Katastrophe in Beirut:Warum Ammoniumnitrat so gefährlich ist

Tianjin Explosion Ammoniumnitrat

Krater nach der Explosion im chinesischen Tianjin, 2015.

(Foto: Str/dpa)

Wegen seiner chemischen Eigenschaften eignet sich Ammoniumnitrat zur Herstellung von Düngemitteln. Doch genau diese machen es auch so gefährlich - und manche nutzen das für ihre Zwecke.

Von Xaver Bitz

Die Bilder aus Beirut erinnern an die Explosion einer Bombe, einer sehr großen Bombe. Stunden später heißt es, dass um die 2700 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert sein sollen. Eine Chemikalie, die auch in Deutschland zur Herstellung von Düngemitteln verwendet wird. Und die immer wieder für schreckliche Unfälle mit Hunderten Toten und noch mehr Verletzten sorgt. Die aber auch Menschen nutzen, um möglichst viel Leid zu verursachen.

Dabei sehen die farblosen Kristalle, die so viel Zerstörung bringen können, ganz harmlos aus. Es handelt sich dabei "um ein Salz, das aus Salpetersäure und Ammoniak" gebildet wird, wie Andreas Battenberg, Chemiker an der Technischen Universität München, erklärt. Da das Ammoniumnitrat viel Stickstoff enthält, wird es als Komponente in Düngemitteln genutzt, um den Stickstoffhunger der Pflanzen zu stillen. Der Stoff ist explosionsfähig, wenn man ihn mit einer "externen Zündung" zur Explosion bringt.

"Das Fatale daran ist", sagt Battenberg, dass das Molekül bei der Explosion in Wasser, Sauerstoff und Stickstoff zerfällt und dabei extrem viel Gas freisetzt. Wenn Ammoniumnitrat also einmal gezündet ist, kann man die Reaktion nicht mehr stoppen. Das gebe eine "enorme Explosionswucht".

Dafür reicht es nicht, einfach nur ein Feuerzeug hinzuhalten oder die Säcke mit dem Stoff zu lange in der Sonne stehen zu lassen. Battenberg zufolge braucht es "eine Initialzündung". Er verweist auf die in den Videos zu sehenden Rauchwolken, die auf einen bestehenden Brand in dem Lager hindeuten. Man müsse das Nitrat auf mehr als 300 Grad erhitzen, "um die Reaktion zu starten". Dann allerdings könne man das Unglück nicht mehr stoppen. "Wenn das einmal reagiert, wird so viel Energie frei, dass rundherum alles andere auch zum Reagieren gebracht wird." Ein Ölfass etwa brenne einfach ab, bei Ammoniumnitrat gibt es eine fatale Kettenreaktion.

Dünge-Alternativen zum stickstoffreichen Ammoniumnitrat gebe es zwar, beispielsweise in Form von Harnstoff. Doch bei diesem sei der Stickstoffanteil "nicht so schnell verfügbar", weswegen Harnstoffe auch mit Nitraten gemischt werden. Darum bleibt Ammoniumnitrat eine wichtige Düngerkomponente. Aufgrund der Explosionsgefahr darf es in Deutschland Battenberg zufolge nur in Mischung mit anderen Substanzen, etwa Kalk, verwendet werden, damit es sich nicht entzünden kann.

Unfälle mit Hunderten Toten

Da Ammoniumnitrat so gefährlich ist, gab es schon einige Unfälle und große Explosionen. Am 21. September 1921 etwa explodierte in Ludwigshafen am Rhein ein Gebäude des Oppauer Stickstoffwerkes, das zur Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF) gehörte. Dabei sollte wie üblich eine festgewordene Ammoniumsulfat-Ammoniumnitrat-Mischung durch Dynamit aufgelockert werden. Aufgrund einer Änderung im Produktionsablauf kam es offenbar zu einer lokalen Anreicherung von Ammoniumnitrat im Produkt.

BASF Unglück 1921

Ein Luftbild zeigt den Krater nach der Explosion in Ludwigshafen.

(Foto: -/picture-alliance / dpa/dpaweb)

Durch die eigentlich zur Lockerung gedachten kleineren Dynamit-Explosionen kam es im kurzen Abstand zu zwei gewaltigen Ammoniumnitrat-Explosionen, wobei etwa 400 von dort gelagerten 4500 Tonnen Düngemittel explodierten. 559 Personen starben, 1977 wurden verletzt, vom Gebäude, in dem das Düngemittel lagerte, blieb nur noch ein Krater übrig. In Hunderten Kilometern Entfernung konnte man die Explosion noch hören.

Zu einer noch schlimmeren Katastrophe kam es am 16. April 1947 in Texas City in den USA, als im Abstand von 15 Stunden die beiden im Hafen liegenden Schiffe Grandcamp und High Flyer explodierten. An Bord der Grandcamp befanden sich 2300 Tonnen Ammoniumnitrat, bei der High Flyer waren 900 Tonnen und dazu noch 1800 Tonnen Schwefel.

Ursache des Unglückes, bei dem 581 Menschen ums Leben kamen und mehr als 5000 verletzt wurden, war ein Feuer, das am Morgen des 16. April auf der Grandcamp ausbrach und gegen 8.10 Uhr entdeckt wurde. Die Mannschaft versuchte das Feuer mit Wasser zu löschen, hatte damit aber keinen Erfolg. Im Gegenteil: Es bildete sich heißer Wasserdampf, der in Reaktion mit dem Ammoniumnitrat noch mehr Hitze erzeugte.

Katastrophe in Beirut: Rettungskräfte in Texas City nach der Explosion.

Rettungskräfte in Texas City nach der Explosion.

(Foto: AP/AP)

Gegen 9.12 Uhr explodierte das im Hafen liegende Schiff schließlich. Die Druckwelle zerstörte die Docks, naheliegende Industrieanlagen und Teile der Stadt selbst. In 60 Kilometern Entfernung gingen Scheiben zu Bruch. Das mehr als 6000 Tonnen schwere Schiff wurde in die Luft geschleudert. Auf der in 200 Meter Entfernung liegenden High Flyer brach ebenfalls ein Feuer aus. Die Mannschaft bekämpfte es, jedoch ohne Erfolg. Auch Versuche, das Schiff aus dem Hafen zu manövrieren, schlugen fehl. 15 Stunden nach der verheerenden Explosion der Grandcamp explodierte auch das zweite Schiff - zwei weitere Personen kamen ums Leben.

Trocknende Schießbaumwolle als Brandursache

Die aktuellste Katastrophe mit Ammoniumnitrat ist der Fall im chinesischen Tianjin. In der Hafenstadt brach am 12. August 2015 am Abend in einem Lagerhaus ein Feuer aus. Eine knappe Stunde lang kämpften Hunderte Feuerwehrleute gegen den Brand, doch vergeblich. Innerhalb von etwa dreißig Sekunden kam es zunächst zu einer kleineren, danach zu einer gewaltigen Explosion.

173 Menschen kamen ums Leben, knapp 800 wurden verletzt. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass auf dem Gelände 800 Tonnen Ammoniumnitrat und dazu 500 Tonnen Kalium- und Natriumnitrat lagerten, allesamt hochexplosiv. Für zusätzliche chemische Verunreinigung sorgten größere Mengen an Natriumcyanid und Calciumcarbid, die zu gefährlichen Stoffen wie Blausäure und Ethin-Gas reagieren können. Eine Untersuchung kam zu dem Schluss, dass das Feuer durch das Austrocknen von Schießbaumwolle verursacht wurde, weil nicht genug Feuchtigkeitsspender vorhanden war.

Ammoniumnitrat als Mittel zum Terror

Doch es gab auch Menschen, die die Zerstörungskraft von Ammoniumnitrat als Mittel für ihre tödlichen, meist terroristischen Zwecke nutzten. Mit der bekannteste ist der als "Oklahoma Bomber" in die Geschichte eingegangene Timothy McVeigh. Er parkte am 19. April 1995 einen mit Ammoniumnitrat und Nitromethan beladenen Van vor dem Alfred P. Murrah Federal Building in Oklahoma City. Der Van explodierte um 9.02 Uhr Ortszeit und zerstörte das achtstöckige Gebäude vollständig. 168 Menschen kamen ums Leben, darunter auch 19 Kinder, die sich zum Zeitpunkt der Explosion in dem Kindergarten in dem Gebäude befanden. 800 Menschen wurden verletzt, 300 weitere Gebäude in der Stadt wurden beschädigt.

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Das Albert P. Murrah Federal Building in Oklahoma City am Tag nach dem Attentat durch McVeigh.

(Foto: BOB DAEMMRICH/AFP)

McVeigh wurde durch Zufall eine Stunde nach dem Anschlag aufgrund eines fehlenden Nummernschildes und Waffenbesitzes verhaftet. Erst später bemerkten die Ermittler, dass er der Drahtzieher hinter den Anschlägen war. Er wurde von einem Bundesgericht zum Tode verurteilt, die Strafe wurde am 11. Juni 2001, sechs Jahre nach dem Anschlag vollstreckt.

Auch der norwegische Rechtsterrorist Anders Behring Breivik nutzte Ammoniumnitrat, um einen Teil seines menschenverachtenden Planes umzusetzen. Er zündete am 22. Juli 2011 um 15.25 Uhr in Oslo vor dem Regierungsgebäude des norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg eine selbstgebaute Autobombe. Die Wucht der Explosion tötete acht Menschen, mehrere Gebäude wurden beschädigt. Breivik fuhr daraufhin mit einem anderen Auto zur 30 Kilometer entfernten Insel Utøya und erschoss 69 Menschen.

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