Hochwasser in Rheinland-Pfalz:"Für eine solche Katastrophe gibt es keine Pläne"

Helfer packen die gelieferten Spenden in gleichgrossen Einheiten auf - Überwältigende Sachspendenaktion der Fluthilfe z

Drei Hallen füllen die Sachspenden, Hunderte Freiwillige sortieren. Auch Gabelstaplerfahrer haben sich in ihrer Freizeit gemeldet.

(Foto: Marc John/imago)

Katastrophenhelfer sammeln sich in einem gewaltigen Hilfslager am Nürburgring: Dort, wo normalerweise Rennen ausgetragen werden, ist nun eine kleine Stadt entstanden.

Von Viktoria Großmann, Nürburg

Den Marschbefehl gibt es an einem kleinen Fenster im Obergeschoss. So wie bei der Essensausgabe. Zettel weisen den Weg durch Treppenhaus und die endlosen Gänge des Gebäudes am Nürburgring. Katastrophenplanung auf DIN-A4. Ohne Marschbefehl verlässt hier keiner das Gelände. Neben dem Fenster ist eine Gebietskarte aufgestellt, vor der sich regelmäßig ein paar Leute zur Lagebesprechung zusammenfinden. In fünf Einsatzabschnitte ist das Gebiet unterteilt. Eine Katastrophen, fünf Abschnitte, etwa 42 000 Opfer - das ist die zu handhabende Dimension für das Hochwasser der Ahr, das in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag vor einer Woche durch das Tal gerollt ist.

Über dem Nürburgring dröhnen Hubschrauber. Oben eine Luftbrücke, weil unten so viele Bücken zerstört sind. Die Helikopter versorgen die Orte mit Trinkwasser-Containern und anderen Hilfsgütern. Zwar können alle Orte wieder auf dem Landweg erreicht werden, jedoch mühsam. Die Bundeswehr ist mit 923 Leuten im Einsatz, baut Behelfsbrücken. Das Technische Hilfswerk (THW) ist mit 1973 Leuten dabei. Zusammen mit Feuerwehr, Polizei, Sanitätern und psychosozialer Notfallversorgung sind 5557 Einsatzkräfte auf dem Nürburgring stationiert. Viele übernachten in improvisierten Lagern. Abgesehen von Polizei und Bundeswehr sind fast nur Ehrenamtliche registriert. Eine kleine Stadt ist hier in nur einer Woche entstanden - mit einem Namen, der die Katastrophe in behördliche Ordnung zwingt: Bereitstellungsraum.

"Wir saßen am Donnerstagvormittag nach der Flut zusammen und haben beraten, was wir tun", erzählt Alexander Gerhardt von der Nürburgring GmbH. Erst mal den ADAC Truck-Grand-Prix absagen, aus Pietätsgründen. Nun werden wohl auf Wochen hinaus Veranstaltungen abgesagt oder verschoben. Statt Rennwagen stehen jetzt Einsatzfahrzeuge von Bundeswehr, THW und Feuerwehr Spalier. Kräne, Leiter oder Pumpen - immerhin auch etwas für Fans.

News Bilder des Tages Bereitstellungsraum zur Hilfeleistung der Opfer der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz vo

Hier ist gerade kein Platz für Rennautos: Bereitstellungsraum heißt die Zentrale am Nürburgring offiziell.

(Foto: Marc John/imago)

Das Rennfahrergelände liegt erhöht im Wald mit Blick auf die Nürburg. Mit seinen Arenen, Parkplätzen, Veranstaltungszentren und Hotels bietet es Helfern und Maschinen, was es im wenige Kilometer entfernten Ahrtal derzeit nicht oder nur provisorisch gibt: Festnetz, Handyempfang, Strom, Wasser und Abwasser. Dazu jede Menge Platz. Ein Foyer, eine Arena und eine Ausstellungshalle wurden gefüllt mit Hilfsgütern: Kleidung, Kinderwagen, Lebensmittel. Alles gespendet, innerhalb eines Tages. Dann gab es einen Annahmestopp. Seither sortieren Hunderte Freiwillige die Gaben, packen Versorgungstüten mit dem Notwendigsten zusammen.

Wie lange all das nötig sein wird? Seufzer und Schulterzucken als Antwort. "Nicht absehbar", sagt ein Pressesprecher der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, kurz ADD Ahrweiler. Sie leitet diesen Einsatz, direkt unterstellt dem Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz. Von hier aus werden Kräfte angefordert und zugeteilt. Je größer der Einsatz, desto höher die Dienstebene.

"Die sind doch überfordert"

Ein Sanitäter irrt durch die Hallen, schimpft ein bisschen. Seit Dienstag sei er da, angereist aus Sonneberg in Thüringen, im Einsatz sei er noch nicht gewesen. "Die sind doch überfordert", sagt er. Viel zu viele Rettungsdienste seien bestellt worden. Der Sprecher von der ADD Ahrweiler, selbst THWler, relativiert: "Wir müssen die Leute vorhalten, damit sie andere ablösen können, die können dann nicht erst am anderen Ende der Republik losfahren, wenn wir sie brauchen." Bis zu 16 Stunden seien einzelne Helfer im Einsatz: Brücken bauen, Straßen räumen, Müll entsorgen. Aber die Einwohner brauchen auch Medikamente, Erste Hilfe, ärztliche Betreuung und Seelsorge - das gilt auch für Helfer selbst.

Nach dem Unwetter in Rheinland-Pfalz

Viele Orte im Ahrtal werden aus der Luft versorgt: Ein Helikopter "NH90" der Bundeswehr fliegt mit Hilfsgütern über den Nürburgring.

(Foto: Philipp von Ditfurth/dpa)

"Wir beim THW haben entschieden, nur erfahrene Kräfte zu schicken", sagt Marcus Fachinger vom Team Medien auf dem Nürburgring. Für die jüngeren, noch unerfahrenen Leute sei der Einsatz möglicherweise zu belastend. Doch auch langjährige Ehrenamtliche haben noch an keinem Einsatz teilgenommen, bei dem so viele Tote geborgen werden mussten. Allein in diesem Landkreis sind 128 Menschen gestorben, 155 werden vermisst.

Bis zu 300 ebenfalls meist ehrenamtliche Mitarbeiter von der Psychosozialen Notversorgung (PSNV) schwärmen vom Nürburgring aus in die Ortschaften, betreuen Helfer und Betroffene. "Einige meckern ein bisschen", sagt einer der Ehrenamtlichen in seiner lila Weste, die die PSNV kennzeichnet - offizielle Presseauskünfte dürfen die einzelnen Mitarbeiter nicht geben -, "aber wir haben in den vergangenen zehn, 15 Jahren viel gelernt und verbessert in der Organisation, sehr vieles läuft gut."

Natürlich gebe es Pläne für Großeinsätze, sagt ein Sprecher vom Katastrophenschutz. Durch Großbrände, Bahn- und Schiffsunglücke in jüngster Zeit habe man gelernt, die Zusammenarbeit der Verbände und Landkreise verbessert, Wartung oder Verteilung von Material professionalisiert. Er blickt über die Reihen der Fahrzeuge, die Zelte, die Kolonnen, die ein- und ausfahren, alle kontrolliert und protokolliert von den Diensten, die sich an den Zufahrten aufgestellt haben. Dann sagt er: "Für eine solche Katastrophe gibt es keine Pläne, das kann man sich nicht ausdenken."

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