Corona-Krise im Landkreis Ebersberg:"Da prallt einiges aufeinander"

Christiane Warnke, Zorneding, Anwältin für Familien-, Erb- und Vertragsrecht, Frauennotruf

Christiane Warnke hat derzeit 50 Prozent mehr Fälle als sonst.

(Foto: Privat)

Wegen der Ausgangsbeschränkungen wenden sich bereits jetzt mehr Frauen mit einem Scheidungswunsch an die Zornedinger Anwältin Christiane Warnke

Interview von Johanna Feckl

Noch ist der große Andrang bei Polizei und Opferschutzorganisationen wegen häuslicher Gewalt ausgeblieben - Experten rechnen aber fest damit, dass die Fallzahlen wegen der Ausgangsbeschränkungen steigen werden. Christiane Warnke hingegen merkt die Auswirkungen von Corona schon jetzt. Sie ist nicht nur Ehrenamtliche beim Ebersberger Frauennotruf, sondern auch Anwältin für Familien-, Erb- und Vertragsrecht. Im Gespräch mit der SZ hat die 59-Jährige von dem Ansturm neuer Mandantinnen mit einem Scheidungswunsch berichtet, den ihre Kanzlei in Zorneding derzeit erlebt.

SZ: Frau Warnke, seit den geltenden Ausgangsbeschränkungen wurde zwar noch kein eindeutiges Mehr an häuslicher Gewalt verzeichnet - auch nicht im Landkreis Ebersberg -, aber alle Seiten rechnen fest mit einem Zuwachs. Wie sieht die Lage bei Ihnen in der Kanzlei aus?

Christiane Warnke: Eine ganze Zeit war es ruhig, aber vor allem jetzt nach den Osterfeiertagen kommen mehr Anfragen wegen Scheidungen. Inwiefern da jetzt auch häusliche Gewalt ein Thema ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Ich denke, da kommt mit Sicherheit noch mehr, das ist erst die Vorhut.

Wie viele Erstkontakte bezüglich einer Scheidung haben Sie denn normalerweise pro Woche?

Ich würde sagen vier bis fünf - überwiegend sind es auch die Frauen, die den Scheidungsantrag einreichen. Jetzt sind es sechs bis sieben Anfragen. Die meisten Fälle sind umfangreiche Scheidungen, weil die Eheleute aus guten finanziellen Verhältnissen kommen. Es müssen dann Fragen des Unterhalts geklärt werden, ebenso wie die Aufteilung des Vermögens, eventuell einer Immobilie, und der Versorgungsausgleich, also etwa Rentenansprüche.

Also fast bis zu 50 Prozent mehr neue Mandatinnen pro Woche - das ist ein deutlicher Anstieg. Wird Corona also die Scheidungsrate in die Höhe schnellen lassen?

Ich denke schon. Die Tage sind sonst zugetaktet mit Arbeit, Haushalt, vielleicht auch Kindern. Und jetzt hocken aber viele Paare einfach so eng zusammen, da entdecken dann einige, dass sie vielleicht doch nicht so viel gemeinsam haben. Es entzündet sich, da prallt einiges aufeinander.

Wenn es die bloße Erkenntnis ist, dass man als Paar doch nicht so gut funktioniert, ist das ja eine Sache. Aber in sehr vielen Ihrer Fälle spielt ja psychische und körperliche Gewalt eine Rolle. Wie sieht ein typischer Erstkontakt mit einer solchen Mandantin aus?

Die Anrufe treffen in der Kanzlei ein, wenn das Stichwort "Frauennotruf" fällt, landen sie dann oft direkt bei mir. Überwiegend ist es nämlich so, dass die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen davor schon mit dem Frauennotruf Kontakt hatten.

Moment: Wenn sich ein Großteil der Betroffenen erst an den Frauennotruf wendet, dort aber seit Corona bislang nicht deutlich mehr Erstkontakte stattgefunden haben, wie können dann bei Ihnen so viel mehr Mandantinnen aufschlagen?

Es waren einige, die schon mal beim Frauennotruf waren, ja, aber das kann auch schon ein halbes Jahr her sein. Da gibt es in den meisten Fällen eine zeitliche Verschiebung - von dem ersten Kontakt bei einer Hilfsorganisation bis hin zu dem festen Entschluss, sich scheiden zu lassen und einem Anruf beim Anwalt, da vergeht meistens einige Zeit. Deshalb ist es auch schwer zu sagen, was jetzt inwiefern genau in einem Zusammenhang mit der Krise steht und was nicht. So genau können wir das gar nicht nachvollziehen.

Also könnte es genausogut Zufall sein, dass Sie momentan ein Plus von fast 50 Prozent an Scheidungsanfragen haben?

Das nun auch wieder nicht. In vielen Fällen beziehen sich die Frauen explizit auf die Ausgangsbeschränkungen. Ich hatte erst kürzlich ein Telefonat mit einer Frau. Sie sagte zu mir, sie ertrage das einfach alles nicht mehr, jetzt sitze ihr Mann auch noch 24 Stunden hier herum und egal was sie zu Hause tut, sie mache es falsch, er schimpfe sie permanent - ja, unerträglich eben.

Was raten Sie den Frauen in einer solchen Situation?

Sich Unterstützung suchen. Aber gerade das ist ja das Schwierige, weil die Frauen meistens völlig isoliert sind. Oft haben die Betroffenen nicht einmal eine eigene E-Mail-Adresse oder haben Angst, dass ich sie anrufen und der Mann das dann mitbekommen könnte. Selbst wenn die Frauen anrufen, kann das schwierig sein, weil der Partner sie dann am Handy erwischen könnte. Aber irgendwie bekommen wir das in der Regel schon hin.

Können Sie den Mechanismus erklären, der bei solchen Partnerschaften herrscht? Ist da eine Art Schema erkennbar?

Es gibt eine Form von männlichen Narzissmus, bei dem die Männer versuchen, die Frauen zu manipulieren. Das fällt aber offiziell nicht unter häusliche Gewalt. Aber das Prinzip ist fatal: Zu Beginn der Beziehung werden die Frauen in den Himmel gelobt, sie seien die Besten und Tollsten. Die Männer umsorgen die Frauen - und hoppla, auf einmal bemerken die Frauen, dass sie gar nicht mehr alleine ins Fitnessstudio gehen oder Freunde treffen können. "Ach das brauchst du ja gar nicht, wir haben doch uns", heißt es dann von den Männern.

... und schon stecken die Frauen mitten in der sozialen Isolation.

Ganz genau. Die Betroffenen merken oft erst sehr spät, in was für einer Lage sie sich befinden, und kommen dann nicht mehr raus. Dann sitzen sie auf einmal in der abgesperrten Wohnung, während der Partner nicht zu Hause ist. Solche Situationen sind mittlerweile ein sehr großes Thema. Von Anfang an ist in diesen Fällen immer eine gewisse Dominanz von Seiten des Mannes da.

Das klingt freilich nicht schön, aber Sie haben auch selbst gesagt, dass das noch keine häusliche Gewalt ist.

Ja, aber in vielen Fällen mündet Narzissmus in körperlicher oder psychischer Gewalt, wie etwa in Form von Drohungen. Die Männer wissen nicht, wie sie die Frauen anders unter ihrer Kontrolle halten können. Also überhöhen sie sich, sie sind die Bestimmer. Oft erlebe ich es auch, dass ich augenscheinlich normale Scheidungsmandate übernehme und sich dann aber im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass der Mann doch ab und handgreiflich geworden ist. Oder die Autoschlüssel der Frau auf einmal verschwunden waren, solche Dinge eben.

Ein wichtiger Faktor bei Scheidungsfragen ist oft auch das Finanzielle: Die Frauen sind abhängig von den Männern - so wird es ihnen zumindest eingetrichtert. Nun ist ja eine Beratung beim Anwalt auch mit Kosten verbunden ...

Ja, aber wir bieten eine kostenlose anwaltliche Erstberatung an, wenn die Frauen über den Frauennotruf kommen. Und dann kann man sehen, wie es weiter geht. Es gibt zum Beispiel eine Verfahrenskostenhilfe, die man beim Amtsgericht beantragen kann, oder die Frauen fordern per Eilverfahren einen Unterhaltsvorschuss vom Mann, um damit die Anwaltskosten zu zahlen.

In der Regel findet sich also eine Lösung.

Ja. Und eine Sache ist mir noch sehr wichtig zu erwähnen: Die betroffenen Frauen, das sind nicht immer die mit geringem Selbstbewusstsein. So einfach ist es nicht. Ich habe hier studierte Frauen sitzen mit tollen Berufen. Aber die Männer wis- sen genau, welche Knöpfe sie drücken müssen, damit die Einflussnahme funktioniert.

Und Sie betonen das, weil das viele Menschen nicht sehen?

Ich denke, da herrscht viel Unkenntnis. Wir brauchen auch eine bessere Ausbildung für Richter. Das soll keine Richterschelte sein, aber Familienrichter werden nur rudimentär auf ihren Fachbereich vorbereitet - in Bayern gibt es im Gegensatz zu anderen Bundesländern wenigstens diese kurze Vorbereitung. Es braucht da viel Expertise, etwa von Psychologen. Wenn ein Richter zu meiner Mandantin sagt "Warum sind Sie nicht einfach gegangen?" oder sie anbrüllt, sie solle endlich ihren Mund aufmachen, dann sehe ich, dass da einfach überhaupt kein Verständnis für solche Fälle vorhanden ist. Da ist die Politik gefragt!

Zurück zu Corona und dem Andrang von neuen Mandantinnen. Nun könnte man es ja durchaus so sehen: Gut, wenn sich aufgrund von Corona mehr Frauen von ihren sie unterdrückenden oder gar gewalttätigen Partnern trennen. Oder?

Ja, auf alle Fälle. In allem Negativen schwebt auch etwas Gutes. Wenn Corona der endgültige Auslöser ist, sich von solchen Männern zu trennen, ist das durchaus positiv.

Der Ebersberger Frauennotruf ist telefonisch erreichbar unter (08092) 881 10 und per E-Mail an info@frauennotruf-ebe.de. Die Geschäftsstelle in der Von-Feury-Straße 10 in Ebersberg ist von Montag bis Freitag zwischen 8.30 Uhr und 16.30 Uhr besetzt. In ihrer Funktion als Anwältin ist Christiane Warnke unter (08106) 30 87 70 oder per E-Mail an kanzlei@wh-zorneding.de zu erreichen.

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