Michael Herrmann versteht die Staatsanwaltschaft nicht. Im Fall seiner 1981 am Ammersee entführten Schwester Ursula hat er vor Monaten mehrere neue Spuren präsentiert - "heiße Spuren", wie er sie nennt, die zu anderen Tätern führen als dem lebenslänglich Verurteilten. Doch die Ermittler wollen den Fall nicht wieder aufnehmen, weil die Indizien dazu keine Möglichkeit böten. Michael Herrmann respektiere die Entscheidung, teilt sein Anwalt Joachim Feller mit, doch er bleibe anderer Auffassung. Der Bruder selbst spricht nicht mehr darüber. Er will sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen.
Ein ehemaliger TV-Techniker war 2010 wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden, bestreitet jedoch bis heute die Tat. Die zehnjährige Schülerin aus Eching war am 15. September 1981 in einem Wald bei Schondorf auf dem Heimweg von ihrem Fahrrad gerissen und in eine vergrabene Holzkiste gezwängt worden, in der sie erstickte.
SZ-Serie: Tatort Region, Folge 7:Erstickt in der Kiste
Der Tod der zehnjährigen Ursula Herrmann am Ammersee erschütterte 1981 die Nation. Ihr Bruder Michael glaubt heute, dass der falsche Mann dafür im Gefängnis sitzt.
Doch der Bruder des Opfers, der als Nebenkläger die Akten des Strafprozesses kennt, ist überzeugt, dass der inzwischen 69 Jahre alte Verurteilte, der zur Tatzeit in Eching lebte, nicht der Täter ist. Auch Michael Herrmanns Anwalt bewertet die selbst recherchierten Indizien als "umfangreicher und stärker" als diejenigen, die zur Verurteilung des Mannes geführt hätten. Die neuen Erkenntnisse würden ins Landerziehungsheim Schondorf weisen und seien "ausreichende Grundlage, einen Anfangsverdacht in Richtung eines anderen Täterkreises zu begründen".
Alle Hinweise auf damalige Internatsschüler und auf einen dort später gefundenen Klingeldraht, der bei der Entführung eine Rolle gespielt habe, seien relevant und der Staatsanwaltschaft bekannt, betont Feller. Das betreffe auch Durchdruckspuren aus dem Mathematikunterricht auf einem der Erpresserbriefe. Zudem verweist Feller auf die Lackierung der Kistenhaube, in der das Mädchen starb. Hierbei hätten die Ermittler damals etwa 1700 Firmen überprüft, aber in der falschen Branche gesucht, sagt er. Er wundert sich, dass ausgerechnet ein bestimmtes Unternehmen in der Region seinerzeit nicht befragt worden sei, denn nach seinen Erkenntnissen stamme diese Lackierung von dieser Firma.
Deshalb sieht Feller die Indizien, auf denen die rechtskräftige Verurteilung des Mannes basierten, nach heutigem Stand erschüttert. Gemeint ist das bei ihm gefundene alte Tonbandgerät, das laut Gutachterin nach der Entführung "wahrscheinlich" genutzt worden sei. Zudem beziehe sich das Urteil vor allem auf einen gestorbenen Zeugen, der sein Geständnis als Mittäter schnell widerrufen hatte. Dessen Glaubwürdigkeit sei damals durch den Leiter des Sonderkommission "Ursula Herrmann" in Frage gestellt worden, so Feller. Er vermutet zudem, dass das Kind bereits mit Lachgas betäubt in die Kiste gesperrt worden sei, woraufhin laut Obduktionsbericht der erhöhte Hirndruck hinweise. Die Täter hätten somit den Tod von Ursula "billigend in Kauf genommen" - daher müsse man von einem Mord ausgehen, der nicht verjähre.