Boxen im Ersten:Vier Fäuste gegen die lausige Gegenwart

Boxen im Ersten: Boxen im Fernsehen lebt auch von Tradition, Ritual, Wiedererkennung. Insofern erinnerte der Magdeburger Kampfabend kein bisschen an boxerische oder sonst welche Glanztage. Illustration: Stefan Dimitrov

Boxen im Fernsehen lebt auch von Tradition, Ritual, Wiedererkennung. Insofern erinnerte der Magdeburger Kampfabend kein bisschen an boxerische oder sonst welche Glanztage. Illustration: Stefan Dimitrov

Das Boxen ist zurück in der ARD, mit dem ersten Kampf seit 2014 und Henry Maske als Experten in unerreichter Umständlichkeit. Über einen Sport, der mal groß war im Fernsehen.

Von Holger Gertz

Das Außergewöhnliche am Boxen ist sein Überraschungspotenzial. Man macht den Fernseher an, man hat eine ungefähre Vorstellung von dem, was kommt, aber dann kommt es ganz anders - so was bringt das Fernsehen live ja nur noch selten hin. Dass der Hochgewettete gegen das Fallobst antritt, und das Fallobst gewinnt. Das wollen die Leute doch sehen: das Unerwartete. Samstagnacht, als die ARD das Preisboxen ins Öffentlich-Rechtliche zurückholte, kam vor dem Kampf Das Wort zum Sonntag, in dem Pfarrerin Ilka Sobottke sehr ausdauernd über das Boxen sprach. Sie hatten es im Ersten also als Themenabend angelegt. "Das Leben ist für viele so ein Kampf -als wäre Gott selbst der Gegner", sagt Frau Pfarrerin, und damit hatte sie die Veranstaltung dann gleich mal unerwartet hoch eingehängt.

Kurz nach Ilka Sobottke trat Henry Maske ins Bild, born in Treuenbrietzen (DDR) und nach der Wende als Halbschwergewicht ein gesamtdeutscher Superstar geworden beziehungsweise in den Neunzigern von seinem Sender RTL zu einem gefühlten Weltstar hochgefunkt. Jaja, boxen und TV ist eine perfekte Kombi, wenn alles passt. Samstagabend nun passte beim Kampfabend in Magdeburg vieles nicht, der frühere Boxer Maske ist inzwischen Experte, aber nach wie vor kein besonders belastbarer Rhetor. Was intellektuell sein soll, klingt nur geschwollen. Maske sagte Maske-Zeug: "Insofern ist der Zweifel manchmal zum Verzweifeln verdammt." Aber dann fing der Kampf Gott sei Dank bald an.

Vor dem "Rumble in the jungle" 1974 brach der telefonische Weckdienst der Bundespost zusammen

2014 hatte die ARD ihren letzten Boxkampf übertragen, aber der Fight war nach 55 Sekunden entschieden, dann lag einer der Boxer erledigt im Ring, und fortan sparte sich die ARD die Millionengebühren. Boxen im Ersten wurde "Boxen zum Letzten", wie die Welt zutreffend schrieb, und dass das Boxen jetzt zurückgekehrt ist, mit dem Duell zwischen Dominic Bösel und Robin Krasniqi, war so gesehen auch schon wieder eine Überraschung. Andererseits: Die Gebühren werden nicht mehr so hoch sein. Und so wahnsinnig viel Live-Sport gibt's im Fernsehen gerade nicht, das meiste ist ja ausgefallen, wegen Corona.

Boxen im Fernsehen lebt vom Überraschungsmoment, das in ihm schlummert, aber Boxen im Fernsehen lebt auch vom Gegenteil der Überraschung, von Tradition, Ritual, Wiedererkennung. Es ist wie bei SPD-Wählern, die nach wie vor SPD wählen - aber eigentlich wählen sie immer noch Willy Brandt. Ältere Boxfans pflegen, wenn sie frische Kämpfe im TV sehen, das Andenken an ältere und sehr alte Kämpfe, die sie im TV gesehen haben - zur Erwachsenwerdung eines Siebzigerjahre-Kindes zum Beispiel gehört die Erinnerung an eine Nacht, in der es von den Eltern "für Ali" geweckt worden ist. Boxen und Fernsehen, was für Ereignisse das mal waren! Es war ja immer helllichte Nacht, wenn Ali kämpfte. Vor dem "Rumble in the jungle" 1974 brach der telefonische Weckdienst der Bundespost zusammen, die Weckzeit drei Uhr nachts war ausgebucht.

Rumble in the Jungle

Der "Rumble in the jungle": Muhammad Ali gegen George Foreman, 1974 in Kinshasa.

(Foto: UPI/dpa)

1978 fühlte sich die ARD dann dem Prinzip des Wachhaltens selbst verpflichtet. Vor der Satellitenübertragung des Fights Ali versus Leon Spinks wurde das dritte Rockpalast-Festival aus der Essener Grugahalle übertragen. Paul Butterfield, Peter Gabriel und Alvin Lee, dessen Band sich nach der Auflösung von "Ten years after" allerdings "Ten years later" nannte. Wie auch immer: Good old days.

Nun ist der Vergleich eines Kampfes zwischen dem sachsen-anhaltischen Athleten Dominic Bösel und dem Weltidol Muhammad Ali ungefähr so gerecht, als würde man die Elefantenspitzmaus mit dem Elefanten in Beziehung setzen. Tatsächlich erinnerte der Magdeburger Kampfabend kein bisschen an boxerische oder sonst welche Glanztage, sondern war ein Abbild der graugrauen Gegenwart des verwelkenden Horrorjahres Zwanzigzwanzig. Bösel betrat zum Klang der "Böhsen Onkelz" den Ring, und wie es um die Maskenpflicht in der Halle bestellt war, konnte man schwer abschätzen. Vom Fernseher aus betrachtet sah es aber so aus, als würde das eher lax gehandhabt, dabei hatte vor dem Kampf die Pfarrerin Sobottke noch alles mit allem in Verbindung gebracht: "Durchboxen, gewinnen, verlieren. Der Kampf gegen Corona."

Aber als man die Maskenträger und vor allem Nichtmaskenträger so betrachtete, als man die Werbung für Bild und Bundeswehr und Halberstädter Würstchen am Ring bemerkte, wurde einem noch mal klar, was einem regelmäßig klar wird: Wie lausig sie ist, die Gegenwart. Wegen Corona, und überhaupt.

Denn es ist natürlich auch so, dass Boxen ein Abbild seiner Zeit ist und immer war. Der Boxer Arthur Abraham kam, fünfzehn Jahre her, tatsächlich mit einer phrygischen Mütze ("Schlumpfmütze", sagt der Laie) zu seinen Kämpfen, sie spielten eine Spezialversion vom Lied der Schlümpfe als Einmarschmusik. Das war unfassbar albern, aber inzwischen würde man sich gelegentlich auch mal wieder etwas Albernheit gönnen, nicht nur am Ring. Boxen war, auch weit nach Ali, ziemlich groß im Fernsehen, weil vom Boxen immer auch hoffnungsvolle Signale ausgingen. Der Ost-Trainer Ulli Wegner zum Beispiel coachte den West-Boxer Sven Ottke zum Profi-Champion hoch, das war ein kleines bisschen Vollendung deutsch-deutscher Geschichte, live zu beobachten auch im TV-Programm.

Fernsehboxen funktioniert wie eine Serie

Überhaupt war Ulli Wegner ein Star, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen, wo in den Ringpausen keine Werbung eingeblendet wurde. Bei den Kämpfen von Wegners Boxern waren die Rundenpausen die wahren Ereignisse, weil das Publikum da sehen konnte, wie der Trainer seine Jungs auf Kurs zu halten versucht. Wegner war dann Vater, Psychologe, Unteroffizier, je nachdem. Er brüllte, er flüsterte. Er schaute in ängstliche, staunende, siegessichere Augen. Er strich über Haare, griff in Münder, um den Zahnschutz rauszuholen. Er putzte Nasen, tupfte Blut, klapperte mit dem Eimer. Er richtet die Boxer auf und feuerte sie an, durchzuhalten, manchmal war er dabei zu entschlossen. Aber selten war die Nähe zwischen Sportler und Coach derart spürbar wie in den Rundenpausen, wenn Wegner bei der Arbeit war.

OTTKE VERTEIDIGT WM-TITEL IN MAGDEBURG

Ulli Wegner und Sven Ottke im Jahr 2001.

(Foto: Peter Förster/dpa)

Am Samstag saßen andere Trainer in der Ecke, die eher den Fachleuten was sagten. Und auch die Boxer sagten nur den Fachleuten was. Und der Halbschwergewichts-Titel, um den es da ging? Interims-Weltmeister der WBA sowie Champion der IBO? Komplizierte Angelegenheit. Boxen im Fernsehen muss aber wie eine TV-Serie funktionieren, das Publikum lernt die Figuren Folge für Folge kennen, und irgendwann gibt es genug Fachleute, die sich über Klaus Heisler unterhalten können, den sächselnden Goldfisch aus American Dad.

Ob die Boxer im Ersten in Serie gehen? Immerhin 2,5 Millionen Zuschauer sahen in der dritten Runde, wie Robin Krasniqi dem Kollegen Bösel einen satten K.-o.-Schlag verpasste, das war überraschend. Der Experte Maske formulierte danach in unerreichter Umständlichkeit: "Es ist für den Boxsport was Tolles gewesen, aber es wäre vielleicht noch 'n Tick drauf, wenn's den Kampf auf dieser Ebene zumindest zwischen den beiden noch mal geben würde." Zu Maskes Pflicht gehört natürlich, das Produkt nicht schlechtzureden.

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