Große Koalition:Kramp-Karrenbauers SMS-Offensive

Annegret Kramp-Karrenbauer im Nordirak

Ist auf die Zustimmung des Koalitionspartners angewiesen: Annegret Kramp-Karrenbauer, hier bei einem Truppenbesuch im Irak

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Die Verteidigungsministerin und CDU-Chefin will in Nordsyrien eine international kontrollierte Schutzzone errichten.
  • Außenminister Heiko Maas (SPD) wurde nur mit einer allgemeinen SMS über den Vorstoß informiert. Seine Partei fühlt sich überrumpelt.
  • Auch die Unionsfraktion und die CSU sollen von Kramp-Karrenbauer nicht vorab informiert worden sein. Kanzlerin Angela Merkel aber bemüht sich, keine Differenzen mit der CDU-Chefin erkennen zu lassen.
  • Ein erstes Krisengespräch der beiden CDU-Politikerinnen mit Maas und Vizekanzler Olaf Scholz brachte keine Annäherung.

Von Robert Roßmann und Mike Szymanski, Berlin

Ausgerechnet jetzt feiert die SPD-Fraktion Willy Brandt, ihren Willy. Vor 50 Jahren wurde Brandt erster sozialdemokratischer Kanzler. Am Eingang zum Fraktionssaal blickt er von einem Plakat aus jeden an, der den Raum betritt. "Damit Sie auch morgen in Frieden leben können", lautet der Slogan dazu. Das ist die Kulisse für diesen Dienstag, an dem es für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wieder um Krieg und Frieden geht. In Frieden leben? Mit Annegret Kramp-Karrenbauer geht das für die SPD wohl eher nicht. Das ist zumindest der Eindruck, der bleibt, als Mützenich nach gut zehn Minuten mit seinem Auftritt fertig ist, oder sollte man besser sagen: mit ihr?

Am Vorabend hatte sich die Verteidigungsministerin mit dem Vorschlag zu Wort gemeldet, in Nordsyrien eine international kontrollierte Schutzzone zu errichten. Damit hatte sie nicht nur in der SPD alle überrascht, sondern auch viele in der Union. Außenminister Heiko Maas (SPD) soll nur eine SMS bekommen haben. Mützenich beschreibt, wie am Sonntag die Spitzen der Koalition zusammengesessen haben - ein durchaus "interessierter Kreis" wie er findet, gerade wenn Kramp-Karrenbauer solche Gedanken mit sich herumtrage. Aber von ihr sei nichts gekommen.

Und das, was Mützenich sich jetzt an Informationen besorgt hat, wirft bei ihm vor allem Fragen auf. Das gehe nicht nur ihm so, sagt der SPD-Fraktionschef. Partner im Ausland würden "aufgeregt" im Auswärtigen Amt anrufen. All das zeige, dass es sich bei Kramp-Karrenbauers Vorstoß wohl um eine "sehr persönlich gehaltene Idee eines Kabinettsmitglieds" handele. So macht Mützenich den Vorschlag klein. Und die Ministerin gleich mit. "Ich finde schon, Frau Kramp-Karrenbauer muss endlich ankommen im Kabinett und sollte durchaus aus den letzten Stunden ein bisschen lernen", ätzt der SPD-Fraktionschef.

Was die internationalen Einsätze der Bundeswehr angeht, sind die Genossen eher auf Rückzug eingestellt. Das bestehende Anti-IS-Mandat, das den Einsatz von Aufklärungsjets über Irak und Syrien sowie Ausbilder für Soldaten im Irak umfasst, hätten sie am liebsten auslaufen lassen - mit der Begründung, dass ein Auslandseinsatz auch mal ein Ende finden müsse. Kramp-Karrenbauer hat es viel Überredungskraft gekostet, die Sozialdemokraten zur Fortsetzung des Mandats zu bewegen, und das gelang ihr auch nur, weil derzeit keine Partnernation die deutschen Aufgaben übernehmen kann. Das war schon ein großer Erfolg für Kramp-Karrenbauer. Unter Dach und Fach ist die Lösung aber noch nicht. Die Debatte darüber steht am Donnerstag im Bundestag an. Und plötzlich treibt Mützenich die Union vor sich her. Wenn Kramp-Karrenbauers Idee auch Idee der Union sei, könne man das Mandat zurückziehen und über neue Vorschläge verhandeln, droht er. Faktisch würde das erst mal das Ende dieses Einsatzes bedeuten. So angreifbar hat Kramp-Karrenbauer die Union gemacht.

Der SPD ist klar, sollte der Vorschlag der Verteidigungsministerin bei den internationalen Partnern Anklang finden, müsste auch Deutschland Bodentruppen nach Syrien schicken. In Militärkreisen rechnet man mit einigen tausend Soldaten, der Einsatz würde dann sogar den heutigen Beitrag der Deutschen in Afghanistan und Mali in den Schatten stellen.

"Wenn sie das durchsetzt, gehört sie zu den ganz Großen"

Als Kramp-Karrenbauer im Sommer ins Amt kam, da waren die Generäle im Ministerium skeptisch. Macht sie den Job nur, um als CDU-Vorsitzende endlich an Statur zu gewinnen und Kanzlerkandidatin werden zu können? Bis dahin hatte sie es ja demonstrativ abgelehnt, in die Regierung einzutreten. "Ihr Wirken wird durchaus vom Misstrauen begleitet, dass ihr Engagement als Ministerin nur halbtags und insgesamt von kurzer Dauer sein wird und ihr nicht die volle Zeit für die Aufgabe zur Verfügung steht", sagt der Wehrbeauftragte des Bundestages, der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels, der Süddeutschen Zeitung. Und nun staunt ein General über diese Frau: "Sie setzt alles auf eine Karte. Wenn sie das durchsetzt, gehört sie zu den ganz Großen. Wenn nicht, dann kann sie endgültig ins Saarland zurückgehen." Jetzt geht es für Kramp-Karrenbauer also darum, Verbündete zu finden. Wenn es die noch gibt.

Denn Kramp-Karrenbauer hat nicht nur die SPD ignoriert - sie hat sich auch nicht bemüßigt gefühlt, die Unionsfraktion oder die CSU vorab zu informieren. Am Montag tagte die Spitze der Unionsfraktion, dabei war keine Rede von den Plänen der Verteidigungsministerin. Der erste parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), bekennt am Dienstag freimütig, nicht vorab informiert gewesen zu sein.

Das gilt auch für die CSU. Die Christsozialen bemühten sich am Dienstag zwar, die Debatte um die CDU-Chefin nicht weiter anzuheizen. Das bringe doch keinem etwas, hieß es. Das führte aber zu eigenartigen Verrenkungen. So sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, er sei Dienstagfrüh informiert worden, von daher habe er "keinen Anlass, Kritik zu äußern". Dabei wurde Dobrindt noch nicht einmal von der Ministerin, sondern lediglich von deren Staatssekretär Thomas Silberhorn in Kenntnis gesetzt. Das Verteidigungsministerium informiert den wichtigsten Vertreter des Koalitionspartners CSU im Bundestag erst am Tag nachdem sie mit ihrer Botschaft durch die Fernsehstudios getingelt ist - und Dobrindt sieht trotzdem keinen Anlass zur Kritik? Normalerweise würde die CSU in solchen Fällen mit wüsten Protestnoten reagieren.

"Die Abläufe waren nicht optimal", heißt es in der CSU-Landesgruppe. Und es wird darauf verwiesen, dass jemand, der so stark unter Druck stehe wie Kramp-Karrenbauer, halt besonders anfällig für neue Fehler sei. Außerdem ist man in der CSU erstaunt darüber, dass Kramp-Karrenbauer die SPD durch ihre Nicht-Informationspolitik ohne Not verärgert hat - schließlich braucht man Mützenich und seine Sozialdemokraten für eine Lösung. Aber offen beklagen will das - zumindest zunächst - keiner. Das liegt auch daran, dass es für den Vorstoß an sich bei der CSU durchaus Verständnis gibt. Man könne nicht nur beklagen, dass sich die USA in Syrien zurückziehen, sagt Dobrindt. Als Europäer müsse man dann bei Auseinandersetzungen "robuster Art" vor der eigenen Haustür auch selbst mehr Verantwortung übernehmen.

Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus stellt sich am Dienstag vor die Verteidigungsministerin. Er sei "sehr dankbar für ihre Initiative", sagt Brinkhaus. Kramp-Karrenbauer habe "einen Impuls gesetzt", das sei gut und richtig. Die humanitäre Situation und die Sicherheitslage im Norden Syriens seien unerträglich. In der Region seien mehrere hunderttausend Menschen auf der Flucht - "da einfach zuzusehen reicht nicht". Trotzdem wurde auch in der Unionsfraktion gerätselt, wie weit der Vorstoß der Verteidigungsministerin tatsächlich mit der Kanzlerin abgesprochen war. Denn normalerweise besteht Angela Merkel darauf, dass ihre Minister Projekte von solcher Bedeutung nicht ohne vorherige Ressortabstimmung oder zumindest Vorabklärung unter den Koalitionsspitzen präsentieren. Hat Kramp-Karrenbauer auch Merkel mit Tempo und Art ihres Vorstoßes überrascht?

Merkel findet den Vorschlag vielversprechend

In der Sitzung der Unionsfraktion am Nachmittag bemüht sich die Kanzlerin zumindest, keine Differenzen zwischen sich und Kramp-Karrenbauer erkennen zu lassen. Der Gedanke, im Norden Syriens Schutzzonen einzurichten, sei sehr vielversprechend, sagt Merkel Teilnehmern zufolge. Einen Versuch seien die Vorschläge der Verteidigungsministerin "allemal wert". Allerdings seien noch viele Fragen offen.

Die Pläne sollten jetzt auch in der Koalition besprochen werden. Die Kanzlerin weist außerdem darauf hin, dass das Thema Schutzzonen für Syrien nicht neu, aber etwa im Fall Aleppo am Veto Russlands gescheitert sei. Schutzzonen könne man aber nur mit einem UN-Mandat und in einem System kollektiver Sicherheit einrichten, sagt Merkel. Sie werde deshalb mit den Präsidenten Frankreichs und der Türkei sowie mit dem britischen Premier über den Vorschlag diskutieren. Denn die jetzige Lage in Nordsyrien sei schlecht, man habe "die Pflicht zu schauen, wie man die Dinge dort regeln kann".

In der Unionsfraktion gibt es dafür viel Unterstützung. Anders als bei der SPD. Merkel und Kramp-Karrenbauer treffen sich noch während der Fraktionssitzungen mit Außenminister Maas und Vizekanzler Olaf Scholz. Doch auch dabei kommt es zu keiner Verständigung. Scholz zeigte sich anschließend vor seiner Fraktion erschrocken darüber, wie wenig konkret Kramp-Karrenbauer auf Fragen der SPD hätte antworten können, die Ministerin habe "das Klassenziel nicht erreicht".

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