DFB-Affäre:Wunschdenken statt Watergate

KATRIN MUELLER-HOHENSTEIN, RAINER KOCH DAS AKTUELLE SPORTSTUDIO ZDF MAINZ *** KATRIN MUELLER HOHENSTEIN, RAINER KOCH DA

Rainer Koch stellte sich im Sportstudio den Fragen von Katrin Müller-Hohenstein.

(Foto: Martin Hoffmann/imago)

Als Dokumente zur fragwürdigen Zusammenarbeit des DFB mit dem Medienberater Kurt Diekmann öffentlich werden, behauptet Vize Rainer Koch, das sei "gehacktes Material". Kriminalforensiker haben den Vorwurf nun untersucht - und widersprechen.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt, und Thomas Kistner

Doch, auch die Stadt Duisburg hat schon zur deutschen Fußballgeschichte beigetragen. Der Meidericher SV feierte einst glorreiche Zeiten, und seine Vereinsikone Bernard Dietz führte die Nationalelf zum EM-Triumph 1980. Einmal erledigte Dietz sogar den großen FC Bayern im Alleingang, mit vier Treffern in einem Spiel. Nun aber kommt aus Duisburg eine Nachricht, die für die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes niederschmetternder sein dürfte als Dietz' damaliges Torfestival für die Bayern. Denn diese Nachricht entlarvt eine offenbar aus der Not geborene Story als falschen Alarm. Und das dürfte Folgen haben.

In der endlosen Affäre um den DFB und seinen geheimnisvollen Medienberater Kurt Diekmann, 74, hatte Letzterer Anfang Mai eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Duisburg gestellt. Es ging um den Verdacht, sein Computer sei ausgespäht und Daten entwendet worden. Im April und Mai waren immer mehr Mails und andere Dokumente zur fragwürdigen Zusammenarbeit des DFB mit Diekmann an die Öffentlichkeit gekommen, das führte zu kritischen Mediennachfragen und entsprechender Berichterstattung. Plötzlich aber hielten DFB-Spitzenleute wie der heutige Interimspräsident Rainer Koch, Vertreter von DFB-Dienstleistern und auch das Magazin Spiegel den neuen Erkenntnissen ein Narrativ entgegen, das die Berichtslage im Fall DFB/Diekmann als unseriös, ja womöglich kriminell erscheinen ließ. Denn all die Vorwürfe - sie würden auf gehacktem Material beruhen!

Diese Behauptung haben nun Kriminalforensiker abgeklärt. Auf SZ-Anfrage teilte die Duisburger Strafbehörde mit, sie habe nach den polizeilichen Untersuchungen "keine konkreten Anhaltspunkte für ein Hacking" entdeckt - und dies auch dem Anzeigensteller mitgeteilt, also Diekmann. Und zur Qualität dieser Untersuchung erläutert das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen: "Kommt die Polizei NRW im Ermittlungsergebnis zu der Feststellung, dass keine konkreten Anhaltspunkte für Hacking vorliegen, so wurden, basierend auf dem aktuellsten Stand der Technik, keine Spuren für ein Hacking festgestellt."

Keine Spuren von Hacking, nach aktuellstem Technikstand - das ist ein deutlicher Fingerzeig. Für das in Sachen DFB-Affäre zunehmend ratlose Publikum, aber auch für Beobachter in Justizkreisen, die das Geschehen um den weltgrößten Sportverband und sein Finanzgebaren längst aufmerksam verfolgen. Denn die Klarstellung lenkt den Blick zurück aufs Wesentliche: auf die Inhalte der Dokumente, deren Echtheit ja nie explizit angezweifelt wurde, bloß ihre angeblich fragwürdige Herkunft. Die DFB-Spitze in ihrer Endlosschleife aus Affären muss nun damit rechnen, dass bald einiges in die Luft fliegen könnte. Zumal schon die bisher vorliegenden Erkenntnisse erheblichen Klärungsbedarf zum Treiben Diekmanns beim DFB aufwerfen, übrigens nicht nur medial, wie DFB-Obere gerne behaupten, sondern insbesondere auch für interne und externe Prüferstäbe.

Diekmann bekam 372 000 Euro - wofür ist immer noch unklar

Man muss noch einmal eintauchen in die Wirren des Frühsommers 2021, um die Zusammenhänge nachvollziehen zu können. Im April und Mai waren Teile der DFB-Spitze und ihr Berater Diekmann schwer unter Beschuss. Diekmann war offiziell von April 2019 bis Oktober 2020 für den Verband tätig gewesen, hieß es, angeheuert vor allem zur "medialen Begleitung" von internen Nachforschungen durch die Berliner Forensikfirma Esecon. Die befasste sich beim DFB vor allem mit der langjährigen, inzwischen gekündigten Partnerschaft zum Vermarkter Infront, und mit Geldflüssen rund die WM-2006-Affäre. Die Esecon-Untersuchung lief unter dem Codenamen "Hydra". Der Agent Diekmann strich vom DFB stolze 372 000 Euro ein, für ein Wirken, das bis heute unklar ist.

Seit Beginn des Jahres 2021 häuften sich die Fragen zu dieser Tätigkeit. Der damalige DFB-Präsident Fritz Keller monierte die Umstände des Diekmann-Vertrages, den seine verbandsinternen Widersacher um Koch, Schatzmeister Stephan Osnabrügge und den damaligen Generalsekretär Friedrich Curtius schon vor Kellers Wahl 2019 auf den Weg gebracht hatten. Keller witterte eine stille Kampagne gegen sich - so, wie es Jahre vorher auch sein Amtsvorgänger getan hatte, Reinhard Grindel. Dann fingen interne Revisoren und externe Wirtschaftsprüfer an, Fragen zu stellen. Sie monierten fehlende Unterlagen und Belege, die konkrete Gegenleistung des Beraters für sein sechsstelliges Salär blieb ihnen unklar. In einem Zwischenbericht brachten sie sogar ins Spiel, es könne in der Causa eine Selbstanzeige für den DFB angebracht sein. So viel zu der unabhängigen internen und externen Bewertung der Sache.

Diekmann brüstete sich in einer Mail, am Präsidentensturz beteiligt gewesen zu sein

Zugleich gab es immer neue Enthüllungen, etwa durch Mails, die der SZ und anderen vorlagen. So publizierte die Bild ein Schreiben Diekmanns an Redakteure des Spiegel, für den er von 2016 bis Mai 2019 ebenfalls arbeitete - teilweise parallel zu seiner DFB-Tätigkeit. Darin brüstete sich Diekmann, am Sturz des (am 2. April 2019 schließlich zurückgetretenen) Präsidenten Grindel beteiligt zu sein. Später, schon nach Diekmanns Hacking-Anzeige in Duisburg, wurde eine weitere delikate Mail publik: Darin erklärte Diekmann bereits Anfang Oktober 2018, dass die "P-Demontage" eingeleitet sei - die Präsidenten-Demontage also, gemeint ist Grindels späterer Abschied.

Hinzu kamen weitere publizierte Vorgänge: etwa Rechnungsbelege, nach denen Diekmann nicht nur vom DFB, sondern auch von einer Firma aus dem engsten Esecon-Netzwerk viel Geld für ein Projekt namens "Hydra" erhielt - wobei diese Firma umgehend bestritt, dass dies irgendetwas mit dem gleichfalls von Esecon/Diekmann betreuten Projekt "Hydra" des DFB zu tun habe. Hydra hier, Hydra da, zwei Projekte, aber kein Zusammenhang - Zufälle gibt's!

Koch sieht "einen gehackten Vorgang". Die ZDF-Moderatorin verweist stattdessen auf Quellen

Der Streit um den Diekmann-Vertrag eskalierte immer weiter - schlussendlich musste Fritz Keller zurücktreten, weil er Koch in einer internen Sitzung mit einem hohen Nazirichter verglichen hatte. Für manchen anderen hohen DFB-Offiziellen wurden derweil weitere Recherchen bedrohlich, die zeigten, dass es zu Diekmann schon viel länger Kontakte gab, als der Vertrag von 2019 es erscheinen ließ. Insbesondere der heutige Interimschef Rainer Koch hatte viel zu erklären.

"Spindoktor" - so wird Kurt Diekmann von DFB-Funktionären inzwischen bezeichnet. Das ist einer, der Dinge im gewünschten Sinne hindreht. Aber was hat der Spindoktor für den DFB wirklich gedreht? Wofür bekam er diesen opulenten Vertrag? Die Fragen prasselten in die Frankfurter Otto-Fleck-Schneise. Und dann: Riefen der Verband und seine Verbündeten den großen Hacking-Alarm aus. Diekmanns Computer sei illegal geknackt worden, anders ließen sich all die Enthüllungen gar nicht erklären, lautete die Botschaft, die über alle Kanäle versendet wurde. Die diversen Enthüllungen beruhten auf kriminell erworbenen Dokumenten. Inhalt unerheblich. Alles haltlos.

Besonders eifrig beteiligt am Hacker-Narrativ: Rainer Koch. Auf Facebook machte der frühere OLG-Richter am 9. Mai eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung an ihn öffentlich und behauptete, die SZ sei "offenkundig im Besitz von gehacktem und unrechtmäßig erlangtem Datenmaterial". Eine Information, mit der die SZ ihn konfrontierte, entstamme "aus im Ursprung offensichtlich unrechtmäßig erlangtem Material".

Zu dieser Erzählung verstieg Koch sich dann sogar vor einem Millionenpublikum, im ZDF-Sportstudio. Dort hielt ihm die Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein eine Mail Diekmanns an ihn aus dem Sommer 2016 vor, verfasst in höchst vertraulichem Ton, die Hohn und Spott über Kochs damaligen Präsidenten Grindel auskübelte. Koch, der diese Mail nie erhalten haben will, hielt streng dagegen: Er wolle die Moderatorin fragen, "wie Sie in den Besitz dieser Mail kommen?" Denn diese müsse "aus einem gehackten Vorgang" stammen. Gegenfrage: "Wie kommen Sie darauf, dass das gehacktes Material ist?" Antwort Koch: "Ja, woher soll es denn sonst sein, bitte?" Die Moderatorin verwies auf eigene ZDF-Quellen, auch sei Hacking ja ein heftiger Vorwurf. Koch: "Es muss doch so sein!"

Die Hacker-Story kursierte überall. Die Forensiker von Esecon konterten Medienanfragen mit dem Hinweis, dass man als Grundlage "offenbar Informationen aus einer Straftat verwenden" würde. Und Diekmanns langjährige Geschäftspartner beim Spiegel flankierten die Behauptung der Agenten und Funktionäre mit bissigen Storys, in denen sogar geraunt wurde, ob Freunde des damaligen Präsidenten Keller im tobenden Machtkampf mit der Fraktion um Koch, Osnabrügge und Curtius "gezielt Diekmanns Postfach hacken ließen und danach seine Mails - perfekt orchestriert, punktgenau terminiert - an die Medien verteilten". Für den Spiegel war sogar der größte aller vorstellbaren Maßstäbe zur Hand: "Ein Hauch von Watergate" liege über dem DFB, hieß es, in Anlehnung an den Abhörskandal in den 1970ern, der den Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon erzwang.

Ein sechsstelliges Honorar - und die Prüfer fragen: wofür? Das ist der Kern der Affäre

Nun ist es nicht Watergate, sondern eher ein Wunschtraum, den das kriminaltechnische Resultat in Duisburg offenbart. Dieses fußt sogar auf zwei Untersuchungen: Nicht nur die Kripo habe Diekmanns Rechner geprüft, teilt die Staatsanwaltschaft mit - es habe zudem, Überraschung, Diekmann selbst seinen Rechner bereits zuvor privat von einer externen Firma durchleuchten lassen. "Beide Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für ein Hacking gibt", so die Behörde.

Hat also der DFB das Thema Hacking nur benutzt, um kritische Fragen und Fragesteller abzuschmettern, um Drohkulissen aufzubauen, Ablenkungsmanöver zu starten? Warum war sich Koch so sicher? Der Interimsboss lässt den DFB auf solche Fragen diesmal nur mitteilen: "Zu Vertragsgegenständen äußern wir uns nicht."

Dabei sind schon die damaligen Zeitabläufe hochinteressant. Der DFB operierte mit dem Hacking-Thema seit dem 29. April. Damals behauptete ein von ihm beauftragter Medienanwalt auf eine SZ-Anfrage, "dass Sie offenbar im Besitz von gehacktem Datenmaterial sind. Diesbezüglich wurde bereits von den Betroffenen Strafanzeige gestellt." Nach Aktenlage hatte Diekmann da allerdings noch keine Anzeige gestellt. Der Spiegel dokumentierte später jedenfalls, die Anzeige sei auf den 30. April datiert und am 3. Mai versandt worden. Diekmann selbst sagt dazu nichts. Kann der DFB in die Zukunft sehen und Anzeigen erahnen, die noch gar nicht gestellt sind?

Der Fokus richtet sich nun wieder auf den Inhalt der Dokumente

Nachdem Diekmann die Anzeige dann tatsächlich gestellt und versandt hatte, übergab er seinen Rechner dennoch erst mal nicht den Behörden. Stattdessen, erklärt die Staatsanwaltschaft, habe er zunächst privat eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Erst Wochen später, am 1. Juni, sei der Rechner übergeben worden. Ganz so dringend war es also offenbar nicht. Auf Anfragen zu alledem teilt Diekmanns Anwalt nun lediglich mit: Die Duisburger Erkenntnisse seien "uns selbstverständlich bekannt. Der Umfang und die Struktur der im Umlauf befindlichen Unterlagen sowie die weiteren Umstände lassen gleichwohl keinen anderen Schluss zu, als den, dass diese Unterlagen illegal erlangt wurden. Dies wird aus unserer Sicht weiterhin aufzuklären sein."

Doch der Fokus dreht sich jetzt wieder: hin zu der Frage, was die an die Öffentlichkeit gelangten Dokumente genau über den Deal zwischen DFB-Leuten und Diekmann verraten. Das horrende Honorar. Leere Formeln zur angebliche Tätigkeit - und sogar interne und externe Prüfer, die erstaunliche Informationsdefizite beklagten. Und dazu all die Versatzstücke, wonach der Spindoktor Diekmann ein versierter Präsidentenabsäger sein will.

Aber das Dunkel lichtet sich langsam. Und übrigens: Wenn Hinweisgeber mysteriöse Geschäftsabläufe öffentlich machen, hat das mit Hacking oft gar nichts zu tun. Meist sind diese Hinweisgeber einfach: Whistleblower.

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