Neue DFB-Tor-Hymne:"Das hat was Neandertaler-Artiges"

Deutschland - Argentinien

Die Choreographie vor dem Spiel gegen Argentinien.

(Foto: dpa)

Der 20 Jahre alte Techno-Hit "Kernkraft 400" von Zombie Nation ist die neue Tor-Musik der Nationalelf. Produzent Emanuel Günther über Großraumdiskos, Maori-Gesänge - und warum der DFB sich bei ihm gar nicht gemeldet hat.

Interview von Dominik Schelzke

Bis vor einem Jahr ertönte bei Toren der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Oliver Pochers Schlager "Schwarz und Weiß" - geschrieben für die WM 2006. Nach zwölf Jahren hatten sich die Fans ein wenig daran abgehört, ein Nachfolger wurde gesucht: Von diesem Mittwoch an - vorausgesetzt, Joachim Löws Team trifft gegen Argentinien - erklingt nun "Kernkraft 400" des Münchner Projekts Zombie Nation. Der Techno-Hit von 1999 ist noch älter als Pochers La-la-Hymne. Dass sich die Melodie in einer Fan-Abstimmung trotzdem gegen Shakira oder Queen durchsetzte, dürfte daran liegen, dass sie schon seit Jahren in den Stadien zu hören ist. Amerikanische Profi-Teams wie die Detroit Red Wings und die Boston Bruins oder auch der EHC Red Bull München verwenden das leicht eingängige Stück regelmäßig. Wie es zu diesem Erfolg kam und wieso Musik mit Sport verbunden ist, erklärt Co-Produzent Emanuel Günther.

SZ: Herr Günther, wie haben Sie davon erfahren, dass "Kernkraft 400" jetzt bei der deutschen Nationalmannschaft als Torhymne verwendet wird?

Emanuel Günther: Ich habe das gar nicht mitbekommen. Ich war im Urlaub, und plötzlich habe ich Anrufe und SMS bekommen. Immer wenn etwas mit dem Stück ist, bekomme ich Nachrichten, dass ich doch mal in die Zeitung oder ins Fernsehen schauen soll. Diesmal habe ich es erst nicht verstanden. Ich dachte, es ist für irgendeinen Verein. Dann hab' ich das mit der Nationalelf kapiert, was natürlich eine andere Nummer ist. Uns wurde aber übrigens vom DFB nicht Bescheid gesagt. Es hat niemand angefragt, niemand hat es lizenziert, es wurden keine Verträge abgeschlossen, nichts. Die haben es einfach genommen und werden sich mit der Gema rausreden, dass wir da ja unser Geld bekommen, wenn es läuft.

Neue DFB-Tor-Hymne: Emanuel Günther, neben Florian Senfter Teil des Münchner Projekts Zombie Nation, schrieb "Kernkraft 400" als Song gegen das Establishment. Heute sagt er: "Ich bin stolz, dass das Lied jetzt die Hymne der Nationalelf ist."

Emanuel Günther, neben Florian Senfter Teil des Münchner Projekts Zombie Nation, schrieb "Kernkraft 400" als Song gegen das Establishment. Heute sagt er: "Ich bin stolz, dass das Lied jetzt die Hymne der Nationalelf ist."

(Foto: privat / oh)

Wie erstaunlich finden Sie es, dass das Stück jetzt, 20 Jahre nach seiner Entstehung, plötzlich wieder so populär ist?

Na ja, es war nie weg. Das Stück ist auf abenteuerliche Weise über den ganzen Planeten gereist und jetzt mal wieder in Deutschland. Es ist kontinuierlich, es ist immer da.

Wie ist der Track denn entstanden?

Ich habe mit Florian Senfter (Mitbegründer von Zombie Nation, Anm. d. Red.) lose Musik gemacht. Irgendwann hatten wir ein paar Stücke zusammen. Dieses Tape ist beim Label von DJ Hell (die Münchner DJ-Legende Helmut Geier) gelandet. Dann hat das Stück einen Siegeszug durch die Clubs angezogen, wodurch es auch in eine ganz schlimme Großraumdisko irgendwo zwischen Rimini und Bibione gekommen ist. Dort sind die Leute so auf das Lied abgegangen, dass sie es mitgesungen haben. Nachher haben die zwei DJs angefragt, ob sie einen Remix mit der grölenden Menge machen dürften. Daraus ist der "Chant Mix" entstanden, der jetzt in den Stadien läuft. Die Italiener haben zwar nur für den italienischen Raum die Lizenz gehabt, den Remix aber trotzdem außerhalb vertrieben. Das war ein Segen und Fluch gleichzeitig. Ein Segen, weil dieser Remix nun auf der ganzen Welt läuft. Ein Fluch, weil sie die Lizenzrechte untergraben haben. Es blieb nicht bei einem Bootleg, es wurden viele. Gleichzeitig ist das Stück in die Dance-Charts gekommen und schlussendlich in die Charts. 2001 war das Stück auf Platz zwei der englischen Top Ten, vor Mariah Carey, und zwar sechs Wochen lang. Damals habe ich in Glasgow aufgelegt und bin vormittags die Straße entlang gegangen, wo ein Auto stand, aus dem laut Musik kam. In dem Wagen saß ein kleiner Junge, der so heftig getanzt hat, dass das ganze Auto gewackelt hat - und es war mein Song! Das war schon eine verrückte Zeit.

Außer in Autos in Glasgow wurde und wird das Lied vor allem in Sportstadien gefeiert. Wie erklären Sie sich das?

Ganz genau kann ich das nicht beantworten. Es war in den USA ein Hit, die Radiostationen haben alle diesen italienischen Mix gespielt. Der hat wohl jemandem gefallen, der die Musikauswahl für ein Stadion macht. Dieses Gegröle, diese Art Hymne passt schon sehr gut zum Sport. Eine Siegeshymne, wie ein Maori-Schlachtruf. Das hat was Inbrünstiges, was Neandertaler-Artiges. Und diese Neandertaler-Techno-Hymne hat sich dann verbreitet. In den USA von American Football über Basketball und Baseball bis hin zu Eishockey. Mittlerweile ist es überall. Ob in München beim EHC als Siegeshymne, was ich persönlich sehr schön finde. Oder in Japan beim Baseball. Vielleicht sagt man in 150 Jahren: "Der Emanuel Günther, das ist der, der diese Sporthymne geschrieben hat."

Macht Sie das stolz?

Das ist Wahnsinn, das ist für mich der größte Erfolg, den ich mir überhaupt nur vorstellen kann. Reich werde ich damit eher nicht, aber ich finde die Entwicklung verdammt großartig. Eine der extremsten Geschichten war bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Da hat mich ein Freund angerufen: "Manu, Manu, schalt sofort den Fernseher ein!" - "Ich habe gar keinen Fernseher!" - "Dann geh irgendwo hin, wo es einen gibt!" Das hab' ich gemacht und dann das Endspiel des olympischen Eishockey-Turniers gesehen. Da wurde das Lied als Einzugshymne der Mannschaften gespielt. Das fand ich damals großartig.

Es ärgert Sie nicht, dass Ihr Anti-Establishment-Song jetzt Mainstream ist?

Ich bin stolz und sehr glücklich, dass das Lied jetzt die Hymne der Nationalelf ist. Wäre das damals, vier Wochen, nachdem wir das Lied produziert hatten, passiert, dann wäre für mich eine Welt zusammengebrochen. Aber so hat es diese Zeit gebraucht. Es ist ja immerhin schon fast ein Oldie.

Kennen Sie andere Fußballhymnen?

Die Sportfreunde Stiller? Ich bin kein Fan von Sporthymnen, definitiv nicht.

Wie erklären Sie sich den Wert des Stücks, der Musik generell für die Sportwelt?

Da muss man noch mal auf die Maori-Gesänge zurückgehen. Die Eingeborenen, egal ob in Bayern oder Papua-Neuguinea, haben sich mit Liedern, mit lautem Gesang auf einen Kampf vorbereitet. Musik ist für mich der Ursprung der Kultur und auch ihr wichtigster Pfeiler, viel wichtiger als Kunst. Deswegen ist Musik auch im Fußball so wichtig. Weil sie der direkteste Weg ist, eine Emotion auszudrücken.

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