FC Barcelona:Messi spricht Sätze aus Nitroglyzerin

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Frustriert: Lionel Messi beim Spiel gegen Osasuna (Foto: Getty Images)

Während Real Madrid die Meisterschaft feiert, setzt Lionel Messi zur Generalabrechnung an - das dürfte Barcelona-Trainer Quique Setién den Job kosten.

Von Javier Cáceres

Der Meisterpokal war in Madrid noch gar nicht von Hand zu Hand gewandert, da wurde Spaniens Fußballnation von den Druckwellen einer Explosion erfasst. 2:1 hatte Real Madrid gegen den FC Villarreal gewonnen, damit den 34. Titel der Vereinsgeschichte eingesammelt, am Ende wurde Trainer Zinédine Zidane von den Profis in die Luft geschleudert. Doch in den Radiosendern kreisten die Debatten um Lionel Messi, die Nummer 10 des FC Barcelona. Die Katalanen hatten 1:2 gegen Osasuna verloren - und das setzte beim kleinen Argentinier so viel Frust frei, dass er zu einer donnernden Generalabrechnung ansetzte, die wohl das Aus für seinen Trainer Quique Setién besiegeln dürfte.

Dass sich Real Madrid Verdienste um den Meistertitel erworben habe - keine Frage, hob Messi an. Seit Ende der Corona-Pause hat der Erzrivale aus der Hauptstadt alle zehn Spiele gewonnen und einen Punkt Rückstand in der Tabelle in sieben Zähler Vorsprung verwandelt. Das müsse man erst mal hinkriegen, fügte Messi hinzu. Dann aber folgten Sätze, die nicht aus Verben, Subjekten und Prädikaten bestanden. Sondern aus Nitroglyzerin.

"Seit Januar lief alles schlecht"

"Wir haben einiges dafür getan, dass sie die Meisterschaft mitnehmen konnten. Wir müssen Selbstkritik üben - wir Spieler zuerst, aber auch ganz global", erklärte der Mann mit der Kapitänsbinde bei Barcelona. Man sei die ganze Saison über "ein unbeständiges, schwaches Team" gewesen, das von zu vielen Gegnern "durch Intensität, durch Willen" besiegt worden sei. Fazit Messi: "Seit Januar lief alles schlecht." Just im Januar war Trainer Ernesto Valverde durch Setién abgelöst worden - ohne Erfolg. Doch damit nicht genug: Er habe schon vor langer Zeit gewarnt, dass man die Champions League so nicht gewinnen könne, "jetzt hat es nicht mal für die Meisterschaft gereicht", grollte Messi. Und: Man solle sich nichts vormachen. "Wenn wir nicht reagieren", werde man im Achtelfinalrückspiel der Königsklasse gegen den SSC Neapel verlieren (Hinspiel: 1:1), glaubt der mehrmalige Weltfußballer.

Mit seiner vollumfassenden Kasteiung dürfte Messi die Glücksgefühle in Madrid nur verstärkt haben. Und das, obwohl sie zumindest bei Reals Trainer Zidane, 48, eh kaum zu steigern waren. Der Franzose ist nun hinter Miguel Muñóz (14 Titel) der zweiterfolgreichste Coach der Vereinsgeschichte, mit nur 209 Partien hat er sagenhafte elf Trophäen - sprich: alle 19 Spiele einen Pokal - in die Luft heben dürfen. Unter anderem hat er dreimal die Champions League gewonnen, den Fetisch-Wettbewerb seines Arbeitgebers. Und doch sagte Zidane, dass die Meisterschaft über den Insignien kontinentaler Herrschaft stehe.

"Dies ist einer der schönsten Tage meines Berufslebens", sagte der Weltmeister von 1998. Das war nicht nur so dahingesagt: Schon im Mai 2018 hatte er bei seinem (wenige Monate später revidierten) Rücktritt erklärt, dass ihm der wichtigste aller Erfolge Reals Meistertitel von 2017 sei - eine Saison, die unter anderen fußballerischen Vorzeichen stand als diese.

Damals erzielte Real Madrid 106 Treffer und kassierte 41, was sich unter anderem daraus erklärte, dass der mehrmalige Weltfußballer Cristiano Ronaldo die prägende Figur des Teams war. Diesmal hat Real (bei noch einem ausstehenden Spiel) gerade mal 68 Tore erzielt - aber auch nur 23 Gegentreffer kassiert. Zwar adelte Reals Präsident Florentino Pérez am 20. Jahrestag seiner erstmaligen Wahl zum Klubchef seinen Lieblingsspieler, den Torjäger Karim Benzema, zum "besten Spieler der Welt". Der Schlüssel zum Erfolg war aber nicht der Mittelstürmer mit seinen bislang 21 Saisontoren. Sondern die solide und seriöse defensive Achse des spanischen Rekordmeisters.

Tragende Säulen waren die Innenverteidiger Sergio Ramos und Raphael Varane; und auch der brasilianische Sechser Casemiro, der vor der Abwehr oft zusammen mit dem uruguayischen Zerstörer Fede Valverde agierte und Künstlern wie Luka Modric, Isco oder dem deutschen Nationalspieler Toni Kroos den Rücken freihielt. Beziehungsweise: Torwart Thibaut Courtois entlastete. Der Belgier wird nun jene nach dem legendären Ricardo Zamora benannte Trophäe gewinnen, die traditionell an den besten Torwart der Liga geht.

Letztlich war der Titel so verdient, dass in Barcelona nur noch vereinzelt darüber geätzt wurde, dass die Schiedsrichter auch ihre Rolle bei Reals Triumph gespielt haben. Keiner Mannschaft wurden mehr Elfmeter zugesprochen als dem neuen Meister (elf); gegen sich selbst musste Real nur zwei Strafstöße hinnehmen - weniger als jedes andere Team der Liga. In den letzten acht Spielen gab es fünf Elfmeter für Real, wobei nicht alle so schmeichelhaft waren wie der Strafstoß vom Donnerstag gegen Villarreal zum zwischenzeitlichen 2:0.

"Egal, was andere sagen mögen, dies alles ist verdienstvoll", sagte Kapitän Sergio Ramos, bevor er den Titel den Fans widmete. Die sollten wegen der Pandemie nicht auf der Straße feiern, sondern auf den heimischen Balkonen. Und was folgt? Real muss im Rückspiel des Achtelfinales der Champions League einen 1:2-Rückstand bei Manchester City aufholen. Und bei Barça deutet sich an, dass Coach Setién noch vor der Partie gegen Neapel durch Francisco Javier García Pimienta ersetzt wird. Messi kennt und schätzt ihn: "Pimi" war sein Jugendtrainer.

© SZ vom 18.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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