Verschwundene Orte:Ein Krankenhaus der ganz anderen Art

Verschwundene Orte: Damals: Das ehemalige Krankenhaus Oberföhring wirkt weniger wie eine Klinik, sondern eher wie eine Wohnsiedlung.

Damals: Das ehemalige Krankenhaus Oberföhring wirkt weniger wie eine Klinik, sondern eher wie eine Wohnsiedlung.

(Foto: Robert Haas)

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Lazarett an der Oberföhringer Straße die einzige funktionsfähige Klinik in der Stadt. Heute ist das Gebäude ein Ort für Kreative.

Von Kathrin Aldenhoff

Krankenschwester Franziska Arnold hat die Bilder von ihrem ersten Arbeitsplatz in ihr privates Fotoalbum geklebt, zwischen die Urlaubsfotos. Auch die Ärztin Christl Weidinger-Lob hat in ihrem Album Bilder vom Krankenhaus Oberföhring: von den Baracken, dem Park und vor allem von den Stationsfesten und den Kollegen. Und vielleicht geben diese Fotoalben ja schon eine Idee davon, wie das Krankenhaus Oberföhring war. Unkonventionell, grün, familiär - so ganz anders als die heutigen Kliniken.

Im Jahr 1939 wurden die Baracken an der Oberföhringer Straße gebaut, ein Luftwaffenlazarett mit 300 Betten für Soldaten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das einzige funktionsfähige Krankenhaus der Stadt - nun wurden die Zivilisten in Oberföhring behandelt. Nach und nach wurden die anderen Krankenhäuser der Stadt wieder aufgebaut und eingerichtet, doch das Krankenhaus Oberföhring blieb in Betrieb - bis zum Mai 1984.

Franziska Arnold arbeitete nur eineinhalb Jahre als Pflegerin im Krankenhaus Oberföhring, auf der Intensivstation im Haus IV, und weiß doch noch zu fast jedem Gesicht auf den Fotos den Namen. Die 58-Jährige sitzt Anfang Juni im Mitarbeiterraum einer der Intensivstationen des Krankenhauses Bogenhausen. Ihre Schicht ist bald zu Ende und sie erzählt von damals: von ihrem ersten Arbeitsplatz am Rand von München. Sie erinnert sich an die kurzen Wege in Oberföhring, daran, wie die Krankenschwestern Laken zwischen die Bäume spannten, um Schatten für die Patienten zu schaffen.

Das frühere Krankenhaus ist jetzt ein bunter Treffpunkt

Und an ihre Gedanken, als sie das "Barackenkrankenhaus", wie sie und ihre Kolleginnen es nannten, als 21-jährige frisch ausgebildete Krankenschwester 1982 zum ersten Mal sah. "Da bist du nicht lang, hab' ich mir gedacht", erzählt sie. "Drei Monate, höchstens, dann such ich mir was Neues." Aber sie blieb. Wegen der Kollegen, der Atmosphäre, wegen der kurzen Wege und des schönen Parks. "Jeder hat jeden gekannt."

Das städtische Krankenhaus Oberföhring gibt es nicht mehr. Dort, wo einst die Pforte des Krankenhauses war, verzaubert nun Liselotte Bothe Kinder mit ihrem Kasperltheater. Dort, wo die Ärztin Christl Weidinger-Lob und ihre Kollegen Patienten operierten, hat heute die Künstlerin Lucia Dellefant ihr Atelier. Und dort, wo die Dienstbaracken waren, graben gerade Bagger die Erde um: Hier wird eine Container-Kita aufgestellt, von kommendem Jahr an sollen dort 280 Kinder betreut werden, während ihre Eltern arbeiten.

Das Gelände an der Oberföhringer Straße ist kein ruhiger Ort geworden, es ist ein Ort voller Leben und Menschen, Fahrräder und Kinderwagen parken vor dem Montessori-Zentrum, in der Baracke gegenüber haben sich ein Schützen- und ein Männergesangsverein eingerichtet, außerdem hat hier die Vereinsgemeinschaft 29 ihr Büro, die den Bürgerpark, wie das Areal heute heißt, am Leben hält.

Christl Weidinger-Lob, 68 Jahre alt, eine kleine energische Frau mit rot gefärbtem Pagenkopf, läuft über das Gelände, einen Korb im Arm, in dem liegen die Erinnerungen an damals: ein Fotoalbum, ein Stapel loser Bilder, ein Zeitungsartikel. Sie braucht die Hilfsmittel gar nicht, läuft und redet, erzählt vom Federballspielen in der Pause, von Liegestühlen im Park und von einer alten Patientin, der sie jeden Abend ein Schlaflied gesungen hat. Als junge Assistenzärztin hat sie sich hier beworben, gerade wegen der Baracken. "Ich dachte, das sei mal was anderes", sagt sie. Und das war es ja auch. Im Oktober 1978 fing sie in der Chirurgie an und sie blieb, bis das Krankenhaus Oberföhring 1984 geschlossen wurde. "Wir haben uns hier unseren Patienten widmen können. Das war wie ein mittelständischer Familienbetrieb."

"Das war der reinste Heiratsmarkt"

Und sie hat hier ihren Mann kennengelernt, "wir waren das vierte Oberföhringer Ärztepaar", erzählt sie. "Das war hier der reinste Heiratsmarkt", fügt Weidinger-Lob hinzu und rattert alle möglichen Kombinationen von diversen Mitarbeitern und Patienten des Krankenhauses herunter, die sich zu Paaren zusammengefunden haben.

Zielstrebig läuft sie geradeaus, von der Pforte zum Haus 9, den Weg, den die Krankenwagen nahmen. Vorbei an Rosen und einer Trauerweide, "die gab es damals schon. Nur der Rasen war gepflegter." Sie läuft eine Rampe hinauf. Dort, wo gerade ein Mann sein Auto putzt, hielten die Krankenwagen und brachten die Patienten, die liegend transportiert werden mussten. An dem einen Ende der Baracke war der Operationssaal, erinnert sie sich. Und dass sie nach einer OP die Fenster öffneten, um die Sonnenstrahlen herein zu lassen.

Seit 35 Jahren wird in der Baracke nicht mehr operiert, seit neun Jahren arbeitet die Künstlerin Lucia Dellefant im ehemaligen OP. Sie hat eine Milchglasscheibe durch eine durchsichtige ersetzen lassen, so dass mehr Licht in ihr Atelier fällt, aber sonst nicht viel verändert. Der Boden ist gelblich gefliest, die Schiebetüren haben Griffe aus Edelstahl. Dort wo ihr Schreibtisch und ihr Bücherregal stehen, wurden früher die Patienten narkotisiert, Christl Weidinger-Lob erzählt von der Anästhesistin und dass alle sie Mutti nannten. Im Winter trugen sie im Nachtdienst Moonboots und Anorak, berichtete die Ärztin, wenn die Wege zwischen den Baracken noch nicht geräumt waren. Auch im Atelier von Lucia Dellefant stehen Moonboots - weil sie im Winter in ihrem Atelier sonst kalte Füße bekommt.

Schon Ende den 60-er Jahren war das Gebäude nicht mehr zeitgemäß

Schon 1969 begann der Stadtrat, ein neues Krankenhaus zu planen. Das ehemalige Luftwaffenlazarett an der Oberföhringer Straße galt als nicht mehr zeitgemäß, die Baracken genügten dem medizinischen Standard nicht mehr. Mehrfachverletzte seien gar nicht erst zu ihnen ins Krankenhaus gebracht worden, erinnert sich Christl Weidinger-Lob. "Aber wir hatten nie Probleme mit Krankenhauskeimen." Die Gebäude waren nicht miteinander verbunden. "Wenn ein Patient geröntgt werden musste und es hat geregnet, haben wir eine Plane übers Bett gelegt und sind losgefahren." Rüber, in die Baracke mit dem Röntgengerät.

Und im Sommer - da waren ohnehin fast alle draußen, Angestellte wie Patienten. Wer gehen konnte, lief unter den Bäumen spazieren, die anderen schoben die Schwestern in ihren Betten an die frische Luft, erzählt Christl Weidinger-Lob. "In einem Haus mit mehreren Stockwerken kannst du das gar nicht machen."

In einem Artikel des Stern aus dem Jahr 1983 schreibt der Autor von Haselnusssträuchern, die ihre Zweige fast bis in die Zimmer der Intensivstation hineinstrecken, und von Patienten, die das Krankenhaus Oberföhring als "Geheimtipp" bezeichnen. Eine schrieb auf eine Patientenkarte, die der Stern abgedruckt hat: "Man sieht, es kommt nicht auf das Äußere (Häuser) an, sondern ob man sich in ihnen wohl fühlt. Und das habe ich getan."

Bürgerpark Oberföhring, Serienteil Krankenhaus Oberföhring der Pfingstferienserie Verschwundene Orte

Ein Teil der Baracken steht heute noch.

(Foto: Florian Peljak)

Die Arbeit von damals und heute könne man nicht vergleichen, sagt Pflegerin Franziska Arnold. "Heute ist es viel anspruchsvoller, weil die Medizin sich stark weiterentwickelt hat." Damals hatte sie eine Sechs-Tage-Woche, Teilzeit gab es nicht. Als im Sommer 1983 ein Bauarbeiter mit Hitzschlag gebracht wurde, organisierten sie von einer Brauerei einen Eisblock, um den Mann zu kühlen. "Er hat es unbeschadet überlebt."

Im Jahr 1977 begannen einen Kilometer weiter südlich die Bauarbeiten für eine moderne Klinik: das Krankenhaus Bogenhausen. Im Dezember 1983 wurde es eingeweiht, Patienten, Ärzte und Pfleger des Krankenhauses Oberföhring zogen 1984 um, in das große Haus mit 1000 Betten; auch Franziska Arnold und Christl Weidinger-Lob. Ursprünglich sollte das Gelände, das der Stadt gehört, verkauft werden.

Die Baracken wurden von Kreativen besetzt

Dass die Baracken noch stehen, ist Schützen, Künstlern und Musikern zu verdanken. Mitglieder der Vereinsgemeinschaft 29 besetzten 1984 die Baracken, als erster Verein zog die Schützengesellschaft Oberföhring-Priel im Juli 1984 in ein Haus. Ein Jahr nach dem Umzug wurden 15 Baracken abgerissen. Aber zwölf blieben stehen.

Zwischennutzungen, Umbau, Baustopp, Richtfest, Brandschutzauflagen und Sanierungen - immer wieder haben Stadt und Vereine um den Bürgerpark gerungen. Heute nutzen mehr als 30 Vereine das Gelände. Squaredancer und die Freiwillige Feuerwehr, ein Montessori-Kindergarten und die Schützen, immer noch. Bis 2025 dürfen sie alle bleiben, so ist es abgemacht mit der Stadt, sagt die Vorsitzende der Vereinsgemeinschaft 29, Karin Vetterle. Was danach passiert - Verhandlungssache.

Krankenschwester Franziska Arnold hat Bilder der Abschiedsfeier in ihr Album geklebt, "letzter Tag in Oberföhring" steht drüber. Sie und ihre Kolleginnen sitzen im Garten, sie haben Tisch und Stühle herausgeholt, ein letztes Mal den Park genießen. Sie sagt: "Jeder, der dort gearbeitet hat, hat nur gute Erinnerungen."

Aber im Krankenhaus Bogenhausen erinnern sich immer weniger an das alte Oberföhringer Krankenhaus. Christl Weidinger-Lob hat vor sieben Jahren aufgehört zu arbeiten. "Es hat der Seele gut getan, hier zu arbeiten", sagt sie und meint damit das Krankenhaus Oberföhring. Ja, Bogenhausen war ein modernes Krankenhaus, dort gab es ganz andere medizinische Möglichkeiten. Sie hat dort immerhin bis 2012 gearbeitet, das sind fast 30 Jahre. Aber Fotos gemacht und in ihr Album geklebt, das hat sie dort nicht mehr.

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