Spannendes Konzert in Ebersberg:Flügel in Trance

Das "Leo Betzl Trio" verbindet im Alten Kino Technobeats mit handgemachter Musik und beweist vor einem glücklichen Publikum rhythmisches Gespür und originelle Kreativität

Von Simon Gross, Ebersberg

"Im Techno legen DJs normalerweise zwei bis drei Stunden auf, das würden unsere Körper aber nicht mitmachen, deswegen spielen wir jetzt 50 Minuten für euch." So die Ankündigung von Kontrabassist Maximilian Hirning. Hinter dem Leo Betzl Trio, zu dem noch der gleichnamige Pianist und der Schlagzeuger Sebastian Wolfgruber gehören, liegt da bereits die erste Hälfte des Konzerts im Alten Kino Ebersberg. In der Ankündigung schwingt eine Verheißung mit, aber auch eine gewisse Drohung, für die Band zumindest. Die zweite Hälfte verspricht anstrengend zu werden. Denn die Musiker haben nicht weniger vor, als mit akustischen Instrumenten elektronische Musik zu erzeugen - fast eine Stunde lang, ohne Pause.

Vor rund 50 Zuschauern stellen die drei Bandmitglieder ihr neues Doppelalbum "Stereo" vor. Das besteht, wie der Name andeutet, auch musikalisch gesehen aus zwei Teilen: Der erste bietet verspielten und facettenreichen Modern Jazz aus der Feder von Pianist Betzl. Gleich zu Beginn zeigt das Trio damit, wo seine Wurzeln liegen. Komplexe Arrangements, die mal locker leicht daher kommen, mal aufbrausen, gar explodieren, wechseln sich ab mit ruhigeren, melodischen Parts, in denen vor allem Betzl am Flügel glänzt. Die Spielfreude ist den Dreien anzusehen, ganz besonders auch Schlagzeuger Wolfgruber, der sich in der Kunst der Improvisation ergeht - und ein Drumsolo hinlegt, das Buddy Rich ganz sicher gefallen hätte. Die Verbindung zwischen ihm und Kontrabassist Hirning, sie ist da. Hirning vermischt das Rhythmische gekonnt mit dem Harmonischen, spielt ebenso virtuos weich und gefühlvoll wie schroff und in kraftvollem Stakkato. Auf das überwältigende Crescendo, das den Schluss des ersten Parts markiert, folgt zurecht lauter Applaus.

Und dann kommt das, was Hirning als Kopf hinter dem zweiten Teil des Albums, das "berühmt-berüchtigte Techno-Set" der Gruppe nennt. Der vollkommen exakt durchlaufende Beat, die Abfolge hinzukommender Versatzstücke, die arrhythmisch gesetzten, entfremdeten Sounds - all das liefert beim Techno normalerweise der Computer, und zwar genau so, wie man es ihm sagt. Damit das am Ende gut klingt, braucht es musikalisches Gespür. Die Herausforderung liegt hier aber vor allem in der Komposition. Dem Leo Betzl Trio reicht das nicht. Die Musiker wollen zeigen, dass sie die Maschine auch in der Performance schlagen können, mit Händen und Füßen. Das wiederum erfordert ein ungeheueres Maß an Konzentration. Und so verabschiedet sich Hirning - nur im übertragenen Sinne - schon mal vorsorglich vom Publikum: "Wir sehen uns in 50 Minuten wieder." Dann setzt der Vier-Viertel-Puls der Bassdrum ein, der stete Begleiter des Technos - und die Show beginnt.

Das Trio nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die verschiedenen elektronischen Stile, denn Techno ist ja nicht gleich Techno: Da findet man sich in einem Drum'n'Bass-Rave wieder, wie es ihn im England der 1990er Jahre oft gab. Im nächsten Moment meint man, in einem Berliner Undergroundklub gelandet zu sein, in dem eine ekstatisch tanzende Masse metallischen Industrial zelebriert. Dann schwebt man, getragen von Klangteppichen und hypnotisierenden Versatzstücken, im Deep House durch die Nacht, um schließlich einem eingängigen und eher gefälligen Clubsound zu frönen. So zieht es nach und nach einen Teil der Zuhörer von den Tischen weg, um zu tanzen.

Mit welchen Mitteln die drei Grenzgänger die Sounds erzeugen, ist für sich genommen schon faszinierend. Betzl spielt mit dem Kontrabassbogen auf den Saiten seines Flügels, was so klingt, wie wenn in einem Horrorfilm die Zimmertür langsam aufgeht. Wenn Hirning dagegen mit der Rückseite vom Bogen auf seine Saiten schlägt, erzeugt das ein Geräusch, als würden sehr große Wassertropfen in ein sehr großes Wasserglas fallen. Und Wolfgruber hat - neben sämtlichen Perkussionselementen auch eine ganze Fahrradfelge an sein Schlagzeug montiert, der er extrem helle und trockene Schläge entlockt. Schließt man dabei die Augen, man würde schwören, diese Klänge hätten keinen "natürlichen" Ursprung. Am besten ist das Trio aber immer dann, wenn es den Musikern gelingt, das Lebendige, Spontane und Unfertige des Jazz' mit dem Anorganischen, Repetitiven und Trancehaften des Technos zu verbinden. Dann bringen sie das Beste aus beiden Welten zusammen, und die Illusion ist perfekt.

Als sich die Musiker am Ende vor einem glücklichen Publikum verbeugen, ist ihnen ein bisschen Erleichterung darüber anzusehen, dass ihr Kampf gegen die Maschine - zumindest für den Moment - vorüber ist.

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