SPD und Union:Die verwischten Identitäten der Volksparteien

Government Presents New Measures To Fight Right-Wing Extremism

Verwischte Identität: Koalitionspartner Olaf Scholz und Angela Merkel

(Foto: Getty Images)

Die dritte Auflage der großen Koalition hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollte: die Bewahrung der Stabilität. Union und SPD unterscheiden sich zu wenig - und geraten so immer tiefer in die Krise.

Kommentar von Joachim Käppner

Es war eine deutliche Warnung: "In einer Demokratie kommt es auf die Gesellschaft im Ganzen an, auf ihren Willen, ihre Moral, ihre Einsicht, ihren Geist, dagegen nicht allein auf Parteien." Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1992 seinem Unmut Luft machte, meinte er vor allem die alles dominierenden Riesen, die beiden Volksparteien Union und SPD. Sie sägten, was ein vornehmer Geist wie Weizsäcker nicht so ausdrückte, den Ast ab, auf dem sie hockten.

Eine Generation später ist der Sturz tief. Die Parteien, die den Anspruch hatten, breite Schichten des Volkes zu integrieren, schrumpfen immer rascher, die SPD dramatisch, die Union noch gebremst, aber das muss nicht so bleiben. Die Landtagswahl in Thüringen geriet für die CDU zum Desaster und hat in der traditionsstolzen Partei eine Grundsatzdebatte ausgelöst: Wofür steht die Volkspartei CDU/CSU eigentlich noch? Der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer trauen immer mehr Christdemokraten nicht zu, eine Antwort zu finden.

Schon vor zehn Jahren schrieb der Parteienkundler Peter Lösche: "Das Zeitalter der Volksparteien kommt zu seinem Ende, diese sind gesellschaftlich, politisch und historisch überholt." Vieles spricht dafür, dass er recht behalten wird.

Steht also auch den Deutschen eine Art Umsturz ihres Parteiensystems bevor, das als Inbegriff demokratischer Stabilität galt? Union und SPD vertraten gemeinsam die überwältigende Mehrheit der Wähler. Nun aber müssen sie fürchten, das Schicksal ihrer französischen oder italienischen Schwesterparteien zu teilen und auf Wichtelgröße geschrumpft über die neuen Zeiten zu lamentieren.

Für ihre Krise der erfolgsverwöhnten Volksparteien gibt es vor allem drei Gründe. Am ersten können sie wenig ändern, an den beiden anderen sehr viel.

Drei Gründe für die Krise der Volksparteien

Der erste Grund ist natürlich die Auflösung der klassischen Milieus - bei der SPD-Wählerschaft so sehr, dass sie mehr Akademiker- als Arbeiterpartei geworden ist.

Der zweite Grund jedoch: Die Volksparteien blieben in der neuen Welt der Vielfalt trotzdem die alten. Ihr Selbstverständnis ist von der Vergangenheit noch tief geprägt und erst recht ihr Personal. Die Mitglieder von SPD und Union sind im Schnitt 60 Jahre alt und männlich. Nie zeigten sich die bösen Folgen deutlicher als im vollkommenen Befremden, mit dem die CDU auf das kritisch-naive Video des blauhaarigen Youtubers Rezo reagierte - und damit eben auch auf das Lebensgefühl vieler junger Menschen.

Drittens aber sind die beiden alten Volksparteien auch noch in einem Dauerbündnis aneinandergefesselt, das ihre Stärken und ihre jeweilige Identität bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Kein Wunder, dass die große Koalition eine ernsthafte Krise erlebt, die vielleicht bald zum Bruch führt.

Es ist die wiederholte Auflage von Schwarz-Rot und das Bündnis hat paradoxerweise das Gegenteil von dem erreicht, was es eigentlich erreichen wollte: die Bewahrung der Stabilität. Diese Stabilität bestand aber jahrzehntelang darin, dass die Volksparteien klare Alternativen anboten.

Adenauer, Brandt, Kohl

Union oder Sozialdemokraten regierten (mithilfe der wetterwendigen FDP) und setzten in oft leidenschaftlichem Streit Grundsatzentscheidungen durch: Adenauer die Westbindung, Brandt die Versöhnung nach Osten, Kohl die deutsche Einheit.

Genau dieses Gefühl jedoch, nicht nur wählen zu dürfen, sondern auch wirklich eine Wahl zu haben, ist unter Merkels großer Koalition immer mehr erodiert. Der bislang und vielleicht für immer letzte SPD-Bundeskanzler, Gerhard Schröder, hatte das rot-grüne Lager noch erfolgreich gegen "die Konservativen" positioniert. Das war nicht frei von einem kräftigen Hauch Populismus, aber auch nicht falsch: In vielen großen Fragen - der Verweigerung devoter Gefolgschaft im Irakkrieg der USA, dem Atomausstieg, der Gleichberechtigung von Minderheiten - bot Rot-Grün eine klare Alternative zur Opposition, und umgekehrt.

Der Aufstieg der Grünen zur Volkspartei

Seit zehn Jahren nun ist das anders. Programmatisch, ideell, personell sind die Beteiligten ausgelaugt. Selbst der Wechsel des Führungspersonals, noch vor einer Generation meist ein epochaler Einschnitt, ist zum nutzlosen Ritual geworden.

Der Mangel an Alternativen, das verlegene Abmoderieren strittiger Themen, der schiere Zwang zum Konsens - das alles ist der Stoff, aus dem sich die AfD ihre Legenden vom volksfremden System bastelt. Profitiert haben von der Sehnsucht nach politischen Alternativen neben den Rechtspopulisten die Grünen. Womöglich sind sie die wahren Gewinner und steigen zur neuen Volkspartei auf.

Dabei gibt es die Unterschiede

Die alten Volksparteien aber haben ihr Schicksal selbst in der Hand. Wenn sie sich selbst nicht mehr ganz so wichtig nehmen, können sie wichtig bleiben. Wenn der Wähler wieder versteht, wofür sie stehen, werden sie an Attraktivität gewinnen.

In der Sozial- und Verteidigungspolitik etwa gäbe es zwischen Union und SPD Unterschiede genug. Es war ein Anfang für die alten Volksparteien, zuletzt auf innerparteiliche Mitbestimmung der Basis zu setzen. Außerdem müssen sie sich weit mehr öffnen, attraktiver werden für neue Themen, für mehr Frauen und mehr junge Menschen. Und vor allem benötigen sie wieder klare und zündende Botschaften, wenn sie großen Vereinfachern gewachsen sein wollen.

In der CDU bemängeln viele, Angela Merkel habe, als sie die Partei weit in die Mitte führte, die konservative Identität der CDU ruiniert. Da ist etwas dran. Freilich müssten die Kritiker, auch der laute Herr Merz, erst einmal erklären, was einen zeitgemäßen Konservativen ausmacht, der eben nicht den Rechtspopulisten hinterherläuft.

Statt zweier Volksparteien also wird es künftig fünf, sechs oder mehr kleinere bis mittelgroße Parteien geben. Das macht Entscheidungen mühsamer, muss aber kein Schaden für die Demokratie sein. Es kommt eben, wie Weizsäcker sagte, auf die Gesellschaft als Ganzes an.

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