Flüchtlingspolitik:Europäische Wurstigkeit und Moria

Moria: Kinder sitzen vor dem abgebrannten Flüchtlingslager

Kinder im teilweise abgebrannten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

(Foto: Angelos Tzortzinis/AFP)

Das von einem Brand verheerte Lager auf der griechischen Insel Lesbos ist Sinnbild des Versagens - auch des deutschen Innenministers Seehofer.

Kommentar von Constanze von Bullion, Berlin

Ein Feuer hat das Flüchtlingslager Moria verwüstet und die europäische Migrationspolitik gleich mit. Sie hat es nicht besser verdient. Denn was sich seit fünf Jahren auf der griechischen Insel Lesbos abspielt, ohne dass irgendein Mitgliedstaat der EU eingegriffen hätte, ist das Ergebnis maximaler Gleichgültigkeit. Schlechter können demokratische Staaten die internationale Flüchtlingsnot nicht mehr managen. Und so wie es aussieht, haben Geflüchtete die Schande Moria nun selbst beseitigt.

Wie ein Brandmal liegt auf der Ägäisinsel offen, was die Staaten der Europäischen Union über Jahre verdrängt haben - oder anderen aufzuhalsen suchten. 12 600 Menschen lebten bis zuletzt im Dreck von Moria, mit Mülltüten, Gestank und Perspektivlosigkeit.

Das Lager, das eigentlich nur für 2800 Migranten und als Übergangslösung konzipiert war, ist längst ein Ort der Verzweiflung und Gewalt. Sie richtet sich in hohem Maß gegen Frauen und Kinder. Gejuckt hat das kaum jemanden jenseits von Griechenland, von einer Handvoll engagierter Helfer abgesehen.

Alles längst bekannt? Alles längst bekannt. So sicher wie das Feierabendbier war in Europas Wohlfahrtswohnzimmern auch die Erkenntnis, dass das Coronavirus das griechische Camp erreichen würde. Als das geschah, hat man das Lager unter Quarantäne gestellt. Klappe zu, Affe tot? Sollten Brandstifter aus dem Lager die Feuer gelegt haben, wäre das zumindest keine Überraschung.

Moria darf nicht wieder aufgebaut werden, neue Dramen wären gewiss, nicht nur für Geflüchtete. Zu den Opfern europäischer Wurstigkeit gehören auch die Griechen. Sie fühlen sich verraten von der EU, die Regierung setzt nun auf erbarmungslose Abschottungspolitik. Längst suchen neonazistische Bürgerwehren die Probleme auf eigene Faust zu lösen. Nie geklärt wurden auch Hinweise, dass die griechische Küstenwache sich an illegalen Pushbacks beteiligt und Bootsflüchtlinge abdrängt oder über Bord stößt. Mit Flüchtlingskonventionen und Menschenrechten unvereinbar?

Natürlich. Am südöstlichen Rand Europas erodiert die Rechtsstaatlichkeit unter aller Augen. So viel Verantwortungslosigkeit aber kann der Kontinent sich nicht leisten. Die EU-Kommission muss aufwachen aus ihrer Transusigkeit. Monat um Monat hat Brüssel eine Reform der dysfunktionalen europäischen Asylpolitik versprochen. Vorgelegt wurde nichts. Etliche Staaten mögen nicht mit anpacken bei der Flüchtlingsverteilung. Dann müssen sie eben alternativ zu Zahlungen veranlasst werden, etwa für Grenzschutz.

Platz ist da, Bereitschaft auch

Die Flammen von Moria leuchten aber auch Bundesinnenminister Horst Seehofer heim, der ein paar Hundert kranke Kinder aus griechischen Camps aufnehmen ließ. Das ist besser als in Frankreich, wo man 49 Kinder einflog, eine lächerliche Zahl.

Aber auch Deutschland kann mehr helfen, es muss. Statt sich auf juristische Spitzfindigkeiten zurückzuziehen, muss Seehofer Berlin und Thüringen endlich die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge gestatten. Platz ist da, Bereitschaft auch.

Es widerspricht auch keiner europäischen Absprache, wenn Deutschland bei der Evakuierung von Moria vorangeht und weitere Vertriebene übernimmt. Nur so, mit beispielhafter Humanität, kann sich die Migrationspolitik aus einer gefährlichen Lähmung befreien. Die Ausreden sind längst aufgebraucht.

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