Tennis:Das Rätsel um Zverevs Tasche

ATP-Tour - London

Alexander Zverev während einer Pause beim ATP-Finale in London.

(Foto: Kirsty Wigglesworth/dpa)
  • Tennisprofi Alexander Zverev löst bei den ATP Finals mit einer harmlos erscheinenden Aktion während eines Seitenwechsel Fragen und Spekulationen aus.
  • Der Tennis-Weltverband sieht keinen Regelbruch.

Von Gerald Kleffmann

Das zweite Match von Alexander Zverev bei den ATP Finals in London war eine derart klare Angelegenheit, dass die sportliche Aufarbeitung schnell erledigt war. Stefanos Tsitsipas, 21, wie der 22-jährige Deutsche einer aus der Riege der Riesentalente, gewann 6:3, 6:2. Der Grieche war in allen Bereichen agiler, fehlerfreier, dominanter. Zverev konnte nicht annähernd das Niveau halten, mit dem der Titelverteidiger zum Auftakt erstmals in seiner Karriere den Spanier Rafael Nadal bezwungen hatte.

Aber er hat noch die Chance aufs Halbfinale, unter einer sehr speziellen Konstellation dürfte er sogar sein Duell am Freitag (21 Uhr/Sky) mit dem Russen Daniil Medwedew, 23, verlieren und würde trotzdem weiterkommen. Sicher wäre er bei einem Sieg in der Runde der letzten vier. Die Aussicht auf seinen dritten Einsatz in der Gruppenphase wurde am Mittwochabend nach dem Spiel indes weniger zum Thema. Und tags darauf auch nicht. Denn da griffen Medien von England über die Schweiz bis nach Neuseeland ein heikles Thema auf.

Als Zverev bei der Pressekonferenz saß, wurde er nach einer Handlung während des Matches gefragt. Fernsehkommentatoren, begann ein angesehener britischer Reporter vorzutragen, hätten den Verdacht geäußert, er, Zverev, habe bei einem Seitenwechsel in sein Handy geschaut und eventuell etwas auf diesem gedrückt. Bald kursierte diese Szene im Internet. Laut Regularien wäre eine Zuhilfenahme eines Handys oder eines Tablets verboten. Im "ATP Rule Book", das den gesamten Ablauf eines jeden ATP-Turniers regelt, von München bis Miami und London, ist explizit festgehalten, dass "Spieler elektronische Geräte während eines Matches nicht benutzen dürfen". Damit will man Coaching untersagen, das im Tennis nicht erlaubt ist.

"Mein Handy war in der Umkleidekabine", erwiderte Zverev ruhig. Er lasse es immer dort. "Ich weiß nicht, was sie gesehen haben, aber es war definitiv nicht ein Handy." Was es gewesen sei, was er gedrückt habe? "Eine Wasserflasche. Vielleicht eine Wasserflasche. Ich weiß es nicht", sagte Zverev abermals ruhig, aber nun auch etwas irritiert. Vielleicht ahnte er in diesem Moment bereits, dass irgendetwas Unerfreuliches losgetreten worden war. Mit seinen Antworten konnte er jedenfalls nicht das S-Wort stoppen, das sich im Tenniskosmos in Windeseile ausbreitete. Spätestens mit der sofort vielerorts formulierten Meldung, Zverev habe sich "gegen Schummelvorwürfe gewehrt", waren exakt diese Vorwürfe transportiert worden und standen im öffentlichen Raum.

"Die ATP kann bestätigen, dass es betreffend Alexander Zverev keinen Bruch von ATP-Regeln gab"

Die Ereignisse dieses kuriosen Mittwochabends führten schließlich dazu, dass jemand gar noch eine Videosequenz des besagten Seitenwechsels ins Internet stellte, die weitergeleitet und verbreitet wurde, über Kontinente hinweg. Heutige Sportler bekommen nun mal mehr denn je die Wucht der neuen, vornehmlich der sozialen Medien, zu spüren. Oft genug laufen diese Mechanismen zwar explizit im Sinne der Protagonisten ab, etwa wenn es um das Verbreiten von Werbebotschaften geht. Hin und wieder aber entgleitet selbst den von gut bezahlten Beratern umgebenen Hochleistern die Kontrolle über Bilder und Bewertungen. Zverev jedenfalls konnte, sollte er sein Handy tatsächlich in die Hand genommen haben, sicher auch erstaunt feststellen, wie sehr seit Mittwoch von Tennisinteressierten und Anhängern darüber spekuliert wurde und wird, an welcher Art von Gerät er herumgenestelt habe. Dass es sich wohl nicht um eine Wasserflasche gehandelt hatte, war bei Ansicht der Videosequenz doch anzunehmen.

Die Causa erreichte am Donnerstag dann auch die höchste Instanz. Die ATP, die Organisation der Profispieler und Ausrichter des ATP-Flagship-Turniers in London, sah sich genötigt, eine Erklärung zu dem Vorfall abzugeben, wenn auch eine kurze. "Die ATP kann bestätigen, dass es betreffend Alexander Zverev keinen Bruch von ATP-Regeln gab", hieß es in einer Stellungnahme. Es war das nachvollziehbare Bemühen, das Thema herunterzufahren. Doch wenn Spekulationslawinen einmal losgerollt sind, ist es fast unmöglich, sie aufzuhalten, zumal Zverev nicht restlos überzeugend zur Aufklärung beitragen konnte.

Im Internet brachen sich Mutmaßungen Bahn, die nicht alle etwas mit einer Wasserflasche zu tun hatten. Sogar Boris Becker war jemand, der sich zum Rätsel von London äußerte, aber zu dem Fall auch keine erhellende Antwort bot: "Ich habe es selber nicht gesehen und mir erst heute Morgen angeschaut", sagte er dem Sender Sky, "ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was er in seiner Tasche gemacht oder gesucht hat. Es hat ihm aber offensichtlich weder geholfen noch ihn gestört." Sportlich betrachtet hatte Becker immerhin mal wieder den Überblick, und dass der 51-Jährige seine Kernkompetenz immer noch im Tennis besitzt, ist auch ein Grund, warum es Anfang 2020 zu einem interessanten Gespräch kommen dürfte.

Zverev hatte am Mittwoch in der Sport-Bild zu verstehen gegeben, dass er sich eine intensivere Zusammenarbeit mit seinem Mentor Becker vorstellen könne und mit ihm reden wolle. Becker, der beim Deutschen Tennis-Bund nach wie vor die Position des Head of Men's Tennis ehrenamtlich einnimmt, zeigte sich in London nicht abgeneigt. "Ich unterhalte mich schon seit Jahren gerne und viel mit ihm und seinem Vater über Tennis. Ich mag ihn", sagte Becker, "ob da mehr daraus wird, muss man abwarten." Da Zverev kommende Woche auf eine Teilnahme an der neu eingeführten Davis-Cup-Finalwoche verzichtet, könnten Becker und er beim Saisonbeginn in Australien, wenn die Premiere des Team-Wettbewerbs ATP Cup ansteht, erstmals enger kooperieren.

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