Fall Qosay K.:Tod in Gewahrsam

Trauerfeier

Ein Foto von Qosay K., zu sehen auf der Trauerfeier für den jungen Mann.

(Foto: Ingo Moellers)

Ein 19-Jähriger läuft vor einer Polizeikontrolle davon, die Beamten holen ihn ein, überwältigen ihn, nehmen ihn mit auf die Wache. Am nächsten Tag ist Qosay K. tot. Ein Unglück? Zweifel sind angebracht.

Von Stefan Buchen, Peter Burghardt, Reiko Pinkert und Sulaiman Tadmory, Hamburg

Sie saßen auf einer Parkbank in Delmenhorst, sie rauchten einen Joint. Zwei Polizisten in Zivil tauchten auf, einer der beiden jungen Männer lief davon und wurde rasch gestellt. Ein Beamter zwang ihn zu Boden, versprühte Pfefferspray, legte ihm Handschellen an, die Polizei nahm ihn mit auf die Wache. Der Abend des 5. März 2021, ein Freitag. Tags darauf, am 6. März 2021, war Qosay K. tot.

Von einem "Unglücksfall" schrieb die Polizeiinspektion Oldenburg in ihrer Pressemitteilung. Der 19-Jährige sei "im Gewahrsamsbereich der Polizei Delmenhorst kollabiert" und in einem Oldenburger Krankenhaus verstorben. Doch Freunde und Angehörige des Toten möchten wissen, warum ein Mann im Alter von 19 Jahren starb, nachdem er wegen eines Bagatelldelikts kontrolliert und verhaftet worden war.

Dem NDR-Magazin "Panorama 3" und der Süddeutschen Zeitung liegen Dokumente und Aussagen vor, die Zweifel an der Version eines tragischen Unglücks erlauben. Die Eltern des Opfers stellten über ihre Anwälte Strafantrag gegen die beteiligten Polizeibeamten und Rettungssanitäter, wegen Körperverletzung mit Todesfolge und anderer möglicher Straftaten. "Da ist etwas massiv schiefgelaufen", sagt die Anwältin Lea Voigt, die Qosay Ks. Familie vertritt. Es gehe "um einen Jugendlichen, der gesund war, bevor er in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde. Und danach war er tot".

Vor sechs Jahren kam Qosay K. als minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland, seine Familie hatte ihn aus dem Irak nach Europa geschickt, über die Ägäis und den Balkan. Sie sind Jesiden, der IS terrorisierte ihre Heimat. Vater und Mutter durften dem Sohn nachfolgen, er hatte sie gerettet. Nun endete sein Leben bei der Staatsgewalt in einem Land, das ihm Schutz bieten sollte. "Er war ein herzensguter Mensch", sagt der Freund, der mit Qosay K. auf der Parkbank saß, als die Polizei kam. "Ich versteh immer noch nicht, wie das passieren konnte, erst recht in den Händen der Polizei."

"Er sah sehr fertig aus. Speichel lief aus seinem offenen Mund."

Qosay K., erzählt der Freund, ergriff die Flucht und wurde von einem Beamten verfolgt. Der andere Beamte fesselte ihn, den Zeugen, zunächst mit Handschellen an die Parkbank. Später habe er gesehen, wie Qosay K. vor einem Hauseingang lag, auf dem Bauch, einen Polizisten auf dem Rücken. Zu den zwei Polizisten in Zivil sind demnach im Laufe des Einsatzes vier Polizisten in Uniform hinzugekommen.

In der Pressemeldung der Polizei heißt es, der 19-Jährige, also Qosay K., habe einem Beamten mit der Faust gegen den Kopf geschlagen. Pfefferspray wurde eingesetzt. Ein Nachbar erzählte "Panorama 3", der Junge habe vor Schmerzen geschrien. "Ein Mann kniete auf seinem Rücken, beide Hände am Kragen. Er sah sehr fertig aus. Speichel lief aus seinem offenen Mund." Der Freund von Qosay K. berichtet, er habe dem Polizisten gesagt, dass die Fixierung mit dem Körpergewicht unnötig sei, da er ja schon in Handschellen auf dem Boden lag. Daraufhin habe der Beamte abgelassen, Qosay K. konnte sich setzen. Zweimal habe er den Namen des Freundes gerufen.

Ein Rettungswagen traf ein, wegen des Pfeffersprays routinemäßig alarmiert, so die Polizei; "eine Behandlung durch Rettungskräfte lehnte der 19-Jährige jedoch ab". Dem widerspricht der Zeuge, seine Erinnerungen sind detailliert. Qosay K. habe Polizei und Sanitäter um Wasser gebeten. "Sehe ich aus wie ein Getränkemarkt?", habe ihm ein Polizist geantwortet. Er bekam kein Wasser. Auch keine Flüssigkeit, um das aggressive Pfefferspray auszuspülen. "Bevor wir anfangen", soll ein Sanitäter zu Qosay K. gesagt haben: "Ich möchte nicht angespuckt, geschlagen oder getreten werden."

Ihm sei schlecht, sagte Qosay K. dem Zeugen zufolge, er bekomme sehr schwer Luft. Er sei am Schauspielern, habe der Sanitäter erwidert. Er habe Qosay K. nicht abgehört, nicht den Puls gemessen, nicht die Sauerstoffsättigung, nicht den Blutdruck. Es wurde kein Arzt verständigt. Der Sanitäter habe gesagt, Qosay K. sei transportbereit, die Polizei könne ihn mitnehmen. Qosay K. sei ins Auto geschleift worden, so der Freund. Er habe keine Kraft mehr gehabt, um aufzustehen.

Unrechtmäßige Gewalt wie im Fall George Floyd schließt die Polizei aus

Auch die Anwältin Voigt fragt sich, wieso Qosay K. nicht untersucht und weshalb er auf die Polizeiwache gebracht wurde. Eine Bereitschaftsrichterin ordnete dort die Entnahme einer Blutprobe an. In der Zelle brach Qosay K. zusammen. Ein Notarzt wurde gerufen, man fuhr ihn in eine Oldenburger Klinik, wo Qosay K. verstarb.

Äußere Gewalt sei als Todesursache auszuschließen, erklärte die Staatsanwaltschaft Oldenburg am 8. März und bezog sich auf den ersten Obduktionsbericht. "Unsere Beamten wissen ganz genau, was in welcher Situation erlaubt ist", sagte ein paar Tage danach der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme der Nordwest-Zeitung. Unrechtmäßige Polizeigewalt wie bei der Verhaftung von George Floyd in den USA sei ausgeschlossen.

In einem Gutachten, das die Familie von Qosay K. in Auftrag gegeben hatte, wurde sauerstoffmangelbedingtes Herz-Kreislauf-Versagen als Todesursache festgestellt. Man fand auch Zeichen von Gewalteinwirkung, eine unmittelbare tödliche Verletzung oder eine relevante Vorerkrankung wurden nicht entdeckt. In der Blutprobe sollen sich keine Spuren harter Drogen gefunden haben, nur etwas THC, wie es in Cannabis vorkommt, das wäre nicht einmal strafbar gewesen. Die Staatsanwaltschaft äußert sich zur Blutprobe nicht.

Ein tödlicher Kollaps in Polizeigewahrsam? "Muss untersucht werden", sagt die Anwältin Voigt, die Ermittlungen laufen. Meistens werden die Ermittlungen in solchen Fällen eingestellt, so war es zum Beispiel bei Aman Alizada aus Afghanistan. Ein Polizist erschoss ihn 2019 in einer Flüchtlingsunterkunft in Stade.

Am Ostersamstag fand auf dem Delmenhorster Rathausplatz eine Gedenkveranstaltung für Qosay K. statt. "Das war kein Einzelfall", stand auf einem Plakat. "Justice for Qosay" auf einem anderen. "Das fühlt sich an wie ein Albtraum", sagt sein Freund, der Zeuge. "Weil er ist nicht natürlich gestorben. Wir saßen noch hier auf der Bank. Die Polizei hat ihn mitgenommen."

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