Großbritannien und USA:Wenn Krisen krank machen

U.S. President Trump meets with British Prime Minister Johnson on sidelines of U.N. General Assembly in New York City

An den politischen Zuständen in Großbritannien und den USA haben Boris Johnson und Donald Trump keinen kleinen Anteil.

(Foto: Jonathan Ernst/REUTERS)
  • Die endlosen scheinenden politischen Krisen in den USA und Großbritannien schlagen sich auf die seelische Gesundheit der Bevölkerung nieder.
  • Psychologen sprechen bereits von einer "Trump Anxiety Disorder" bzw. einer "Brexit Anxiety Disorder".
  • Im Falle des Brexit sind Remainer und Leaver offenbar ähnlich stark betroffen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Unter US-Psychologen kursiere ein neues Krankheitsbild, schreibt der in Wien lehrende Historiker Philipp Ther. Zu den Symptomen gehörten "Paranoia, Angstzustände, Depressionen, somatische Beschwerden, Schlafprobleme, Konzentrationsstörungen und Albträume". In Wahrheit ist die Liste der Symptome viel länger, aber auch in der Kurzform liest sie sich in etwa so furchterregend wie der Name der Erkrankung, die dahintersteht: "Trump Anxiety Disorder" (TAD).

Das Fachblatt Psychology Today riet Therapeuten in einem Aufsatz unter dem Titel "What's Trump Doing in Your Therapy Room?" schon 2018, mit ihren Patienten über Politik zu reden. Und ihnen klarzumachen, dass sich die politische Krise, in der sich die Gesellschaft seit dem Amtsantritt des US-Präsidenten befindet, nicht direkt auf ihr eigenes Leben auswirken müsse. Das Journal of Clinical Psychology widmete der TAD gleich ein ganzes Heft.

Das Thema ist also offenbar ernst. Und dies nicht nur in den USA. Denn der Brexit, Theresa May und nun Boris Johnson sind zur gleichen Zeit über die Briten gekommen wie Trump über die Amerikaner. Und so mehren sich im Vereinigten Königreich die Anzeichen für etwas, das nicht TAD, sondern BAS abgekürzt wird: das "Brexit Anxiety Syndrome".

Seit 2016, seit dem Referendum, gibt es kaum ein anderes Thema in der britischen Politik. Der Austritt selbst kommt nicht voran, die Debatten drehen sich im Kreis. Zeitungen, Fernsehen berichten in Endlosschleifen. Ökonomische Unsicherheit, die Dauerplanung für den Ernstfall, Sorgen um Arbeitsplatzverlust und drohende Rezession sind allgegenwärtig. Hinzugekommen sind unter Johnson nun auch noch eine spalterische Sprache, Ultimaten, Drohungen, Wutausbrüche, Gesetzesbrüche. Es ist, als lebe das Land unter einem Damoklesschwert, das schwebt und schwebt und doch nicht fällt. Stattdessen fällt das Pfund, und die Hauspreise fallen auch. Der Echoraum in den Köpfen ist voll von Backstops und Zollunionen und Prorogationen und Misstrauensvoten. Und nichts geht voran.

Kein Wunder, dass die Nation schlecht schläft und schlecht träumt. Das "Brexit Anxiety Syndrome" ergreift die liberale, europhile Mittelklasse, Akademiker, Remainer, junge Menschen, aber auch Brexiteers, die ihren Lebenstraum gefährdet sehen. Und es begleitet alle, die täglich beruflich mit dem Brexit zu tun haben: Politiker, Experten, Journalistinnen.

Fast alle fürchten sich vor dem, was kommt

Die Nachrichten-Website Politico schreibt, das "psychologische Trauma" stürze Menschen in die Depression, die es "gewohnt sind, rational zu denken und zu handeln". Die Brexit-Angst resultiere aus Kontrollverlust und Unsicherheit. Das Institut Britain Thinks gibt an, 64 Prozent aller Briten hätten das Gefühl, der Brexit wirke sich negativ auf ihre seelische Gesundheit aus. Die Mental Health Foundation wird konkreter: Das "Gefühl der Machtlosigkeit, Wut, chronische Sorge" fräßen sich in die Seelen.

Die Unterschiede zwischen Remainern und Leavern sind dabei offenbar nicht groß. Das Motto von Johnson, "Let's get Brexit done", erhöht den Druck auf beide Lager. Die eine Hälfte fürchtet, dass er scheitert. Die andere fürchtet, er macht Ernst. Und fast alle fürchten sich vor dem, was kommt.

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