Digitalisierung:"Das müssen wir besser regeln"

Zweck: IV am 22.6. zum Thema "Inhalte auf Schul-Plattformen"
Online: frei 
Honorar: nein
Quelle: privat

Robert Plötz, 50, ist Mathematik- und Physiklehrer in München. Er berät seine Schule bei der digitalen Unterrichtsentwicklung. Seinen eigenen Unterrichtsstoff, aber auch seine Visionen, etwa die der "Schule 2030", erklärt er gern in Videos auf Youtube.

(Foto: privat)

Der Lehrer Robert Plötz hat eine Idee, wie der Fernunterricht sinnvoller werden kann.

Von Susanne Klein

Digital nicht ganz auf Zack, so könnte man freundlich untertreibend den Zustand vieler deutscher Schulen beschreiben; der Corona-Notbetrieb offenbart das schmerzlich. Sogar an brauchbaren Plattformen für den Datenaustausch fehlt es vielerorts, hektisch versuchen Bildungsministerien und Schulämter, diesen Mangel zu beheben. Doch welche Materialien sollen Lehrkräfte und Schüler mithilfe einer solchen Plattform, auch Schulcloud genannt, eigentlich austauschen? Für den Lehrer Robert Plötz, der sich seit vielen Jahren mit dieser Frage befasst, liegt die Antwort auf der Hand: gute, ausgesuchte und passende Materialien müssen es sein. Im Fernunterricht, von dem niemand weiß, wie oft und wie lange er noch über Corona-Engpässe hinweghelfen muss, seien sie nötiger denn je.

SZ: Herr Plötz, eine Schulcloud ist nur so gut wie ihre Inhalte, sagen Sie. Wie meinen Sie das?

Robert Plötz: So eine Bildungsplattform für Schulen, auf der man chatten, Dateien austauschen und Termine organisieren kann, die Online-Gruppenarbeiten und Videokonferenzen ermöglicht, ist eine tolle Sache. Aber wenn die Schülerinnen und Schüler dort nur PDFs und Arbeitsblätter vorfinden, nützt sie wenig.

Warum?

Weil das meist nicht reicht, um sich zu Hause allein den Stoff zu erschließen. Schüler brauchen Verständnishilfen.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Die Volumenberechnung einer Pyramide etwa. Im Buch ist das wenig anschaulich. Das verstehe ich viel besser, wenn es mir im Unterricht erklärt wird. Oder wenn mir jemand die Aufgabe in einem gut gemachten Video vorrechnet.

Der Cloud-Inhalt muss leisten, was sonst der Lehrer im Präsenzunterricht leistet?

So gut es geht, ja. Nur dann ist eine Schulplattform wirklich hilfreich.

Dass solche Hilfen oft fehlen, hat der corona-bedingte Fernunterricht offenbart.

Das Mindeste, das wir Schülern bieten sollten, sind Erklärvideos, schön wären auch animierte Grafiken und interaktive Tests.

Gibt es nicht schon viele Videos auf Youtube? Auch Sie stellen dort welche ein.

Aber genau das zu finden, was zum Lehrplan der Jahrgangsstufe passt, kostet oft viel Zeit. Und ist es dann auch wirklich gut? Ich halte nichts davon, dass Zigtausende Lehrkräfte, jede einzeln, das Internet absuchen. Das müssen wir besser regeln.

Was schlagen Sie vor?

Dass wir in diesem Sommer eine gute Materialsammlung zusammenstellen, die im kommenden Schuljahr jeder Schule via Bildungsplattform zur Verfügung steht.

Wie soll das so schnell gehen?

Indem jedes Schulministerium sofort ein Profiteam aus Lehrkräften bildet, die sich gut mit digitalen Fachangeboten auskennen, und ihnen Informatiker und Webdesigner zur Seite stellt.

Ein Team, in das Lehrkräfte ihre Sommerferien investieren - wie realistisch ist das?

Ich bin sicher, dass sich sehr engagierte Kräfte dafür finden, wenn ihr Aufwand später zeitlich ausgeglichen wird.

Was genau müsste das Profiteam tun?

Zuerst eine Community mit digital engagierten Lehrern aufbauen und sie um Materialien bitten. Aus diesem Pool an Arbeitsblättern, Grafiken und Videos sucht das Profiteam dann die besten Angebote heraus und kauft, wo nötig, noch Inhalte von Fachanbietern dazu. Auf das Ergebnis können dann sämtliche Schulen zugreifen.

Wo bleiben da die Urheberrechte?

Damit alle Schulen alle Materialien ohne Nachfrage nutzen können, müssen es sogenannte Open Educational Resources sein, also Bildungsangebote ohne Copyright. OER ist weltweit groß im Kommen, da hängen wir in Deutschland noch ein bisschen hinterher.

Wie sähe auf dieser idealen Plattform das Angebot zur Volumenberechnung von Pyramiden aus?

Schlicht und passend zum Lehrplan. Sind dort drei Stunden vorgesehen, dann muss der Schüler das auch in drei Stunden durcharbeiten können. Erst eine Einführung mit Text und Video, dann einige wenige gute Aufgaben, dann die Lösungen und Erläuterungen dazu. Am Schluss ein interaktiver Test, der dem Schüler zeigt, du hast es drauf oder nicht. Im zweiten Fall bietet die Cloud weitere Aufgaben und Hilfen an.

Ein guter Mathelehrer kann im Klassenraum spontanes Interesse wecken, weil er Zusammenhänge herstellen kann, zu Natur, Architektur, Geschichte etwa. Wie kriegt man so ein lebendiges Element auf die Plattform bzw. in den Fernunterricht?

Wir werden die Person des Lehrers und seine Beziehung zum Schüler nie ersetzen durch rein digitale Mittel. Deswegen hoffe ich doch sehr, dass ich meine Schüler im nächsten Schuljahr mindestens jede zweite Woche komplett persönlich unterrichte. Das Digitale ist nur eine Ergänzung, ein Werkzeug. Aber immerhin eins mit viel mehr Möglichkeiten als ein Papierbuch.

Nehmen denn Lehrer, die nicht so digitalaffin sind, diese Möglichkeiten wahr?

Da bin ich optimistisch. Die Kollegen, die ich kenne, sind alle sehr interessiert daran. Wenn man nicht eine halbe Stunde suchen muss, um Material für fünf Minuten zu finden, sondern umgekehrt in fünf Minuten Material für eine halbe Stunde findet, dann ist das viel wert. Wer also fürs Volumenrechnen in seiner neunten Klasse sofort das passende Material in der Schulcloud findet, der wird diese Cloud auch nutzen.

Allerdings braucht die Cloud nicht nur gut gemachte Inhalte, die Inhalte brauchen auch eine gut gemachte Cloud. Was tut sich da an den Schulen?

Da Corona uns da mächtig Druck gemacht hat, bewegt sich einiges. Unsere bayrische Schulplattform Mebis zum Beispiel ist lückenhaft, ihr fehlen wesentliche Bausteine. Deshalb hat Bayern uns gerade zumindest vorübergehend die Profiplattform Microsoft Teams zur Verfügung gestellt.

Ein US-amerikanischer Tech-Riese in deutschen Klassenzimmern? Vor Corona war das ganz klar ein No-Go.

Ich fände eigentlich die HPI-Cloud aus Berlin sehr spannend. Sie wurde mit Unterstützung des Bundesbildungsministeriums vom Hasso-Plattner-Institut aus vorhandenen Open-Source-Bausteinen gebaut. Wenn man da noch etwas mehr investieren würde, könnte sie mit Google und Microsoft mithalten.

Man müsste keinem US-Konzern die Schultore öffnen?

Ich habe mir die Cloud aus der Nutzersicht einer Lehrkraft angeschaut und finde, HPI hat da mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln ein sehr gutes Produkt gemacht. Darauf kann man aufbauen. Meine Vision ist: Würde man in Brüssel mal anfangen, auf europäischer Ebene gemeinsam eine solche Open-Source-Cloud für Schulen zu entwickeln, dann würden bei Google und Microsoft die Aktienkurse einbrechen.

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