einer Überwachungskamera vom S-Bahnhof Hackescher Markt zu sehen sind, über den die Diebe ins Museum kamen.

Es wurden Goldspuren in einem Auto und an Kleidungsstücken gefunden, und die R.s sollen im Internet zum Goldpreis recherchiert haben. Denis W. wiederum fiel der Staatsanwaltschaft zufolge mit teuren Anschaffungen auf. Er soll sich wertvollen Schmuck geleistet und in einen Laden investiert haben. Alles nur Indizien, die als Tatsachen ausgegeben würden, sagt hingegen ein Verteidiger von Denis W. "Es gab ein anderes Geschehen."

Fest steht, dass im Bode-Museum einiges schief gelaufen sein muss

Seiner Ansicht nach hat sich der Wachmann, der in jener Märznacht Dienst hatte, verdächtig gemacht. Er habe Pläne des Museums gehabt und sei in jener Nacht vorschriftswidrig unterwegs gewesen. Statt vom zweiten in den ersten Stock zu gehen, sei er in den Keller gelaufen. Seltsam sei auch, dass er nichts gehört haben will, als die Diebe die Vitrine zerschlugen, in der sich die Goldmünze befand. "Könnten sich Täter im Museum versteckt haben?", fragt dann auch ein Verteidiger den Kriminalbeamten. Nein, das sei wegen der Alarmanlage nicht möglich, sagt der Zeuge.

Fest steht allerdings, dass im Bode-Museum einiges schiefgelaufen sein muss. Wie einem Bericht der Zeit zu entnehmen ist, war Denis W. nicht direkt beim Sicherheitsdienst des Museums angestellt, sondern kam über ein Subunternehmen zum Wachpersonal. Mitarbeiter des Museums sollen bereits sechs Tage vor dem Diebstahl der Big Maple Leaf Spuren eines Einbruchversuchs entdeckt haben. Geschehen sein soll der Zeit zufolge jedoch nichts, bei der Polizei wurde keine Anzeige erstattet. Dazu war möglicherweise schon seit 2013 ein Fenster kaputt und nicht mit einer Alarmanlage gesichert - genau jenes zum Umkleideraum des Wachpersonals, durch das die Diebe hinein- und auch wieder hinausgelangten. Mit einer Schubkarre sollen sie die Münze über den S-Bahndamm gebracht und in den Monbijoupark bugsiert haben. Dort wurde später ein Seil gefunden.

Wenn am Montag der Prozess weitergeht, ist auch jener Mitarbeiter als Zeuge geladen, der für die Sicherheitssysteme der Staatlichen Museen Berlin zuständig ist. Er wird viele Fragen beantworten müssen.

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