Kunst in der Kreisstadt:Relationen im Raum

Unter dem Titel "Areale" sind in der Alten Brennerei in Ebersberg vier Künstler zu Gast, die aus dem Rahmen fallen wollen: Michael Lukas, Sabine Schellhorn, André Schweers und Brigitta Heidtmann

Von Anja Blum

Mit feinen Kompositionen stellt sich nun ein Quartett in Ebersberg vor - zu hören gibt es allerdings hier rein gar nichts. Dafür umso mehr zu sehen. Unter dem Titel "Areale" haben vier deutsche Künstlerinnen und Künstler die Alte Brennerei im Klosterbauhof in ihr persönliches Reich verwandelt, sie hatten sich mit einem gemeinsamen Konzept beim Ebersberger Kunstverein beworben. Die entscheidende Schnittmenge der Mitglieder des Quartetts nämlich liegt in der Thematisierung des Raumes: "Er wird vermessen, durchschritten, neu definiert - körperhaft-haptisch sowie psychisch in seiner zeitlichen Dimension", schreiben sie. Motive der Vermessung, der Kartografie, des Blicks von oben auf die Welt lassen sich in allen Arbeiten entdecken. Es besteht also eine gewisse Verwandtschaft in der Formensprache, die jedoch jeweils von ganz unterschiedlichen Ansätzen gespeist wird.

Über das Thema Raum haben sich hier vier Künstler aus weit entfernten geografischen Räumen zu einer projektbezogenen Gruppe zusammengefunden: Sabine Schellhorn aus Bremen war die Initiatorin, Michael Lukas aus München nahm den Kontakt zum Ebersberger Kunstverein auf, hinzu kommen Brigitta Heidtmann aus Krefeld und André Schweers aus Moers. "Sabine, André und ich kennen uns schon länger, irgendwann hatte sie die Idee, unseren Kreis nochmal zu erweitern", erzählt Lukas bei der Vorbesichtigung. "Der längerfristige Plan ist, dass jeder in seiner Heimat eine Ausstellung für alle organisiert." Denn der künstlerische Dialog, der so entstehe, sei aufgrund der Synergien sowohl praktisch als auch hoch spannend. "Künstler haben meiner Meinung nach viel zu lange zu individuell gedacht", sagt Lukas, "denn miteinander zu arbeiten ist immer eine Bereicherung." Das wisse er bereits seit seiner Zeit an der Akademie in München in den 80ern.

Über seinen Auftakt beim Kunstverein in Ebersberg zeigt sich das Quartett nun jedenfalls sehr glücklich: Die Galerie sei charmant und aufgrund der verschiedenen Charaktere ihrer Räume ideal für "Areale", so Lukas. Das Quartett hat die Wände aber mitnichten untereinander aufgeteilt, sondern bespielt die Galerie mit einem ausgefeilten Mix seiner Werke, unter denen sich Gemaltes genauso befindet wie Reliefs und Objekte. "Wir wollen ja gerade, dass sich Bezüge einstellen zwischen unseren Arbeiten", so Lukas.

Was man in den "Arealen" vergeblich sucht, ist klassische Malerei. Sogar Lukas' Bilder, die dem noch am nächsten kommen, fallen - in positiven Sinne - gänzlich aus dem Rahmen. Denn seine Werke sind keine in sich geschlossenen Kompositionen, sondern drängen in ihrer Vielschichtigkeit und Räumlichkeit stets nach außen, weswegen der Künstler auch gerne ganze Ecken von Galerien okkupiert, um seine Arbeiten, den Raum und den Betrachter in Beziehung zueinander zu stellen. Auch in Ebersberg zeigt er unter anderem eine Art Installation aus Rahmen und Leinwänden: Durch drei hintereinander an die Wand gelehnte Ebenen ergibt sich ein spannendes Spiel der Räume und Wechselbeziehungen zwischen diversen Tableaus, es entsteht eine ganz neue, polyperspektivische Komposition. "Meine Arbeiten sind eigentlich immer offen und stets im Wandel begriffen", sagt Lukas, sie sind eine moderne Fortschreibung des klassischen Genres der Landschaftsmalerei: In seinen abstrakten Darstellungen treffen diverse Horizonte auf vertikale Linien, architektonische, geometrische Elemente auf biomorphe Strukturen, so dass das Auge erst einmal sortieren, wandern, entdecken muss, was sich ihm hier alles darbietet. Der Künstler selbst sieht in seinen Bildern ohnehin Landkarten, das Thema Kartografie als Modell beschäftigt ihn schon länger. "Hier verdichten sich ja auch selektive Informationen zu einem neuen Ganzen."

Der simultane Raum: Kunst, Ort und Betrachter in Relation zueinander zu setzen ist ein Vorgang, der auch den anderen Mitgliedern des Quartetts am Herzen liegt - und den sie mit ihrer neuen Zusammenarbeit auf die Werke der Kollegen ausgeweitet haben.

Sehr konkret wird es bei Sabine Schellhorn: Ihre Spezialität sind ortsbezogene Arbeiten. Sie greift lokale grafische und architektonische Strukturen auf und interpretiert diese neu. Auch zum Ausstellungsort Ebersberg hat die Bremerin vorab recherchiert, ihre sehr grafisch wirkenden Werke widmen sich der hiesigen Weiherkette und Ornamenten aus der Pfarrkirche Sankt Sebastian, beides diente als Ausgangspunkt für haptisch spannende, farblich reduzierte Arbeiten. Die kartografische Ansicht der Seen begegnet uns in der Alten Brennerei als raumgreifender schwarzer Teppichschnitt, den reich verzierten Schmuckzaun vor dem Ebersberger Grabmahl hat die Künstlerin in Form von mehrlagigen Filzschnitten ganz in Weiß umgesetzt.

Reliefartig sind auch die Arbeiten von André Schweers. Das Anliegen des Vielgereisten ist es, historische Orte sichtbar zu machen und sie in eigenen plastischen Kompositionen zu konservieren. Dazu transferiert sie der Künstler aus Moers (Nordrhein-Westfalen) in Papier - mit einem aufwendigen Verfahren. Er skizziert urbane Strukturen wie Grundrisse oder Wegenetze mittels Skalpell und Lötkolben in Weichschaummatten. Dieses Negativrelief gießt er dann mit Papierpulpe aus, um es ins Positive zu übersetzen. Das Ergebnis sind relativ abstrakte, archaisch anmutende Werke, teils mannshoch. Der Betrachter freilich kann über die realen Orte der Inspiration nur rätseln, doch wer mehr wissen möchte, kann ein Buch von Schweers zur Hand nehmen. Darin sind die Analogien zwischen Realität und Kunst so ansprechend wie informativ aufbereitet.

Gleich ganz dreidimensional arbeitet die Bildhauerin Brigitte Heidtmann aus Krefeld (auch NRW), sie zeigt in Ebersberg große und kleinere, architektonisch anmutende Objekte aus Holzplatten, deren Formen ebenfalls an Grundrisse oder Kartenmaterial erinnern. Sie haben jedoch keine Bezüge zur realen Welt, sondern generieren sich aus eigens erdachten Umrissen. Aufgrund ihres unbehandelten Werkstoffs und einer zumeist einfachen Konstruktion wirken Heidtmanns Skulpturen modellhaft und strahlen eine eigentümliche Offenheit für mögliche Weiterentwicklungen aus. "Vielleicht sind sie Seismografen, die Schwingungen leiten, sodass die Eigentümlichkeit eines Ortes mit der Eigentümlichkeit der anderen Werke und der sie betrachtenden Personen zusammenwirkt und eine andere Ebene der Realität denkbar wird", spekuliert Heidtmann selbst.

Ausstellung "Areale" von Sabine Schellhorn, Michael Lukas, Brigitta Heidtmann und André Schweers in der Alten Brennerei des Kunstvereins Ebersberg, Eröffnung am Freitag, 12. Juli, um 19 Uhr mit kunsthistorischer Einführung durch Stephanie Lyakine-Schönweitz, Freitag, 19. Juli, 20 Uhr: Singer-Songwriter-Konzert, Sonntag, 4. August, um 16 Uhr: Finissage mit Künstlergespräch. Öffnungszeiten freitags 18 bis 20 Uhr, samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr.

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