Ramersdorf:Idyll auf Abruf

Ramersdorf: Die Reihenhäuser an der Führichstraße 18-66 sollen abgerissen werden.

Die Reihenhäuser an der Führichstraße 18-66 sollen abgerissen werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Gemeinnützige Wohnungsverein München 1899 bereitet den Neubau einer Wohnanlage auf seinen Grundstücken an der Führich- und Weiskopfstraße vor. Dort steht eine Reihenhaus-Siedlung, deren Bewohner die Denkmalwürdigkeit des Quartiers prüfen lassen wollen

Von Hubert Grundner, Ramersdorf

Fans von "Inspector Barnaby" schalten ihren Fernseher nicht unbedingt an, weil sie besonders abscheuliche Morde in Serie erwarten. Nein, wer dem sympathischen Kriminaler bei seinen Ermittlungen in der fiktiven Grafschaft Midsomer über die Schulter blickt, der sucht und sieht vor allem eines: britischen Lifestyle und eine Landschaft von enormer Puppenstubenhaftigkeit. An Dörfer und Kleinstädte Südenglands dürfte sich auch mancher Münchner erinnert fühlen, wenn er die Siedlung des Gemeinnützigen Wohnungsvereins München 1899 östlich des Loehleplatzes entdeckt: Tatsächlich haben die Einfamilien-Reihenhäuser entlang der Führich- und der parallel verlaufenden Weiskopfstraße ganz besonderen Charme. Mit ihren liebevoll gestalteten Vorgärten verbreiten sie eine fast britische und sehr heimelige Atmosphäre. Doch wie so oft bei Inspector Barnaby trügt auch in Ramersdorf der schöne Schein: Hinter den Fassaden vieler kleiner Häuschen rumort es augenblicklich ganz gewaltig.

"Das wird jetzt komplett zerstört", schimpft Hans Dauser. Zusammen mit seiner Schwester gehört ihm das Anwesen Weiskopfstraße 33. Und als Eigentümer und Nachbarn sind sie vom Gemeinnützigen Wohnungsverein München 1899 angeschrieben worden. Grund dafür war, so Dauser, eine Bauvoranfrage des Wohnungsvereins zu einem "Neubau einer Wohnanlage an der Führichstraße - Wollanistraße - Weiskopfstraße - Maria-Lehner-Straße mit ca. 134 Wohnungen und Tiefgarage". Schriftlich sollte er zu dem Vorhaben sein Einverständnis geben. Doch dazu erklärt Dauser unmissverständlich: "Diese Unterschrift wird von mir verweigert."

Ramersdorf: Nachverdichtung geplant: Ein Zeitplan steht bislang noch nicht fest, eine Bauvoranfrage läuft.

Nachverdichtung geplant: Ein Zeitplan steht bislang noch nicht fest, eine Bauvoranfrage läuft.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Neben den "nur" mittelbar Betroffenen wie Dauser gibt es natürlich auch die unmittelbar Betroffenen, nämlich die Mieter. Ihnen hat der Wohnungsverein mit Schreiben vom 29. Juni 2020 mitgeteilt, dass die Einfamilien-/Reihenhäuser an der Führichstraße leider nur noch mit sehr großem finanziellem Aufwand instand gesetzt werden könnten. Die dabei entstehenden Kosten seien wirtschaftlich nicht mehr vertretbar. Und weiter: "Im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben" - gemeint sind die Planungen für die Reihenhauszeile Führichstraße 18 bis 66 - "werden auch die Gebäude Maria-Lehner-Straße 37, 39, Weiskopfstraße 1, 3, 5, 7, 39, 41, 43 in die Planungen mit einbezogen. Aufsichtsrat und Vorstand haben deshalb in Rücksprache mit den Ordnungsausschüssen entschieden, die frei werdenden Einfamilienhäuser Führichstraße und der Gebäude Maria-Lehner-Straße 37, 39, Weiskopfstraße 1, 3, 5, 7, 39, 41, 43 zukünftig zu vermieten und nicht mehr an Mitglieder zu vergeben. Es werden deshalb keine größeren Instandhaltungsmaßnahmen mehr vorgenommen."

In den nächsten Jahren, so ließ der Wohnungsverein seine Mitglieder weiter wissen, werde die baurechtliche Möglichkeit für eine große Tiefgarage und barrierefreie Wohnungen geprüft, "die auf unseren Grundstücken zwischen der Führichstraße und der Weiskopfstraße entstehen könnten". Mittelfristig werde der Vorstand mit den Mitgliedern und Nutzern über eine gemeinsame Vorgehensweise beraten, wie durch den Neubau und sozial verträgliche Umsetzungen den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen, aber auch den anderen Mitgliedern in Ramersdorf möglichst entsprochen werden könne.

Ramersdorf: Zwei Gebäude an der Maria-Lehner-Straße sollen abgerissen werden.

Zwei Gebäude an der Maria-Lehner-Straße sollen abgerissen werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Zur Beruhigung der Bewohner in den genannten Häusern hat dieses Schreiben offenbar nur bedingt beigetragen. Mehrere von ihnen haben sich inzwischen hilfesuchend an den örtlichen Bezirksausschuss (BA) gewandt. Einer Frau beispielsweise, die mit ihrem Mann schon seit 52 Jahren in einem der Häuser wohnt, geht es dabei nicht nur um den Erhalt ihrer und vieler anderer bezahlbarer Wohnungen. Sie fürchtet überhaupt um den Fortbestand eines homogenen Gevierts, zum Teil mit ensemblegeschützten Reihenhäuschen in der Nähe des Ramersdorfer Ortskerns. Zugleich schaffe der Wohnungsverein mittlerweile Tatsachen, indem er leer stehende Reihenhäuschen an "Nichtvereinsmitglieder" zeitlich befristet vermiete, moniert die Frau. Auf ihre Bitte, sich zum voraussichtlichen Zeitrahmen der geplanten Maßnahme beziehungsweise zum Abriss einzelner Häuser zu äußern, habe der Wohnungsverein nicht reagiert. Zumindest war dies bis Anfang Juli offenbar der Fall.

Auch eine Gruppe von Bewohnern der Führichstraße hat wegen des angekündigten Abrisses ihrer Reihenhäuser dem BA ihre Befürchtungen mitgeteilt: "Dieser gravierende Eingriff beziehungsweise diese Nachverdichtung würde unser Stadtviertel enorm verändern. Die kleinen Reihenhausgärten in der Stadt sind ein kleines Biotop für Singvögel, Igel, Bienen und Hummeln und das Zuhause eines stattlichen Walnussbaumes." Die Bewohner haben nach eigenen Angaben im April beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege einen Prüfantrag gestellt, inwieweit die Siedlung schutzwürdig ist. Ob es dabei um Ensemble- oder Denkmalschutz gehen soll, wird in dem Schreiben nicht ganz klar. Jedenfalls erbitten sie die Unterstützung der Lokalpolitiker.

Ramersdorf: Das gleiche Schicksal droht auch sieben Anwesen an der Weiskopfstraße.

Das gleiche Schicksal droht auch sieben Anwesen an der Weiskopfstraße.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die wiederum haben das Schreiben an die Stadtverwaltung weitergeleitet. Ob aber ein denkmalschutzfähiges Gebäude oder ein ensembleschutzfähiges Gebiet vorliege, sei nicht durch den Unterausschuss Bau oder den Bezirksausschuss zu entscheiden, räumten die Lokalpolitiker ein. Hierfür fehle den Gremien die fachliche Kompetenz. Da aber die Meinungen im Unterausschuss bezüglich der Frage, ob die bauliche Struktur des Gebietes erhalten werden soll, weit auseinandergingen, wurde zunächst nur beschlossen, Eigentümer/Bauherrn und Anwohner in den Unterausschuss einzuladen und dort das Thema erneut zu diskutieren.

Nach Durchsicht der Bauvoranfrage hat Nachbar Hans Dauser hingegen sein ablehnendes Urteil bereits gefällt. Zur Begründung verweist er darauf, dass statt der bisherigen zweigeschossigen jetzt eine vier- bis fünfgeschossige Bebauung an der Führichstraße geplant sei. Durch eine dreigeschossige Bebauung an der Wollanistraße und an der Maria-Lehner-Straße entstehe eine Blockrandbebauung statt offener Bauweise. Es sollen circa 134 Wohnungen errichtet werden. Die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, betrage circa 8400 Quadratmeter. Angesichts dieser Eckdaten und wegen des drohenden schweren Eingriffs in das historisch gewachsene Stadtbild hält Dauser ein öffentliches, transparentes Bebauungsplanverfahren für zwingend erforderlich.

Trotz mehrmaliger Bitte der SZ um ein Gespräch bestand der Wohnungsverein darauf, nur auf dem Postweg übersandte Anfragen zu beantworten.

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