Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche:Das Laiengremium ist wachgerüttelt

Katholikentag -  Thomas Sternberg

Zu schwach, zu unkritisch fanden viele Mitglieder die Stellungnahme der ZdK-Chefs um Präsident Thomas Sternberg - und machten einen Gegenvorschlag, der sich am Ende durchsetzte.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken überstimmt das eigene Präsidium und erklärt sexualisierte Gewalt zu einem "strukturellen Problem" der Kirche. Die Debatte ist mit voller Wucht zurück.

Von Annette Zoch

Um 1.35 Uhr war das Papier fertig - kurz und knapp, dafür voller Zündstoff. "Sexualisierte Gewalt ist seit langem ein strukturelles Problem in der katholischen Kirche", heißt es in der endgültigen Version. "Täter und Täterinnen sind nicht nur diejenigen, die aktiv missbrauchen, sondern auch alle, die vertuschen, verharmlosen und eine offene und transparente Aufdeckung der Taten behindern." Am Freitag hat die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) diesen Text mit großer Mehrheit beschlossen. Die Debatte um den Umgang der katholischen Kirche mit sexualisierter Gewalt ist mit voller Wucht zurück - und sie hat auch das ZdK durchgerüttelt.

Es war eine kleine Revolution im obersten katholischen Laiengremium: Zuerst hatte eine Gruppe aus neun ZdK-Mitgliedern in einer Nachtsitzung einen Gegenvorschlag zu einem Papier des ZdK-Präsidiums geschrieben. Dann hatte eine Mehrheit der Mitglieder gegen den Willen von Präsident Thomas Sternberg eine Änderung der Tagesordnung durchgesetzt. Das Thema sexualisierte Gewalt sollte zuerst angesprochen werden, nicht erst am Abend.

Am Donnerstag hatte Erzbischof Heße sein Amt als geistlicher Assistent niedergelegt

Und zu guter Letzt verwarf das Präsidium seinen eigenen Text komplett und übernahm den des Nachts entworfenen Gegenvorschlag. Als zu schwach, zu unkritisch hatten viele Mitglieder die Stellungnahme der ZdK-Chefs empfunden. Besonders ein Satz war vielen aufgestoßen: "Im Prozess der Aufarbeitung bewegt sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken loyal an der Seite der Deutschen Bischofskonferenz" - dies sei "wie ein Blankoscheck für Bischöfe", hieß es von Teilnehmern. In einer kurzfristig anberaumten Sondersitzung am Donnerstagabend hatte zuvor Hamburgs Erzbischof Stefan Heße erklärt, dass er sein Amt als geistlicher Assistent des ZdK ruhen lassen werde. Gegen Heße werden aus seiner Kölner Zeit Vertuschungsvorwürfe erhoben, die er zurückweist. Er hat sich an die Bischofskongregation in Rom gewandt, um seinen Fall prüfen zu lassen - insbesondere, ob sein damaliges Verhalten "Auswirkungen auf mein Amt als Erzbischof in Hamburg" habe.

So chaotisch zeitweise während der rein digital stattfindenden Sitzung die Abstimmung über den Antrag verlief, so leidenschaftlich war vorher die Debatte: Bislang sei das Thema sexualisierte Gewalt von Laien lieber verdrängt worden, sagte Tim-O. Kurzbach vom Diözesanrat im Erzbistum Köln. In der nun verabschiedeten Erklärung heißt es selbstkritisch, man habe nicht genug hingeschaut: "Wir bekennen, dass auch wir das Leid der Betroffenen oft nicht an uns herangelassen haben und diesbezüglich noch Lernende sind." Das ZdK habe auch einen Kontrollauftrag, sagte Claudia Nothelle. "Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen."

Wer Transparenz ankündige, müsse für eine "angemessene Veröffentlichung" sorgen

ZdK-Präsident Thomas Sternberg sagte mit Blick auf ein unter Verschluss gehaltenes Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln: Wer Transparenz ankündige, stehe in der Verantwortung, für eine "angemessene Veröffentlichung" zu sorgen. In dem beschlossenen Papier des ZdK heißt es entsprechend: "Aktuell sind wir Zeuginnen und Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen."

"Ich bin mir leider sicher, dass das kein Problem von gestern und vorgestern ist", sagte ZdK-Mitglied Gudrun Lux. Künftige Taten zu verhindern müsse "Anstrengung der gesamten Kirche sein", sagte sie. "Laiinnen und Laien müssen an der Seite und zwar ausschließlich an der Seite der Überlebenden und Betroffenen stehen."

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