Kommunalwahlen in NRW:Der Stimmungsmacher

Felix Heinrichs

Oberbürgermeister mit 31 Jahren? Norbert Walter-Borjans (SPD, Mitte) unterstützt Felix Heinrichs (rechts) auf dem Marktplatz in Mönchengladbach-Rheydt.

(Foto: Lukas Thum)

Die SPD ist im Abwärtstrend, in Mönchengladbach aber geht ein 31-jähriger Sozialdemokrat als Favorit in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters. Was macht er anders? Eine Reportage

Von Benedikt Peters, Mönchengladbach

Ein SPD-Chef hat viele Aufgaben, und dazu gehört auch, mal mit einem Strauß Rosen auf dem Marktplatz zu stehen. Ein Morgen in dieser Woche in Mönchengladbach, Stadtteil Rheydt: Norbert Walter-Borjans schreitet über das Kopfsteinpflaster, zwischen Fisch- und Gemüsestand verteilt er Blume um Blume, und immer wieder sagt er: "Bitte, gehen Sie am Sonntag zur Wahl." Dass der 68-jährige Bundesparteichef sich das hier antut, das hat mit dem Mann neben ihm zu tun, der ebenfalls eifrig Rosen verteilt: Felix Heinrichs, Sakko, dunkler Bart, Hornbrille.

Heinrichs hat etwas geschafft, was es bei den Sozialdemokraten gerade recht selten gibt: Er hat eine Wahl gewonnen. In der ersten Runde der Kommunalwahlen vor zwei Wochen holte er in Mönchengladbach den ersten Platz, 37,5 Prozent. Nun geht er als Favorit in die Stichwahlen, die an diesem Wochenende in vielen nordrhein-westfälischen Kommunen stattfinden. Heinrichs könnte Oberbürgermeister der 270 000 Einwohner von Mönchengladbach werden - und das mit gerade einmal 31 Jahren.

Wie so viele Wahlen in den letzten Jahren waren die nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen für die Sozialdemokraten ein großer Misserfolg. Abgesehen von wenigen Ausnahmen setzte es vor allem Niederlagen, landesweit sackte die Partei von 31,4 auf 24,3 Prozent ab. Viele Sitze in den Stadträten gingen verloren, und das ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen. Das Land gilt vielen noch als Hochburg der Sozialdemokratie, was aber schon immer vor allem für das Ruhrgebiet stimmte.

Andere Landesteile, Westfalen etwa oder das Sauerland, neigen meist stärker der CDU zu. Das gilt auch für Mönchengladbach: Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es in der Stadt am Niederrhein erst einen einzigen roten Oberbürgermeister. Den Fall Felix Heinrichs macht das umso interessanter: Wie holt einer in diesen Zeiten, gegen alle Trends, so viele Stimmen für die SPD?

Das Wichtigste: eine Stimmung erzeugen

Die Suche nach einer Antwort beginnt am Dienstagmorgen vor einem Fabrikgebäude aus roten Backsteinen. Heinrichs steigt aus einem alten Mercedes der A-Klasse, zum Sakko trägt er Sneaker und beige Chinos. Er hat einen Fotografen dabei, für seinen Auftritt bei Instagram. Und Günther, Anfang 70, vom SPD-Ortsverein Mönchengladbach-Nord. Der bringt Heinrichs von Wahlkampftermin zu Wahlkampftermin, das Pensum wäre sonst nicht zu schaffen, sagt Heinrichs: "Ich bin jetzt bei über 170 Terminen."

An diesem Vormittag trifft er drei junge Männer, die hippe Socken machen. Sie haben ein paar Räume gemietet auf dem Fabrikgelände, das früher einmal einem großen Textilmaschinenhersteller gehörte, und führen von hier aus ihr Start-up. Heinrichs befühlt die Socken und lässt sich das Geschäftsmodell erklären. Sie reden darüber, wie man heutzutage erfolgreich ist, wenn man etwas verkaufen will.

Irgendwann sagt Heinrichs: "Das Wichtige ist, dass man nicht bloß ein Produkt verkauft. Sondern, dass man eine Stimmung erzeugt." Damit redet er nicht nur über die Socken-Unternehmer, sondern auch über sich selbst.

Seit mehr als einem Jahr hat Heinrichs daran gearbeitet, eine Stimmung in Mönchengladbach zu erzeugen, die ihm nutzt. "Mehr Mut" lautet sein Wahlkampfmotto, und das passt gut zu einer Stadt, die sich manchmal kleiner macht, als sie eigentlich ist. Die lokale Wirtschaft wächst, in den vergangenen Jahren haben mehrere Unternehmen ihren Sitz nach Mönchengladbach verlegt, es gibt eine gute Hochschule und ein angesehenes Kunstmuseum.

Trotzdem sind viele Mönchengladbacher unzufrieden, sie schimpfen über den Leerstand in manchen Ecken der Stadt, über den teuren Rathausneubau, darüber, dass es zu wenige Radwege gebe. "Die Leute hier sagen oft: ,Das wird eh nix'. Das will ich ändern", sagt Heinrichs. Und er tut viel, um seine Botschaft unters Volk zu bringen.

Seit Sommer 2019 hat der 31-Jährige unzählige Vereine und Unternehmen besucht, ist auf Marktplätzen gestanden und hat manchmal auch einfach nur ein paar Bürger auf einen Kaffee getroffen, nachdem sie ihm geschrieben hatten. Er war damit deutlich früher dran als die Konkurrenz, und als die Corona-Pandemie nach Deutschland kam, sattelte er um auf Videochats.

"Sie sind ja schon seeeeehr jung, ne?"

Über alle seine Treffen berichtet er im Internet. Auf Instagram folgen ihm etwa dreimal so viele Menschen wie seinem Gegenkandidaten von der CDU, und über Facebook erreicht er inzwischen 50 000 Leute pro Woche. Den Bürgern über 60, die seltener im Internet sind, hat er einen Brief geschrieben. "Mega engagiert" sei Heinrichs' Wahlkampf, das sagen sogar Leute aus dem gegnerischen Lager.

Mit seinen 31 Jahren versucht Heinrichs, den Aufbruch in der Stadt zu verkörpern. Gleichzeitig tut er alles, um nicht unerfahren zu wirken. Beim Rosenverteilen auf dem Markt in Rheydt wartet in dieser Angelegenheit eine schwere Prüfung auf ihn, fünf weißhaarige Damen blicken skeptisch, als er mit Walter-Borjans vorbeikommt. "Sie sind ja schon seeeeehr jung, ne?", sagt eine. Eine andere: "Wir sind ja am Überlegen, ob wir der Jugend ne Chance geben." "Ich würde mich freuen", antwortet Heinrichs, "es kommt ja nicht auf das Alter an, sondern auf die richtigen Inhalte." Er überreicht den Damen eine Broschüre mit seinem Wahlprogramm, dann schlendert er weiter.

Er muss solche Fragen häufig beantworten, er verweist dann gerne darauf, dass er seit Jahren Geschäftsführer eines Altenheims mit 50 Mitarbeitern ist. Auch seine politische Karriere ist für sein Alter schon recht lang, mit 17 kam er in den Vorstand der Mönchengladbacher SPD, seit zwei Jahren ist er im Landesvorstand. Außerdem führt er seit 2014 die SPD-Fraktion im Stadtrat. Er ist Mitglied in mehreren Karnevalsvereinen, beim Kinderschutzbund, im Schützenverein, so hat er über die Jahre Kontakte weit in bürgerliche Kreise hinein geknüpft.

Dass er schon länger in der Politik ist, merkt man Heinrichs an. Er kann bis in die letzten Details über Verkehrsplanung oder Wirtschaftsförderung reden. Das ist nicht immer frei von Floskeln ("Wir müssen die Menschen mitnehmen"), wirkt aber meistens überzeugend. Das Gesagte unterstreicht er mit seinen Händen.

Blitzschnell wechselt er in seiner Ansprache hin und her, je nachdem, wen er vor sich hat. Mit den Jungen redet er über "Insta" und die "Influencer", mit Müttern über fehlende Spielplätze und dass er sich da sicher kümmern werde. Für ältere Damen schließlich hält er ein charmantes Witzchen parat. "Ach was, sie sind 65? Ich hätte jetzt gesagt 64."

Als alle Rosen verteilt sind, steht Norbert Walter-Borjans leicht erschöpft am Infostand. Ob sich aus dem Erfolg in Mönchengladbach etwas für die SPD im Bund lernen lässt? Es sei schon "ein dickes Brett, verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen", sagt der Parteichef, "ich denke schon, das geht am besten mit Köpfen, gerade auch mit den Jungen." Dann muss er weiter, nach Mülheim ins Ruhrgebiet. Dort wartet noch eine Kandidatin, die an diesem Wochenende eine Stichwahl gewinnen will.

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