Pflegeausbildung:"Für einige sind gerade die ersten beiden Wochen schlimm"

Pflegeausbildung: Illustration: Jessy Asmus

Illustration: Jessy Asmus

Ute Dexl wurde eingestellt, damit weniger Auszubildende am Nürnberger Krankenhaus hinschmeißen. Da war Corona noch kein Thema. Welche Sorgen treiben die künftigen Pflegekräfte heute um?

Interview von Julian Erbersdobler

Ute Dexl weiß, was angehende Pflegerinnen und Pfleger beschäftigt. Sie ist Ansprechpartnerin für Auszubildende am Nürnberger Klinikum. Ein Gespräch über schwierige erste Tage auf einer neuen Station, Systemrelevanz als abgenutztes Label und Mittagspausen auf Zoom.

SZ: Im Oktober 2019 wurde Ihre Stelle am Nürnberger Centrum für Pflegeberufe geschaffen - in dieser Form einmalig in Deutschland. Wie kam es dazu?

Ute Dexl: Das ging eigentlich von den Schulleitungen und Pflegepädagogen aus. Die haben festgestellt, dass die Probleme der Auszubildenden immer mehr wurden - und damit auch die Abbrüche. Und natürlich will man als Klassenleitung dazu beitragen, dass sich alle Schülerinnen und Schüler wohlfühlen. Aber das wurde irgendwann einfach zu viel, gerade Themen abseits des Unterrichts. Also hat das Klinikum Nürnberg meine Stelle geschaffen. Auf Gymnasien, Grund- oder Mittelschulen gibt es ja Schulsozialpädagogen. Warum sollte das also nicht auch bei uns im Krankenhaus funktionieren? Das war die Ausgangsidee.

Mit welchen Problemen kommen die Schülerinnen und Schüler denn zu Ihnen?

Das sind auch Themen, die nicht direkt mit der Ausbildung zu tun haben. Das kann ein Trauerfall in der Familie sein, die Wohnungssuche, eine Schwangerschaft, aber auch finanzielle Probleme. Als ich mit meiner Arbeit begonnen habe, musste auch erst mal bekannt werden, dass es diese Anlaufstelle jetzt gibt. Ich habe mich dann in den Kursen vorgestellt und gesagt, dass sie sich jederzeit vertrauensvoll an mich wenden können.

Wie schaffen Sie es, dass sich die Auszubildenden Ihnen gegenüber öffnen? Die Themen klingen ja durchaus heikel.

Da hilft mir bestimmt auch meine Schweigepflicht. Das Gesprochene bleibt unter uns. Ich versuche immer, lösungsorientiert zu arbeiten. Aber manchmal geht es gar nicht nur um Lösungen. Ich kriege oft als Rückmeldung: Es hat mir jetzt einfach gutgetan, da mal drüber zu sprechen. Das musste einfach mal raus. Zum Beispiel Ärger über eine bestimmte Situation im Arbeitsalltag.

Gibt es ein bestimmtes Anliegen, das Sie öfter hören?

Dass man während der Ausbildung immer wieder auf neue Stationen kommt, ist für viele Schülerinnen und Schüler schwierig. Neue Kollegen, neues Fachgebiet, neue Abläufe. Man muss sich dort erst mal zurechtfinden und auch im Team ankommen. Das ist in unserem Job extrem wichtig. Für einige sind gerade die ersten beiden Wochen schlimm. Wenn man die Leute noch nicht kennt. Was erwarten die von einem? Da sind oft Ängste da: Ich kann das doch gar nicht. Die mögen mich bestimmt nicht. Das kann ja nichts werden.

Und was sagen Sie dann?

Wenn es hier wirklich nur um Selbstzweifel und nicht um etwas anderes geht, sage ich: Was können Sie denn gut? Was denken Sie, was die Kolleginnen und Kollegen an Ihnen schätzen? Dann kommen eher Gedanken wie: Ich kann ja auch viel. Mein Gefühl, dass die mich gar nicht richtig aufnehmen, stimmt so ja gar nicht. Wenn wir dann nach vier Wochen noch mal sprechen, sagen die meisten: Das war ein super Einsatz, ich habe total viel gelernt. Zu sehen, dass Schülerinnen und Schüler Selbstvertrauen aufbauen, ist wahnsinnig schön.

Ute Dexl

Ute Dexl, 54, ist selbst gelernte Krankenschwester. Später hat sie noch Sozialpädagogik studiert.

(Foto: Jasmin Szabo)

Nach Angaben der Bundespflegekammer liegt die Zahl der Ausbildungsabbrüche in der Pflege bei 28 Prozent. Wie erklären Sie sich diese Zahl?

Mir fällt es ehrlich gesagt total schwer, bundesweite Zahlen zu interpretieren. Ich kann vor allem über die Situation bei uns am Krankenhaus sprechen. Hier gibt es nicht den einen Grund, warum Auszubildende abbrechen wollen. Und im besten Fall finden wir gemeinsam einen Weg, das zu verhindern. Manchmal kann ein Abbruch aber auch eine Lösung sein. Wenn man merkt, dass die Pflege einfach nicht zu einem passt, dann ist das völlig in Ordnung.

Man bekommt manchmal fast das Gefühl, dass vielen Menschen erst durch die Krise aufgefallen ist, wie wichtig Pflegerinnen und Pfleger sind. Was halten Sie vom Begriff der Systemrelevanz?

Der Berufsstand ist mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung geraten. Aber gerade das Label systemrelevant hat sich abgenutzt. Am Anfang standen die Leute auf den Balkonen und haben geklatscht. Das ist jetzt nicht mehr so. Es ist elementar wichtig, dass Deutschland ein funktionierendes Gesundheitssystem hat. Dass es bei uns keine Bilder wie in Italien gab, ist zumindest ein gutes Zeichen.

Wie hat Corona die Ausbildung beeinflusst? Und womit haben die Schülerinnen und Schüler am meisten zu kämpfen?

Man muss schon sagen: Als es mit dem Distanzunterricht losging, waren alle erst mal überfordert. Wie soll das gehen? Das hat sich jetzt deutlich verbessert. Die Rückmeldung ist eine ganz andere. Durch Zoom können sie besser in Kontakt kommen. Sie sehen sich und können direkt Fragen stellen. Das funktioniert erstaunlich gut. Aber trotzdem fehlt vielen der persönliche Austausch. Sie sind zwar untereinander in Whatsapp-Gruppen vernetzt, wo sie sich auch gegenseitig gut unterstützen. Aber was Schule sonst ausmacht, fällt gerade weg.

Welche Rolle spielt die Angst, sich auf einer Station mit Corona anzustecken?

Die Schülerinnen und Schüler werden nicht planmäßig auf Corona-Stationen eingesetzt. Die Angst ist schon da, die Auszubildenden gehen aber sehr gut damit um. Das ist nicht das Hauptthema. Meistens geht es bei meinen Beratungen eher um konkrete Situationen. Zum Beispiel, wenn eine praktische Prüfung auf der Station ansteht und der dafür vorgesehene Patient kurz vorher positiv getestet wird. Dann müssen die Praxisanleiter und Pflegepädagogen nach einer anderen Lösung suchen.

Corona hat auch Auswirkungen auf Ihre Arbeit. Wie hält man Kontakt in Zeiten des verordneten Abstandhaltens?

Das war tatsächlich nicht immer ganz so leicht. Schülerinnen und Schüler, die länger in Quarantäne waren, habe ich einmal in der Woche angerufen. Und gesagt: Wenn was ist, bin ich da. Aber die haben sich auch immer sehr gut untereinander organisiert. Zum Beispiel füreinander eingekauft. Vor Kurzem kam mir die Idee, eine gemeinsame Mittagspause per Zoom für die Auszubildenden ins Leben zu rufen. Das machen wir jetzt seit gut einem Monat.

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