Klima und Altersvorsorge:Diagnose: unklar

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Ärzte zahlen ihre Rentenbeiträge an eines von 18 Versorgungswerken. Manche wollen genauer wissen, wie diese das Geld dann anlegen.

(Foto: imago)

Ist die Altersvorsorge der Ärztinnen und Ärzte eigentlich klimaneutral? Viele Mediziner wollen genauer wissen, wie ihre Versorgungswerke das eingezahlte Kapital investieren. Es geht um Milliarden.

Von Jonas Schulze

Ärztinnen und Ärzte haben einen Beruf mit besonderer Verantwortung. Vor etwa 2400 Jahren verpflichtete sich der griechische Arzt Hippokrates in einem Eid zum Dienst an den Kranken und legte damit die Grundlage der ärztlichen Ethik. Heute leisten Mediziner keinen Eid mehr, sondern sind stattdessen an eine Berufsordnung gebunden. Die deutsche Musterberufsordnung für Ärzte gibt Richtlinien für den Umgang mit Patienten vor und definiert die Aufgaben der Ärzte in der Gesellschaft. Dort heißt es unter anderem: "Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, [...] an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen [...] mitzuwirken."

Einige Mediziner zweifeln daran, ob die deutsche Ärzteschaft diese Anforderung noch erfüllt. Die Kritik richtete sich dabei gegen die Kapitalanlagen der Ärztlichen Versorgungswerke. Christian Schulz ist Oberarzt am Klinikum Rechts der Isar in München und fordert von seinen Berufskollegen mehr Engagement im Kampf gegen den Klimawandel. Er glaubt: "Die aktuelle Geldanlagepraxis steht im Widerspruch zur ärztlichen Ethik." Schulz will, dass die Versorgungswerke künftig nur noch in Vermögenswerte investieren, die ethischen, sozialen und ökologischen Mindeststandards genügen.

Ärzte sind in Deutschland von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Stattdessen zahlen sie ihre Rentenbeiträge an eines von 18 Versorgungswerken. Schätzungen der Allianz für Klima und Gesundheit zufolge verwalten diese ein Gesamtvermögen von etwa 115 Milliarden Euro. Der größte Teil davon ist in Aktien angelegt. Der Rest verteilt sich auf andere Anlageformen wie Anleihen, Immobilien oder Edelmetalle. Laut Beschluss des Deutschen Ärztetags sollen sich Versorgungswerke bei der Kapitalanlage an ethische und ökologische Standards halten. Ob diese Forderung erfüllt wird, ist aber weitgehend unbekannt. Denn die Versorgungswerke veröffentlichen weder ihre Anlagestrategien noch die Zusammensetzung ihrer Portfolios. Auch Mitglieder bekommen keinen Einblick. "Das Hauptproblem ist die Intransparenz", meint Christian Schulz. Er fordert, dass die Anlagestrategien öffentlich diskutiert und von einem breiten Konsens in der Ärzteschaft getragen werden.

Vor einem Jahr hat Schulz deswegen in Zusammenarbeit mit Klimaforschern und Wirtschaftsexperten einen Fragebogen entwickelt. Darin bat er die Versorgungswerke unter Zusicherung von Anonymität ihre Nachhaltigkeitsstrategien offenzulegen. Von 18 verschickten Fragebögen, kam aber kein einziger zu Schulz zurück. Einige Versorgungswerke erklärten, grundsätzlich nicht an Befragungen teilzunehmen, andere gaben an ausschließlich wirtschaftliche Kriterien zu berücksichtigen oder verwiesen auf Einzelinvestitionen in erneuerbare Energien. "Die Versorgungswerke haben beim Thema Nachhaltigkeit kein klares Konzept", sagt Schulz. Bis auf wenige Ausnahmen seie die Nachhaltigkeit nicht systematisch in die Kapitalanlage integriert. Schulz vermutet, dies sei auch der Grund für die Intransparenz.

Etwa 400 Kilometer entfernt, will Kai Sporkmann etwas gegen die Intransparenz unternehmen. Der 29-Jährige arbeitet als Assistenzarzt am Uniklinikum in Jena und ist Mitglied der Ärzteversorgung Thüringen. Seit vier Jahren versucht er herauszufinden, nach welchen Kriterien sein Geld angelegt wird. Die Antworten der Ärzteversorgung auf Sporkmanns Anfragen waren freundlich, aber kurz: Das Versorgungswerk Thüringen sei eine "verantwortungsbewusste" und "langfristig orientierte" Organisation, heißt es in einem Antwortschreiben. Unter anderem habe man bereits in Windkraft- und Photovoltaikanlagen investiert. Risikoeinschätzungen und Detailinformationen zum Portfolio könnten aber nicht öffentlich gemacht werden. Auf einer ähnliche Anfrage erklärte die Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen im März 2019: Die Nachhaltigkeit werde bei den Investitionen mitberücksichtigt, sei aber kein "vorrangiges Entscheidungskriterium".

Mit dieser Antwort wollte sich Kai Sporkmann nicht zufriedengeben. Vor sechs Monaten stellte er eine neue Anfrage und berief sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz. "Die Ärzteversorgung ist keine Investmentfirma, sondern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts", sagt er. Als Bürger habe er ein Recht auf Information. Die Thüringer Ärzteversorgung widerspricht dieser Auffassung: Das Versorgungswerk nehme wie ein privates Unternehmen am finanzwirtschaftlichen Wettbewerb teil, erklärte die Geschäftsführung in einem Brief. Sensible Informationen unterlägen daher dem Geschäftsgeheimnis. Bis der Fall juristisch geklärt ist, könnte es noch eine Weile dauern. "Ich bleibe hartnäckig", sagt Sporkmann. Vielleicht müsse er sich einen Anwalt nehmen, um sein Recht auf Transparenz einzuklagen.

Auch die Bayerische Ärzteversorgung veröffentlicht ihre Anlagestrategie nicht im Detail. Allerdings beschäftigt man sich hier schon seit Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit. Seit dem Jahr 2011 beteiligt sich die Bayerische Versorgungskammer, die auch die Geschäfte der Ärzteschaft führt, an der PRI-Initiative der Vereinten Nationen. Ziel der Initiative ist es, die Nachhaltigkeit in den Investmentprozess zu integrieren. "Der Vorwurf, dass sich die Ärzteversorgung zu wenig für die Nachhaltigkeit einsetzt, ist ungerechtfertigt", sagt die Nachhaltigkeitsreferentin der Versorgungskammer Nicole Becker. Jede Investition werde im Vorfeld auf ethische, soziale und ökologische Kriterien überprüft. Die Forderung nach klaren Ausschlusskriterien sei verständlich, greife aber zu kurz. "Die Kapitalanlage ist nicht schwarz oder weiß, sondern vielschichtig", ergänzt der Vorstand Kapitalanlagen André Heimrich. Der Ausschluss kompletter Branchen sei problematisch. So würden Waffen beispielsweise auch zur Ausstattung der Polizei gebraucht. Deshalb habe man sich dagegen entschieden, Branchen wie die Waffen- oder die Tabakindustrie kategorisch auszuschließen. Über die Selbstverwaltungsgremien, die sich aus Vertretern der Mitglieder zusammensetzen, sei die Ärzteschaft zudem an der Ausrichtung der Investmentstrategie beteiligt.

Tatsächlich haben die Ärzte bei der Kapitalanlage ein Mitbestimmungsrecht. In allen 18 Versorgungswerken überwacht ein ein Aufsichtsgremium, das zum Großteil mit Vertretern der Ärzteschaft besetzt ist, die Investmentstrategie. "Eigentlich ist die Sensibilität für das Thema hoch", glaubt Dieter Lehmkuhl von der Allianz für Klima und Gesundheit. Das hätten die vergangen Jahre gezeigt. Im Jahr 2015 konnte eine Klimaschutzinitiative die Berliner Ärzteversorgung dazu bewegen, nicht länger in Unternehmen zu investieren, die 25 Prozent ihres Umsatzes mit dem Abbau oder der Nutzung Kohle verdienen. "Die Entscheidung der Berliner war ein erster Schritt", sagt Lehmkuhl. Die Intransparenz sei aber immer noch weit verbreitet. Das Ziel müsse es sein, die Versorgungswerke von innen heraus zu reformieren.

Das Transparenz nicht unbedingt ein Wettbewerbsnachteil sein muss, zeigt der Blick ins Ausland. So hat beispielsweise der Norwegische Staatsfonds in den vergangenen 20 Jahren im Schnitt eine höhere Rendite erzielt als der deutsche Leitindex DAX. Sowohl die Anlagestrategie des Fonds als auch die Zusammensetzung des Portfolios sind jederzeit online abrufbar. Christian Schulz hofft, dass die Diskussion um nachhaltige Kapitalanlage nicht der Corona-Pandemie zum Opfer fällt. Der Ärztetag in Mainz, der in diesem Jahr unter dem Motto "Klimawandel und Gesundheit" stehen sollte, musste bereits abgesagt werden. Schulz will sich weiterhin für das Thema einsetzen. "Der Klimaschutz ist die lebenswichtige Menschheitsaufgabe", sagt er. Die deutsche Ärzteschaft dürfe das nicht länger ignorieren.

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