Ach, Österreich:Auf Ibiza sind wir alle gleich

Austria To Hold Legislative Elections

Hauptsache die Geschichte lautet: Gegen die da oben. Das ist das Narrativ der Rechten in Österreich. Ein FPÖ-Wahlplakat aus dem Jahr 2017.

(Foto: Getty Images)

Rüpel in Rebellenpose: Warum bekam die FPÖ trotz ihres bizarren Skandals so viele Stimmen bei der Europawahl? Alles eine Frage der Empathie.

Von David Schalko

Und plötzlich war alles anders. Nach Monaten der Zermürbung durch die FPÖ ging in Österreich wieder die Sonne auf. Jene Sonne, die für die liberale Gesellschaft sprichwörtlich vom Himmel gefallen war. Ein Video aus dem sonnigen Ibiza hatte den Heldenplatz zum Tanzen gebracht. Wien hatte seinen David-Hasselhoff-Moment. Kanzler Kurz sagte: Genug ist genug. Und die Kronen-Zeitung titelte in großen Lettern: FPÖ am Ende! Ein Naturgesetz in Österreich. Wenn die Krone jemanden für tot erklärt, dann steht derjenige nicht mehr auf.

Und dann die Ernüchterung. Am Sonntag bei den EU-Wahlen verlor die tote FPÖ kaum Stimmen. Sebastian Kurz fuhr einen Rekordsieg ein. Die SPÖ, die hysterisch lachende Verliererin, verstand die Welt nicht mehr. Und stürzte am nächsten Tag gemeinsam mit der FPÖ den Kanzler im Parlament. Österreichisches Welttheater. Wie langweilig wäre es in Europa, wenn wir es nicht hätten.

Aber wie kann es sein, dass trotz des bizarrsten politischen Skandals der zweiten Republik so viele die Ibiza-Fraktion wählten? Am Tag davor hatte der Bundespräsident noch gesagt: Wenden Sie sich nicht ab, Österreich ist nicht so. Abgewendet hat sich niemand. Die Wahlbeteiligung war ungewöhnlich hoch. Aber ob Österreich nicht doch so ist, wie es Thomas Bernhard in "Heldenplatz" beschrieben hat, steht als berechtigte Frage im Raum. Sind die FPÖ-Wähler ein Haufen moralisch versauter Primitivlinge, denen es egal ist, ob ihr Häuptling das Trinkwasser an Russen verhökert, und der Journalisten als Huren bezeichnet? Oder finden sie es sogar irgendwie geil, dass sich jemand ähnlich deppert geriert wie sie selbst, wenn sie betrunken sind? Vizekanzler hin, Vizekanzler her. Auf Ibiza sind wir alle gleich.

Fakt ist: Die FPÖ hat den Spin gedreht und Empathie für sich erzeugt. Treu bis in den politischen Rufselbstmord kann man sagen. H.C. Strache hat einen Tsunami an Vorzugsstimmen eingefahren und könnte sich den nächsten Ibiza-Urlaub mit EU-Geld finanzieren lassen. Als vernunftbegabter Mensch, ein Attribut mit dem man längst keine Politik mehr deuten kann, versucht man zu verstehen, was da passiert ist. Vielleicht hilft es, wenn man sich die Grundthesen der Empathieforschung ansieht. Weil faktisch braucht man Ibiza-Gate nicht analysieren.

"Jetzt erst recht" - mit diesem Slogan lassen sich Loyalität und Mutterinstinkte aktivieren

Einer der wesentlichsten Motoren der Empathie heißt Ähnlichkeit. Je ähnlicher Aussehen und Verhalten, desto mehr Empathie. Nun könnte man konstatieren, dass der typische FPÖ-Wähler vermutlich im Urlaub ähnlich schlecht angezogen ist wie die beiden im Video. Und auch das aufschneiderische Gehabe dürfte der männlichen Wählerschaft nicht fremd sein. Es ist kein Zufall, dass Strache immer wieder darauf hinweist, dass wir alle schon betrunken waren und viel Blödsinn geredet haben. Kopfnicken der FPÖ-Wählerschaft. Wo er recht hat, hat er recht. Ja, ich trinke auch gern. Ja, ich habe längst aufgehört, mich zu genieren. Ja, die Russin war geil. Ja, ich hätte auch gern 250 Millionen. Ja, ich bin wie Strache ebenfalls zu dumm für das große Verbrechen, aber genau das macht ihn doch am Ende anständig.

Jeder Drehbuchautor kennt das Phänomen der emotionalen Ansteckung. Wenn jemand gähnt, dann gähnen wir mit. Wenn jemand weint, dann weinen wir mit. Wenn jemand kämpft, dann kämpfen wir mit. Auf diese emotionale Ansteckung wird Strache zunehmend setzen. Wir werden immer mehr Einblick in sein Privatleben bekommen. Er wird uns Anteil nehmen lassen an seinem Kampf. Es wird sehr bald nicht mehr um den Inhalt des Videos gehen, sondern darum, wer es angefertigt hat. Aber vor allem darum, was es mit den Betroffenen anstellt. Um Empathie zu erzeugen, braucht es vor allem nachvollziehbares Leid. Man weiß zum Beispiel, dass wir mit einem akut Erkrankten mehr Mitleid haben als mit einem chronischen Fall. Die Plötzlichkeit der Zwischenfälle, die Straches Leben auseinandergerissen haben, spielt ihm in die Hand.

Bei Empathie geht es nie um Fakten, sondern ausschließlich um Parteinahme. Wenn man sich einmal für jemanden entschieden hat, dann verlässt man ihn nicht mehr so schnell. Egal wie miserabel sein Verhalten ist. Das hat vielleicht damit zu tun, dass auch für einen selbst eine Welt zusammenbricht. Immerhin haben sich ein Drittel der Österreicher dafür entschieden, mit Strache zu gehen. Diesen Weg, der mit viel Emotion und Hoffnung verbunden war, abrupt zu unterbrechen, geht vielen gegen den Strich. Da schluckt man einiges hinunter, um sich selbst vor dem Totalirrtum zu bewahren. Wenn man da an die Großelterngeneration denkt, die selbst den Nationalsozialismus noch verteidigt hat, erscheint einem das nachvollziehbar. Daraus resultiert ein Verhalten, das dem Slogan "Jetzt erst recht" gehorcht, den die FPÖ naturgemäß strapazierte. Auch Trump, ein ähnlicher Fall, benutzt diese Rhetorik immer dann, wenn die Anhänger an ihm und damit auch an sich zu zweifeln beginnen. "Jetzt erst recht" aktiviert die männliche Energie der Loyalität auf Biegen und Brechen, aber auch den mütterlichen Beschützerinstinkt.

Man darf auch die Langeweile in dem Spiel nicht unterschätzen. Mit großer Spannung wird erwartet, wie derjenige da wieder rauskommt. Wie wird er sich aus dieser Sache winden? Das wird irgendwann wichtiger als die Sache selbst. Wir spielen dieses Szenario innerlich nach. Und schon ist sie da. Die Empathie. Ein Grund, warum die Wähler Trump noch immer die Stange halten. Und sich Berlusconi so lange an der Macht hielt. Diese Form der Unterhaltung wird von vielen geschätzt. Abgesehen davon interessiert uns der Klatsch ohnehin mehr als die langweiligen Fakten. Hat man jetzt Drogen genommen oder nicht? Kam es zum Gruppensex? Stimmt es, dass Gudenus einen Suizidversuch unternommen hat? Wer war die russische Hure? Wen interessiert da noch das Trinkwasser oder die Kronen-Zeitung?

Auch wird die moralische Frage ständig ausgeklammert. Die Verklausulierung "Ich war naiv" sagt eigentlich nur: Ich habe zwar etwas Falsches gemacht, aber vor allem war ich so ungeschickt und habe mich dabei erwischen lassen. Unter FPÖ-Wählern ist Naivität eine moralische Instanz. Wer so blöd ist, kann kein schlechter Mensch sein. Der H.C. ist einer von uns. Wir halten zusammen. Wir gegen die anderen. Deshalb spricht Strache auch ständig von einem Attentat auf sich. Und meint damit "auf uns". In ganz größenwahnsinnigen Momenten ist sogar von einem Anschlag auf die Republik die Rede. Die Rechten waren schon immer Meister darin, sich selbst mit Österreich gleichzusetzen. Auch das schafft Empathie. Strache wird es nicht nur als Verschwörung gegen sich, sondern vor allem als Verschwörung gegen den FPÖ-Wähler inszenieren.

Nationalsozialismus ist in Österreich wie Herpes. Jeder hat ihn. Nicht bei allen bricht er aus

Je mehr man den FPÖ-Wähler daher als Idioten abstempelt, der jetzt endlich aufwachen soll, desto stärker bindet er sich an die Partei. Bei Schuldzuweisung rotten sich alle zusammen. Und wenn sich einer herablässt, dies überhaupt als österreichische Verdorbenheit darzustellen, was deutsche Medien im Übrigen gerne tun, desto eher treibt man die Wähler wieder in die Hände dieser falschen Patrioten. Ein Angriff auf die Republik eben. Die sich in Weinseligkeit wieder verbindet. Nietzsche hat einmal gesagt: "Nur der gescheiterte Mensch braucht Empathie." Gemeinsam scheitert es sich besser. Besonders betrunken. Dieses Gefühl soll jetzt als Grundgefühl hergestellt werden. Weg von der Stärke, hin zum gemeinsamen Schwächeln.

Trotzdem braucht Empathie vor allem das Leiden des anderen. Mitleid ist bekanntlich leichter abzurufen als Mitfreude. Deshalb steht der Opfermythos so im Vordergrund. Darin ist nicht nur die FPÖ geübt, sondern das ganze Land. Nicht umsonst hat sich Österreich nach dem Nationalsozialismus zum ersten Opfer stilisiert. Strache ging dabei schon einmal so weit, die FPÖ als die neuen Juden zu bezeichnen. Auch Norbert Hofer hat diese Metapher erst kürzlich strapaziert, indem er den SPÖ-Spitzenkandidaten der EU-Wahl, Andreas Schieder, mit Hitler verglich, weil dieser den Rechtsextremismus als Bazille bezeichnete und das sei die Sprache des Nationalsozialismus. So vermischen sich die Terminologien. In Österreich ist der Nationalsozialismus wie Herpes. Jeder hat ihn, aber nicht bei allen bricht er aus.

Das einzige, was gegen die angeworfene Empathiemaschine noch hilft, ist Ironie. Aber irgendwann ist jeder Witz erzählt. Und irgendwann zählt nur noch das Drastische. Sonst wendet man sich der nächsten Geschichte zu. Und Geschichten liefert die FPÖ genug. Von Einzelfall zu Einzelfall sozusagen.

Daher wird Sebastian Kurz beim FPÖ-Wähler sehr bald an seine natürlichen Grenzen stoßen. Denn dem geht es mittelfristig nicht um die gleiche Politik in anderem Gewand. Er will nicht das Establishmentgehabe von Kurz, auch nicht dessen Richtigmacherei. Er muss sich nicht besser fühlen und das Gleiche ohne Nationalsozialismus bekommen. Es geht da nicht nur um Migration und Ressentiments. Es geht um eine Anti-Establishment-Kampfrhetorik. Das Rüpelhafte ist ein wesentlicher Grund, warum ein Drittel die FPÖ gewählt haben. Da kann man sich als Rebell fühlen. Letztendlich ist es nebensächlich, ob das im nationalsozialistischen Gewand oder einem anderen vonstatten geht. Als Nazi hat man es eben leichter, weil auf die 40 Prozent, die sich dabei echauffieren, Verlass ist.

Hauptsache die Geschichte lautet: Gegen die da oben. Das ist das Narrativ der Rechten. Kombiniert mit einem Opfermythos, der sich mit der Täterideologie des Nationalsozialismus verheiratet. Eine bizarre, aber wirkungsvolle Erzählung. Und eine solche ist wichtig. Weil nur eine funktionierende Erzählung schafft am Ende Empathie. Ein einfaches Beispiel: Der König starb und dann starb die Königin. Das ist keine Erzählung. Der König starb und dann starb die Königin aus Trauer. Das ist eine Erzählung.

Die ÖVP hat ihr Narrativ längst gefunden. Sie erzählt uns von dem jungen starken Mann, von dem im Video auch die eine oder andere Schwäche angedeutet wird - zum Glück! Trotzdem weiß er, was er tut. Und mit empathischem Sadismus werden wir dabei zuschauen, wie aus dem Dorian Gray der Politik allmählich das Gemälde im Keller wird. Das wollen wir sehen. Dafür wird er im Herbst noch einmal gewählt.

Ein empathischer Sadist ist übrigens jemand, der seinem Gegenüber ein großes Leid antut, um dadurch wieder Mitgefühl empfinden zu können. Vielleicht sind wir das ja alle: empathische Sadisten. Zumindest viele, die sich auf der guten Seite wähnen. Ach ja, die sogenannte gute Seite hat noch kein Narrativ gefunden. Weil sie merkt, dass die moralische Überlegenheit keine Erzählung ist.

Der Autor lebt in Wien und ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Fernsehproduzent, Regisseur und Schöpfer der gefeierten Satire-Serien "Braunschlag" und "Altes Geld".

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