Bundeswehr:"Götterdämmerung" für den MAD

Bundeswehrsoldaten beim Appell

Bundeswehr-Soldaten beim Appell: Die Truppe von Rechtsextremen sauber zu halten, ist die Aufgabe des MAD.

(Foto: Jens Wolf/dpa)

Der interne Bundeswehr-Geheimdienst steht nach Affären um rechtsextreme Soldaten in der Kritik. Schaut der Dienst wirklich genau hin? Die Grünen zweifeln mittlerweile an seiner Existenzberechtigung.

Von Ronen Steinke, Berlin

An diesem Dienstag wird in Deutschland wieder viel von Rechtsextremismus die Rede sein, der Verfassungsschutz wird seinen jährlichen Bericht vorlegen. Es wird um insgesamt mehr als 30 000 Personen gehen, um heimliche Netzwerke, auch um die teilweise als rechtsextrem eingestufte AfD, in deren Reihen auffällig viele Bundeswehroffiziere sind. Ein einziges kleines Segment der Gesellschaft gibt es aber, in das der Verfassungsschutz nicht hineinschauen darf: die Bundeswehr. Dort arbeitet der MAD, der Militärische Abschirmdienst, dieser kleinste und am wenigsten bekannte Geheimdienst des Bundes. Und glaubt man dem MAD, dann ist ausgerechnet die Bundeswehr ein Raum, in den Rechtsextreme fast keinen Fuß hineinbekommen.

Glaubt man dem MAD, dann gibt es dort nicht viele Rechtsextreme. Es gibt, kurz gesagt, eigentlich fast gar keine: Nur 14 Personen im vergangenen Jahr, das sind 0,1 Promille aller Soldatinnen und Soldaten. So hat das der Dienst am 5. Mai in seinem erstmals veröffentlichten Jahresbericht verbreitet. Glaubt man dem MAD? Das ist dann allerdings genau die Frage. Nicht zuletzt Politiker der Koalition und Regierungsleute stellen sie in diesen Tagen mit wachsender Ungeduld.

Es brauche ein neues "Mind set" beim MAD, mahnt der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster an, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste. Es sei entscheidend, "wie selbstbewusst und offensiv das gesamte nachrichtendienstliche Instrumentarium genutzt wird", sprich: wie sehr der MAD eigentlich Augen und Ohren öffnet. Und der SPD-Vertreter in dem Gremium, Uli Grötsch, grollt nach einer Reihe peinlicher Enthüllungen in den vergangenen Tagen: "Alles, was der MAD sich in den vergangenen zwei Jahren an Vertrauen aufgebaut hat, ist aus meiner Sicht gestört."

Er ist ein eigenwilliges Konstrukt, dieser Geheimdienst, der in Köln in einer Kaserne mit tristem Bürohochhaus sitzt. Auf den Fluren stehen Vitrinen mit allerlei Orden und Pokalen. Ursprünglich hatte der MAD im Kalten Krieg die Aufgabe, Ostspione zu enttarnen. Nach der Wiedervereinigung hat man den zuletzt etwa 1200 Agenten die Aufgabe gegeben, die Truppe vor allem von Rechtsextremen sauber zu halten. Es sind keine politischen Analysten wie beim Verfassungsschutz. Schon gar nicht sind es Akademiker wie beim BND. Auf den Sommerempfängen des MAD trinken Soldaten mit Soldaten. Man nennt sich gegenseitig Kamerad und bestellt am Tresen eine "Hopfenkaltschale". Militär unter sich.

Vorwurf der "Beißhemmungen"

Das Prinzip, für das der MAD heute, dreißig Jahre nach Ende des Kalten Krieges, steht, ist die Ermittlung in eigener Sache. Wenn hinter Kasernenmauern rechtsextreme Seilschaften entstehen oder "Tag X"-Szenarien gesponnen werden, dann beugt sich nicht ein externer Herr - oder eine Dame - vom Verfassungsschutz über den Fall. Sondern es schaltet sich ein Offizier ein. Die Sache bleibt hinter Kasernenmauern. Der MAD-Offizier versteht dann vielleicht viel von der Welt der Bundeswehr. Von den Abkürzungen, den Gepflogenheiten. Aber geht er mit den eigenen Kameraden auch genauso hart ins Gericht, wie es ein Nichtkamerad tun würde?

Beißhemmungen, dieser Vorwurf ist immer wieder aufgekommen über die Jahre. Er schmerzt die MAD-Leute - und er beschreibt das Problem womöglich auch nicht ganz treffend. Der Präsident des MAD ist Christof Gramm, 62 Jahre alt, ein freundlich auftretender Mann mit dunkler Krawatte, der nicht aus dem Militär kommt, sondern ursprünglich aus dem Justizministerium. Er kann sehr ausführlich beschreiben, wie elendig langsam die Mühlen eines Disziplinarverfahrens gegen Soldaten mahlen. Man ahnt, wie sehr es ihn frustriert, dass sie nicht einmal den Oberleutnant Franco A. aus der Bundeswehr werfen konnten. Jenen Soldaten also, der 2014 in einer Bundeswehr-Masterarbeit schrieb, die Aufnahme von Migranten bedeute einen "Genozid" an den Deutschen und "Mischehen" seien von Übel. Und der sich unter falschem Namen als vermeintlicher syrischer Flüchtling registrierte. Das Soldaten-Disziplinarrecht hat so wenig Durchschlagskraft, weil die Bundeswehr erst den Ausgang eines zivilen Gerichtsverfahrens gegen Franco A. abwarten muss. Auch in vielen anderen Fällen ist das so.

Immerhin hat die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer jüngst einen Wunsch von MAD-Chef Gramm erfüllt und die Dauer, während derer neue Rekruten im Fall von extremistischen Vorfällen auch vereinfacht entlassen werden können - eine Art Verfassungstreue-Probezeit - von vier auf acht Jahre verlängert.

Aber in der Zwischenzeit spielt der MAD, auch das gehört zur Wahrheit, eine sonderbar beschwichtigende Rolle nach außen hin. Christof Gramm erklärt die seltsam niedrigen Extremisten-Zahlen wie folgt: Man brandmarke keinen Soldaten leichtfertig. Der MAD stempele einen Soldaten erst dann als "erkannten Rechtsextremisten" ab, wenn er diesen Vorwurf auch gerichtsfest beweisen könne.

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Der Präsident des Bundesamtes für den militärischen Abschirmdienst, Christof Gramm, kommt nicht aus dem Militär, sondern ursprünglich aus dem Justizministerium.

(Foto: Michael Sohn/AP)

Das klingt sehr rechtsstaatlich. Andererseits: Eine solche Logik gibt es nur beim MAD. Außerhalb der Kasernenmauern gelten strengere Maßstäbe. Für den Verfassungsschutz gilt jemand bereits dann als rechtsextrem, wenn der Verfassungsschutz dafür Belege sieht, nicht erst wenn es auch für eine Entlassung aus dem Beruf reicht. Der MAD agiert da anders, er vermeidet dann lieber den Begriff "rechtsextrem". Sonst müsste er eingestehen, dass die Bundeswehr Rechtsextremisten beschäftigt - und dass er (noch) nicht weiß, wie er dieses Problem lösen soll.

Seit etwa zwei Jahren zürnt das Parlamentarische Kontrollgremium deshalb, die Affäre um Franco A. hat eine umfassende Untersuchung ausgelöst. Zutage gekommen sind weitere extremistische "Strukturen" in der Bundeswehr, die sich "unter dem Radar des MAD" entwickeln konnten, so sieht das der Vizevorsitzende des Gremiums, der Grüne Konstantin von Notz. Sein CDU-Kollege Armin Schuster sagt: "MAD und Bundeswehr dürfen sich nicht zufriedengeben nach dem Motto: Ich habe nur ganz wenige gerichtsfeste Disziplinar- und Extremistenfälle, also ist die Welt in Ordnung. Das musste sich ändern, weil es wichtig ist, auch für Vorkommnisse sensibel zu sein, die sich unterhalb dieser Schwelle abspielen."

Ein Abgeordneter spricht von "Götterdämmerung" für den Dienst

Der Ständige Bevollmächtigte des Gremiums, Arne Schlatmann, hat bereits zwei mündliche Berichte über die Mängel in der Arbeit des MAD erstattet. Ein Abgeordneter spricht von "Götterdämmerung" für den Dienst. Man hat den MAD bereits deutlich durchgeschüttelt, die Bundesregierung hat ihm mehrere Hundert neue, zivile Mitarbeiter verordnet sowie erstmals einen zivilen Vizepräsidenten. Und trotzdem: Als zu Beginn dieses Jahres neue rechte Umtriebe in der Elitetruppe KSK bekannt wurden, behielt der MAD das monatelang für sich und weihte den Verfassungsschutz erst hinterher ein.

Und dann wären da die undichten Stellen im Apparat. Auch sie haben jetzt wieder die Sorge verstärkt, dass beim MAD zu oft der Geist der Kameradschaft der Professionalität in die Quere kommt: In der vergangenen Woche ist ein hochrangiger MAD-Mann suspendiert worden, der Interna an Soldaten weitergegeben haben soll, sodass sie womöglich vor Razzien gewarnt waren und Beweise vernichten konnten.

"Es wird problematisch, wenn der MAD sich in Konkurrenz zum Verfassungsschutz sieht", sagt der SPD-Geheimdienstkontrolleur Uli Grötsch. Und noch ungeduldiger, stellt der Grüne Konstantin von Notz inzwischen die Frage nach der "Existenzberechtigung" des Dienstes. Es gebe noch immer "keine proaktive Aufklärung, man reagiert lediglich auf Schlagzeilen und auf von dritter Seite Recherchiertes". Verantwortlich dafür sei auch das Verteidigungsministerium.

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