Debatte über Corona-Hilfen:Erst im Steuerparadies, dann vom Staat gerettet?

A couple stands together on the beach before the arrival of Tropical Storm...

Urlauben, wo andere Steuern sparen: Das geht auf den Kaiman-Inseln.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PR)

Manche Firmen wollen in der Krise Geld vom Staat, nutzen aber Steueroasen. Neue Daten zeigen, wie viele Tochterfirmen die Dax-Konzerne in Niedrigsteuerländern haben.

Von Frederik Obermaier und Klaus Ott

Etwa 8000 Kilometer sind es von Deutschland zu den Kaiman-Inseln. Selbst als es noch kein Corona gab, flog die Lufthansa die karibischen Inseln nicht direkt an. Passagiere mussten zwischenlanden und auf andere Linien umsteigen. Trotzdem ist die Lufthansa in dem Karibikstaat präsent - und zwar mit einer eigenen Tochterfirma, der Inflite Holdings (Cayman) Ltd. mit Sitz auf Grand Cayman. Auch in anderen Steueroasen finden sich solche Ableger. Man gründe Tochtergesellschaften eben dort, "wo dies aus operativen Gründen geboten ist, so auch in Panama, den Kaiman-Inseln, in Delaware oder anderen Standorten", erklärt die Lufthansa.

Sehr viel mehr teilt die Fluggesellschaft auf eine ausführliche Anfrage von SZ und dem WDR-Politmagazin "Monitor" nicht mit. Ob man bereit sei, die Geldflüsse des Konzerns von und zu Tochterfirmen in Niedrigsteuerländern zu veröffentlichen, verrät die größte deutsche Fluglinie nicht. Ebenso wenig, was man von den Forderungen halte, dass staatliche Corona-Hilfen für Unternehmen unvereinbar sein sollten mit der Abwicklung von Geschäften in und über Steueroasen. "Dazu äußern wir uns nicht", lautet die Standardantwort der Lufthansa. Die Fluglinie befindet sich wegen Corona in einer schweren Krise. Das Unternehmen verhandelt mit der Bundesregierung über Hilfen in Milliardenhöhe. Steuergeld soll die Lufthansa retten - aber sich einer Diskussion über die eigene Steuerpraxis stellen, das mag die Lufthansa trotzdem nicht. Womöglich muss sie aber bald.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Mehrere Länder haben in den vergangenen Tagen angekündigt, Unternehmen, die Steueroasen nutzen, unter Umständen keine Staatshilfen gewähren zu wollen. In Deutschland haben SPD, Grüne und Linke ähnliche Forderungen gestellt. Die Grünen haben bereits einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht, die Linken wollen in der nächsten Woche nachziehen.

Mit ihrer Kaiman-Firma ist die Lufthansa keine Ausnahme. Alle 30 Unternehmen, die im deutschen Aktienindex Dax gelistet sind und somit zu den führenden Konzernen des Landes gehören, haben Tochterfirmen in Niedrigsteuerländern - in Staaten also, die entweder auf der Schwarzen Liste der EU stehen oder von der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network als Steueroasen eingestuft werden. Wie sehr die Dax-Konzerne von Adidas über die Deutsche Bank, die Post, Siemens und Volkswagen dort präsent sind, geht aus einer Analyse der Fraktion der Linken im Bundestag hervor. Die Linke hat die Geschäftsberichte der Unternehmen und ihre Veröffentlichungen im Bundesanzeiger ausgewertet. "Steuertricks gehören zum Geschäftsmodell aller 30 Dax-Konzerne", sagt der Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi von der Linken. Dem widersprechen etliche Unternehmen.

18 der 30 Dax-Konzernen sind laut der Analyse mit 110 Töchtern in Staaten aktiv, die auf der Schwarzen Liste der EU stehen. Der Ausreißer ist hier die Deutsche Bank mit 47 Firmen, die bis auf eine Ausnahme alle auf den Kaiman-Inseln angesiedelt sind. Die Deutsche Bank sagt dazu, man halte sich "streng an die gesetzlichen Rahmenbedingungen".

Legt man die Kriterien des Tax Justice Networks zugrunde, sind es bei allen Dax-Unternehmen zusammen deutlich mehr als 1000 Töchter in Ländern wie Luxemburg, der Schweiz, den Niederlanden und weiteren Staaten, die dafür bekannt sind, dass sie Unternehmensgewinne meist ganz gering besteuern. Solche Staaten haben es vielen Konzernen ermöglicht, Gewinne zu verschieben und die Steuerzahlungen drastisch zu senken.

Ob Dax-Konzerne ihre Tochterfirmen in derlei Ländern zu diesem Zweck benutzen oder nicht, lässt sich der Analyse der Linken nicht entnehmen. SZ und Monitor haben etwa die Hälfte der 30 Dax-Unternehmen dazu befragt. Unternehmen wie Adidas, Allianz, BASF, Beiersdorf, BMW, Continental, Fresenius, Heidelberg Cement, RWE und Volkswagen dementieren Steuertricks. Bayer, Daimler und Siemens stellen das indirekt in Abrede. Zudem haben derzeit längst nicht alle Dax-Konzerne Corona-Hilfen beantragt, was etwa für SAP und Bayer gilt.

Die Analyse der Linken illustriert aber ein grundsätzliches Problem: Viele Steuertricks sind legal - zumindest behaupten das ihre Verteidiger. Überprüfen lässt sich das für die Öffentlichkeit nur schwer. Zwar müssen die Unternehmen gegenüber den Behörden offenlegen, in welchem Land sie wie viel Steuern zahlen. Die Zahlen bleiben aber unter Verschluss; vor allem auf Betreiben der schwarz-roten Bundesregierung.

"Fast alle großen deutschen Unternehmen nutzen Steueroasen und verschieben einen Teil der Gewinne dort hin", sagt Ralf Krämer von der Gewerkschaft Verdi. Die Öffentlichkeit habe das zu erfahren, "wo Konzerne ihre Gewinne machen, wohin sie diese verschieben und wie viel Steuern sie zahlen", erklärt Karl-Martin Hentschel vom Sozial- und Öko-Bündnis Attac. Die Befürworter von mehr Transparenz setzen auch darauf, dass eine Offenlegung dieser Daten öffentlichen Druck auf Unternehmen ermöglichen würde, die bei den Steuern tricksen.

Die Dax-Konzerne verteidigen ihre Steuerpraxis, nicht selten in blumigen Worten. "Wir sind davon überzeugt, dass unsere Steuerstrategie im Sinne einer sozialen, guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung ist", schreibt etwa der Autokonzern Daimler. "Wir unterstützen steuerpolitische Ansätze, die missbräuchliche Gestaltungen verhindern." BMW erklärt, man verzichte auf "künstliche" Steuergestaltungsmodelle. Volkswagen "ist und bleibt" nach eigenen Angaben "ein verlässlicher Steuerzahler". Die Allianz verfolgt nach eigenen Angaben "keine Strategie", mit mittels Steueroasen die eigenen Steuerzahlungen zu verringern.

Bei der stichprobenartigen Anfrage antworteten die meisten der angeschriebenen Dax-Konzerne recht ausführlich. In einem Punkt weichen aber fast alle Unternehmen auch auf Nachfrage aus: bei der Frage nach der Offenlegung der Geldflüsse. Das sei "in erster Linie eine politische und keine unternehmerische Entscheidung", sagt BMW. "Ausschließlich die Steuerbehörden" seien überhaupt in der Lage, zu beurteilen, ob angemessen viel Steuern bezahlt wurden, heißt es bei BASF. Eine Veröffentlichung, wie viel Steuern in welchem Land gezahlt werden, sei "derzeit nicht geplant", lässt Fresenius verlauten. Nur wenige Unternehmen wie Siemens erklären explizit, solange nichts offenzulegen, wie das nicht gesetzlich vorgeschrieben sei.

Zählt man europäische Steueroasen mit, sind alle Dax-Konzerne betroffen

SPD, Grüne und Linke verlangen mit markigen Worten Transparenz. "Wer Steuergelder erhalten will, darf die Steuergerechtigkeit nicht mit Füßen treten", sagt der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Bei Corona-Hilfen durch die staatliche Förderbank KfW wird nach Angaben des Bundesfinanzministeriums der Steuervermeidung durch die Nutzung von Steueroasen schon jetzt "durch vertragliche Regelungen ein Riegel vorgeschoben". In Frankreich erklärt Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, dass Unternehmen mit Sitz in einem Steuerparadies oder Töchtern in einem Steuerparadies "selbstverständlich" nicht von staatlichen Hilfen profitieren könnten. In Österreich wollen die beiden Regierungsparteien ÖVP und Grüne ein gesetzliches Verbot von Hilfszahlungen an Unternehmen, "bei denen der Sitz beziehungsweise der Sitz der Muttergesellschaften in einem Staat" liege der auf der schwarzen Liste der EU stehe. In Dänemark und Polen ist Ähnliches geplant.

Die Schwarze Liste der EU hat allerdings einen Haken: Die wichtigsten Steueroasen, vor allem jene in Europa, fehlen in der Liste. Und das, obwohl in europäische Niedrigsteuerländer viel mehr Geld aus Deutschland fließt als etwa den Pazifikstaat Palau. Laut einer Berechnung von Forschern der Universitäten in Berkeley und Kopenhagen entgeht dem deutschen Fiskus das meiste Geld, weil Unternehmen Gewinne nach Irland, Niederlande, Luxemburg und die Schweiz verschieben.

Die Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network hat deswegen vor einiger Zeit eine eigene Rangliste erstellt: den Corporate Tax Haven Index. Er beschreibt, welche Steueroasen von multinationalen Unternehmen am liebsten genutzt werden. Ganz oben auf der Liste stehen die Britischen Jungferninseln, gefolgt von den Bermuda- und Kaiman-Inseln, den Niederlanden, der Schweiz und Luxemburg. In den Top-10-Staaten finden sich Tochterfirmen mal des einen, mal des anderen Dax-Konzerns, ohne Ausnahme.

Zur SZ-Startseite
Selbstständige Coronavirus

SZ PlusSelbständige in der Corona-Krise
:Soforthilfe, die nicht hilft

Der Staat wollte Selbständigen in der Krise unbürokratisch mit einem Zuschuss helfen. So weit die Theorie. Denn wofür das Geld verwendet werden darf, darüber gibt es einigen Streit.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: