Tempolimit:Freie Fahrt ist nicht mehr tragbar

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Rasen ist auf deutschen Autobahnen für alle Beteiligten purer Stress. (Foto: imago/Westend61/Bearbeitung: SZ.de)

Es ist absurd, wie die Bundesregierung sich gegen ein Tempolimit sträubt. Es ist eine verpasste Chance für den Klimaschutz, aber auch für die Verkehrssicherheit.

Kommentar von Christina Kunkel

Wenn es um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen geht, wird es schnell emotional. Selbst Menschen, die im Biomarkt einkaufen und deren Kinder bei Fridays for Future demonstrieren, gerät der Klimaschutz aus dem Sinn, wenn es ums Schnellfahren geht. Dann fallen Begriffe wie Freiheitsverlust, Verbotsstaat, Ökodiktatur - manchmal scheint dem deutschen Autofahrer die freie Fahrt so heilig zu sein wie dem Amerikaner der Waffenbesitz.

Die Grünen sind erwartungsgemäß mit ihrem Antrag im Bundestag gescheitert, deutsche Autofahrer bei 130 km/h einzubremsen. Dennoch ist es wichtig, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, wie absurd die freie Fahrt ist. Denn die gleichen Menschen, die ein Tempolimit als Eingriff in ihre persönliche Freiheit ablehnen, empfinden es als angenehm, wenn sie auf dem Weg in den Urlaub die deutsche Grenze passieren und nur noch mit Tempo 120 oder 130 dahinrollen dürfen. Es ist dagegen alles andere als entspannend, mit 200 auf der linken Spur zu fahren und ständig Angst zu haben, dass auf der Nebenspur jemand ausschert. Schnellfahren ist oft purer Stress.

Natürlich käme man im Ausland auch nie auf die Idee, trotzdem ein bisschen mehr aufs Gaspedal zu drücken. Denn die Strafen etwa in der Schweiz oder in Österreich reißen ein deutlich größeres Loch in die Urlaubskasse als ein Knöllchen auf deutschen Straßen. Die Erkenntnis, dass die Limits für einheimische Autofahrer selbstverständlich sind, weil man dort nur selten Raser erlebt, trägt dazu bei, sich auch selbst an die Regeln zu halten.

Für die Verkehrssicherheit wäre ein Tempolimit schon lange wichtig. Dass es im Klimapaket der großen Koalition keine Rolle spielt, vor allem wegen des Widerstandes der CSU und ihres Verkehrsministers, ist eine verpasste Chance. Die Bundesregierung könnte damit ein Zeichen setzen, dass man auch mit vergleichsweise kleinen Maßnahmen den CO₂-Ausstoß im Verkehr senken kann. Eine Studie der Denkfabrik Agora Verkehrswende kommt zu dem Schluss, dass ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen ab dem Jahr 2020 die Kohlendioxid-Emissionen des gesamten Autoverkehrs in Deutschland um 1,1 bis 1,6 Prozent senken würde - das entspricht mehr als einer Million Tonnen CO₂. Das klingt zunächst nicht spektakulär. Aber um die gleiche Reduktion mit weniger Autos zu erreichen, müssten dazu 500 000 Mittelklassewagen auf einen Schlag aus dem Verkehr verschwinden. Dazu kostet die Maßnahme nicht mehr als die Montage von ein paar Schildern. Günstiger kann ein Beitrag zum Klimaschutz nicht sein.

Ein Tempolimit könnte auch den Mobilitätswandel hin zu automatisierten und elektrischen Fahrzeugen vorantreiben. Viele E-Autos haben bereits eine abgeregelte Höchstgeschwindigkeit. Beim ID3, mit dem VW das Elektroauto in den Massenmarkt bringen will, ist zum Beispiel bei 160 km/h Schluss, beim Renault Zoe - aktuell der meistverkaufte Stromer in Deutschland - schon bei 140. Und auch wenn ein Tesla theoretisch über 200 km/h fahren kann, macht das kaum jemand auf Dauer. Denn das würde die Reichweite rapide schrumpfen lassen und den Fahrer alle hundert Kilometer an die Ladesäule zwingen. Auch für die Zukunftsvision des autonomen Fahrens ist es im Grunde unabdingbar, dass die Geschwindigkeiten aller Fahrzeuge möglichst nah beieinander liegen. Weil ein Robotaxi dann nicht damit rechnen muss, dass beim Spurwechsel von hinten ein Wagen mit Tempo 250 angerast kommt.

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