Boxkampf Tyson vs Jones:Wie zwei Onkel beim Grillfest

Boxing: Tyson vs Roy Jones Jr

Mike Tyson gegen Roy Jones, Jr., dieser Kampf endete friedlich mit einem Unentschieden.

(Foto: USA TODAY Sports)

Zwischen den Altherrenboxern Mike Tyson und Roy Jones junior kommt es zum Remis, aber es ging in diesem Showkampf um ganz andere Dinge als Sieg oder Niederlage.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich muss man am Ende dieses Kampfes zwischen Mike Tyson und Roy Jones junior an Oscar Wilde denken, den großen Erklärer der menschlichen Psyche. Der hat der Welt diese wunderbaren Sätze geschenkt, in The Picture of Dorian Gray: "Sie haben nur ein paar Jahre, wo Sie wahrhaftig vollkommen, restlos leben können. Indem Ihre Jugend verrauscht ist, nimmt sie die Schönheit mit, und dann werden Sie plötzlich entdecken, dass Ihrer keine Siege mehr warten, oder dass Sie sich mit jenen traurigen Siegen werden begnügen müssen, die Ihnen die Erinnerung an die Vergangenheit bitterer machen wird als Niederlagen."

Von einem Unentschieden schreibt Wilde nichts. Das ist schade, weil man den Rat des irischen Philosophen dringend bräuchte nach diesem, nun ja, Kampf, den man auch "längste Umarmung in der Geschichte des Boxens" nennen könnte. Hin und wieder ließen sie ihr Können aufblitzen, dieser linke Doppel-Haken von Tyson zum Beispiel oder die Links-Rechts-Links-Kombinationen von Jones, aber gut: Lothar Matthäus zwirbelt beim Benefizspiel auch hin und wieder den Ball in den Winkel. Ansonsten tanzten sie innig durch den Ring und atmeten schon ab Runde zwei wie Darth Vader in Star Wars.

Ein Unentschieden also, und warum auch nicht? Es ging ja um rein gar nichts in diesem Kampf; außer, dass zwei ehemalige Boxer es sich selbst noch einmal beweisen wollten und viel Geld eingesammelt haben für sich selbst und wohltätige Zwecke. "Ich dachte, dass ich gewonnen hätte, aber ein Unterschieden ist schon okay", sagte Tyson, der sich zu Bestzeiten nach so einem Kampf und so einem Urteil (er war der bessere, aktivere Akteur) selbst ins Ohr gebissen hätte. Jones lobte Tyson und damit indirekt sich selbst: "Egal, wo er dich trifft: Kopf, Körper, alles tut weh. Der ist so stark, dieses Unentschieden geht schon in Ordnung." Tja, Mister Wilde, und nun?

Vielleicht so: Man kann, nein, man darf nicht über den Sinn dieser Veranstaltung debattieren. Völlig unvernünftig, klar, aber Tyson ist auch deshalb eine Legende, weil er ein unvernünftiges, ja wahnwitziges Leben geführt hat. Deshalb fasziniert er die Leute, und Tyson im Ring ist wie James Bond im Flugzeug oder Ozzy Osborne auf der Bühne: egal, was passiert - will man sehen. 50 Millionen Dollar hat Warner-Bros-Pictures-President Ryan Kavanaugh für die Rechte bezahlt, er wollte damit in den USA das soziale Netzwerk Triller bekannter machen, an dem er über seine Investment-Firma die Mehrheitsanteile hält. Die Amerikaner bezahlten 50 Dollar für den Kampf, in Deutschland waren es immerhin 20 Euro bei Sky.

Warum man Geld ausgibt für so einen Kampf? Nun: Haben nicht viele Leute während der Corona-Ausgangssperre die grandiose Doku-Serie The Last Dance über die Chicago Bulls der 90er Jahre geguckt? Haben sie danach nicht die Kollegen von einst angerufen; völlig egal, ob das Fußball-Kreisliga war, regionale Turn-Meisterschaften oder Profi-Schwimmen? Und haben nicht viele vereinbart, sich möglichst bald zu treffen und vielleicht noch einmal miteinander oder gegeneinander zu spielen? Wegen der guten, alten Zeit, in der alles besser war, weil man selbst besser war.

Snoop Dogg fasst es früh zusammen

Tyson und Jones, auf den jeweiligen Höhepunkten ihrer Laufbahnen die zweifelsohne Besten der Welt - wer kann das von sich behaupten? -, haben in Los Angeles gegeneinander geboxt, acht Runden á zwei Minuten mit besser gepolsterten Handschuhen. Das ist so üblich beim Altherren-Boxen, und genau das war es ja auch: Tyson ist 54 Jahre alt, Jones nur drei Jahre jünger. Rapper Snoop Dogg, im US-TV der Co-Kommentator, sagte schon während der ersten Runde: "Das sieht aus wie meine beiden Onkels bei einer Schlägerei beim Grillfest." Genau so war es, obwohl Jones vor dem Kampf geprahlt hatte, dass er bereit sei, bei diesem Kampf zu sterben.

Das war freilich übertrieben, doch würden wir nicht alle beim Duell gegen den Tennis-Rivalen von einst nochmal an diese Grenze gehen, die wir nur wegen diesen Rivalen erreichen, und würden wir nicht auch lieber Schmerzen ertragen statt zu verlieren? Deshalb vorneweg: Beide überlebten den Kampf, und sie sahen danach - und es ist wichtig, das es so war - vitaler und lebendiger aus bei den Pressekonferenzen vor einigen Monaten, als beide mit Bäuchlein und grauen Bärten erklärten, noch einmal boxen zu wollen für eine Börse von zehn (Tyson) und drei (Jones) Millionen Dollar. Nun standen zwei Männer im Ring, sie wirkten erschöpft, aber sie wirkten auch: glücklich und zufrieden.

Es war von vornherein klar, dass es kein Klassiker werden würde, und der Schlüssel zu einem glücklichen Leben sind niedrige Erwartungen. Die Leute gucken Profisport aus zwei Gründen: Sie wollen sehen, wie jemand was leistet, das ein Mensch nicht zu leisten imstande sein sollte. Und, natürlich: weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Ein Unentschieden war dann tatsächlich überraschend, obwohl man es wirklich hätte kommen sehen müssen.

Es ist passiert, was passiert wäre, hätte ein Hollywood-Produzent das Drehbuch geschrieben. Beide durften zeigen, wie erstaunlich austrainiert sie sind, nicht nur für ihr Alter. Beide durften vergangene Erfolge feiern, es hatte eine 16-teilige Dokuserie gegeben. Keiner wurde blamiert, wie es beim Kampf davor dem einstigen NBA-Star Nate Robinson passierte, der von You-Tube-Star Jake Paul in den Ringstaub geschickt worden war. Und beide können nun sagen, dass sie den (bislang) letzten Kampf ihrer Karriere nicht verloren haben. Besser geht's nicht.

Vielleicht haben die beiden gar nicht geboxt, um alte Erfolge und vergangenem Ruhm nochmal zu erleben. Vielleicht wollten sie sich vergewissern, dass ihre Gegenwart auch nicht schlecht ist; und so ein Unentschieden ist das perfekte Ergebnis, um die Erinnerung an frühere Siege nicht so schlimm werden zu lassen. Hätte Oscar Wilde das mal Dorian Gray geraten.

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