Dem Geheimnis auf der Spur:Lorbeeren aus Papier

Festzug von Professoren in Frankfurt am Main, 1964

Talare und Rituale: Professoren bei einem Festzug der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt in den Sechzigerjahren.

(Foto: upi/SZ Photo)

Akademische Festschriften für verdiente Professoren sind eine schöne Sache - manchmal aber auch Anlass für Satire: zwei skurrile Beispiele.

Von Walter Hömberg

Goethe hat seine Verehrung einst markant formuliert: "Sie können nicht glauben, was es eine schöne Sache um einen Professor ist. Ich bin ganz entzückt gewesen, da ich einige von diesen Leuten in ihrer Herrlichkeit sah", schrieb er am 13. Oktober 1765 an seinen Vater. Wenn diese herrlichen Leute schließlich in die Nähe des Rentenalters kommen und einen runden Geburtstag feiern, dann werden sie von Kolleginnen und Kollegen oft mit einer Festschrift geehrt.

"Festschrift" - dieser deutsche Begriff ist wie Blitzkrieg, Kindergarten, Waldsterben oder Schadenfreude als Fremdwort in andere Sprachen eingewandert. Die Titel solcher Werke, in denen Gelehrte oft mit Aufsätzen gewürdigt werden sollen, sind hingegen eher vage: "Traditionen und Transformationen" oder "Zwischen Autonomie und Nutzwert". In eine Sammelbüchse mit so einer Aufschrift passt vieles. Der Literaturwissenschaftler Robert Minder hat diese Form der "akademischen Ehrenkommunikation" treffend als Massengrab bezeichnet, bei dessen Verfertigung alle Beteiligten stöhnen und fluchen.

Aus der Flut an Festschriften ragen dabei zwei besonders heraus, die fast zu schön sind, um wahr zu sein. Die erste gilt einem bedeutenden Psychologen, Ernst August Dölle. 18 Schüler, Freunde und Kollegen würdigten ihn mit: "Dichotomie und Duplizität - Grundfragen psychologischer Erkenntnis".

Das Buch beginnt konventionell mit einer biografischen Skizze: Geboren am 1. Juli 1898 in Celle als jüngstes Kind eines protestantischen Pfarrers musste er schon mit 17 Jahren als Soldat an die Westfront. Den Dienst als Ballonbeobachter konnte er nur kurze Zeit ausführen; sein Ballon wurde beschossen und er beim Absturz schwer verletzt. Nach Kriegsende und seiner Genesung studierte Dölle in Berlin Psychologie. Dabei interessierte er sich sehr für die akustische Wahrnehmung (1924 schrieb er seine Dissertation zu "Gestalttheorie und das Hören von Geräuschen"). Danach begann seine akademische Karriere in Greifswald, wo er 1927 habilitierte und dem Ruf an den neu eingerichteten Lehrstuhl für Psychologie und Pädagogik an der damaligen Wirtschaftshochschule (heutigen Universität) Konstanz folgte. Mit Ausnahme einiger Unterbrechungen im Zweiten Weltkrieg und anschließender Gefangenschaft blieb er dort bis zur Emeritierung 1968.

So gesehen ein generationstypisches Wissenschaftlerschicksal. Die Beiträge des Bandes dokumentieren aber die Breite und Tiefe eines ungewöhnlichen Werkes. Ihr Spektrum reicht von der Analyse der Familienkonstellation des Geehrten über sein Verhältnis zu Frauen und zum heimischen Wald bis zur Bedeutung der Religion, der Linguistik und der Experimentaltechnik in seinem Werk. Im Mittelpunkt stehen die wichtigsten Erträge seiner Forschung.

Da ist einmal die Metatheorie des Seelischen, es geht um "die Duplizität der Unendlichkeit der Seele einerseits und der Endlichkeit möglichen menschlichen Wissens über Seelisches andererseits". Die Seelenlogik wird definiert als "Lehre von dem, was bleibt, indem es fließt". In mehreren Aufsätzen und Monografien hat Dölle diese neue Sicht auf unbekanntes psychologisches Terrain entwickelt und erläutert. Das geplante Opus magnum dazu konnte er aber ebenso wenig vollenden wie das zweite Hauptwerk "The anatomy of silence" ("Das Prinzip Schweigen"). Der umfangreiche handschriftliche Nachlass ist bis heute nicht vollständig aufgearbeitet.

Vom Optozentrismus zur Akustik: Was für ein vielseitig gebildeter Mann

Pionier war Dölle noch auf anderem Gebiet: Schon als Student wandte er sich ab vom Optozentrismus der Berliner Schule und beschäftigte sich intensiv mit der akustischen Wahrnehmung. Jeder Brillenträger weiß, dass die Sehstärke der beiden Augen unterschiedlich ist. Aber wie ist dies beim Hören mit den Ohren? Dölle führte experimentelle Studien durch. Als Motiv dieser Bemühungen wird etwas Biografisches angeführt: Dölles Mutter war auf dem linken Ohr fast taub.

Die Festschrift sollte zum 75. Geburtstag Dölles erscheinen. Da er schon im Jahr zuvor gestorben war, wurde daraus eine Gedenkschrift. In ihren Beiträgen beziehen sich die Autoren aufeinander und scheuen keine Kontroverse: Wissenschaftlicher Fortschritt kann nur im harten Austausch der Argumente erzielt werden.

Das zweite Beispiel einer gelungenen Würdigung ist die Gedächtnisschrift für einen gewissen Friedrich Gottlob Nagelmann (1889 - 1994). Geboren als Sohn eines Forstrats in Insterburg/Ostpreußen hatte er ein wechselvolles Leben als Jurist. Sein Berufsweg führte ihn angeblich von der Preußischen Forstverwaltung ins Reichsaußenministerium und schließlich ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dort gehörte er zum "Dritten Senat", wie die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter intern genannt wird.

Der Sammelband, 1984 unter dem Titel "Das wahre Verfassungsrecht - Zwischen Lust und Leistung" erschienen, ist lesenswert. Er behandelt zentrale Randfragen der Rechtstheorie und -praxis: etwa die verfassungsrechtliche Bedeutung der Main-Linie, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Ehemanns und die Bedeutung des Doktorgrades im Verfassungsrecht oder Fragen des Beflaggungsrechts. Formal interessant ist es, dass das Buch nicht nur ein "Vorwort" und ein "Nachwort" enthält, sondern auch ein "Zwischenwort", verfasst vom späteren Bundespräsidenten Roman Herzog.

Nun hat Der Spiegel nach Erscheinen der Dölle-Festschrift 1974 geschrieben, Dölle habe "nie gelebt". Vielleicht ist das aber gar nicht so entscheidend. Denn geht es hier nicht um viel mehr: um den Sinn und Unsinn von Festschriften, um Wissenschaftssatire auf hohem Niveau? Bei Nagelmann könnte man außerdem vermuten, dass eine fiktive Persönlichkeit als Beispiel für eine öffentlich unsichtbare Personengruppe im Maschinenraum des Rechts gewürdigt wird: die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die den Frauen und Männern in den roten Roben die Referenztexte besorgen und die Fußnoten putzen. Aber Dölle?

Dölle lebt sogar nach dem Tod weiter, siehe die einschlägige Homepage der Universität Tübingen. Davon zeugen auch die jährlich veranstaltete "Ernst-August-Dölle Lecture" der Uni Düsseldorf und der "Dölle-Cluster" der Uni Heidelberg, einer der schnellsten Rechnerverbünde der Welt.

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