Israel:Alte Gräben, neue Brücken

Israel: In Tel Aviv erinnerten am Montag 15 000 Kerzen an den ehemaligen Premierminister Jitzchak Rabin. Er war vor 26 Jahren von einem rechten jüdischen Fanatiker erschossen worden.

In Tel Aviv erinnerten am Montag 15 000 Kerzen an den ehemaligen Premierminister Jitzchak Rabin. Er war vor 26 Jahren von einem rechten jüdischen Fanatiker erschossen worden.

(Foto: Jack Guez/AFP)

Bei den Gedenkfeiern für den ermordeten Premier Jitzchak Rabin betont Regierungschef Bennett den Auftrag zur Versöhnung. Platz für politischen Streit bleibt dennoch genug.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die vielfältigen Gedenkfeiern für den ermordeten Premierminister Jitzchak Rabin sind in Israel seit jeher Anlass zur Selbstvergewisserung in Trauer und Schmerz, aber auch zum Streit und zur politischen Abrechnung. Die Linken weisen den Rechten eine Mitschuld zu am Tod des Friedensnobelpreisträgers, der am 4. November 1995 vom rechten jüdischen Fanatiker Jigal Amir mit drei Schüssen getötet worden war. Die Rechten weisen stets jede Verantwortung von sich und stilisieren sich im Gegenzug zu den neuen Opfern von Rufmord und Aufhetzung.

Doch bei den aktuellen Gedenkveranstaltungen, die nach dem jüdischen Kalender auf den Beginn dieser Woche fielen, waren die alten Fronten plötzlich durcheinandergewirbelt. Schließlich regiert seit dem Sommer eine Koalition, zu der sich Parteien aus dem rechten und dem linken Lager zusammengerauft haben.

Premierminister Naftali Bennett, der dem nationalreligiösen Siedler-Milieu entstammt, nutzte die Gelegenheit, um an den wahren Kern des Gedenkens zu erinnern. "Aus dem Rabin-Mord habe ich die Lektion gelernt, dass unter keinen Umständen und in keiner Situation die Nation auseinandergerissen werden darf", sagte er bei der offiziellen Staatszeremonie auf dem Jerusalemer Herzlberg. "Wir dürfen nicht unser eigenes Haus niederbrennen. Wir sind Brüder."

Mit Blick auf die alten Auseinandersetzungen fügte er noch eine persönliche Note an: Als nach dem Mord an Rabin plötzlich das gesamte nationalreligiöse Lager in Mithaftung genommen worden sei, habe er beschlossen, gerade deshalb seine Kippa wieder zu tragen, die er zwei Jahre zuvor abgelegt hatte. "Ich hoffe, dass die israelische Gesellschaft seit dem Mord nicht nur gelernt hat, wie gefährlich Gewalt ist, sondern auch, dass nicht eine ganze Gruppe beschuldigt werden kann", sagt er. "Nicht die Rechten haben Rabin ermordet und auch nicht die Religiösen. Jigal Amir hat ihn ermordet."

Aufruhr beim Gedenken im Parlament

Bennett selbst allerdings hatte im Zuge seiner Regierungsbildung zu spüren bekommen, dass auch heute sehr schnell wieder ein politisches Klima entstehen kann, das an die Zeiten des Rabin-Mords erinnert. Aufgehetzt von der Likud-Partei unter Bennetts Vorgänger Benjamin Netanjahu hatten Demonstranten die Wohnhäuser von Bennett und anderen aus seiner Partei belagert. Wie einst Rabin waren die rechten Koalitionäre als "Verräter" beschimpft und derartig bedroht worden, dass sie schließlich verstärkten Personenschutz bekamen.

Die weitgehend einträchtige Koalition der rechten und linken Parteien hat also längst noch nicht dazu geführt, alle Gräben in Israels Gesellschaft zuzuschütten. Bennetts Stellvertreter Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei bewertet die aktuellen Auseinandersetzungen jedoch nicht mehr als Kampf zwischen rechts und links, "sondern zwischen denen, die an die Demokratie glauben und jenen, die sie zu zerstören versuchen". Beim Rabin-Gedenken im Parlament sorgte er nun für einigen Aufruhr mit dem Satz: "Jigal Amirs ideologische Erben sitzen heute in der Knesset."

Das zielte in erster Linie auf die weit rechts stehende Partei der religiösen Zionisten. In deren Reihen findet sich zum Beispiel der Abgeordnete Itamar Ben-Gvir, der in jungen Jahren kurz vor dem Mord an Rabin einen berühmt-berüchtigten Auftritt hatte. In eine Kamera hielt er ein vom Dienstwagen des Premiers gestohlenes Teil eines Cadillacs und sagte: "Wir kommen an Rabins Auto ran, wir kommen auch an ihn heran."

Ex-Premier Netanjahu blieb der Gedenkfeier fern

Lapids Vorwurf richtete sich zugleich jedoch an den Mann, der durch ein machttaktisches Manöver vor der Wahl einem Extremisten wie Ben-Gvir erst den Weg in die Knesset geebnet hatte: Benjamin Netanjahu. In insgesamt 15 der 26 Jahre seit Rabins Tod hat Netanjahu den Gedenkfeiern als Regierungschef beigewohnt. Nun ist er abgewählt und fiel gleich damit auf, dass er als erster Oppositionsführer überhaupt der Veranstaltung auf dem Herzlberg fernblieb.

Zur Begründung verwies er darauf, dass er sich dort ohnehin immer nur "falsche und beleidigende Sachen" anhören müsse. Schließlich war Netanjahu zu Rabins Regierungszeit schon einmal Oppositionschef gewesen - und seither wird er mitverantwortlich gemacht für das aufgeheizte politische Klima, das zum Mord geführt hatte.

Nun blieb sein Stuhl unbesetzt bei der staatlichen Gedenkfeier - und Dalia Rabin, die Tochter des ermordeten Premiers, nahm in ihrer Rede die neue Regierung in den Blick. Sie zeige "die Vielfalt der verschiedenen Meinungen", habe aber trotzdem beschlossen, zusammenzuarbeiten. "Wir alle scheinen uns Heilung zu wünschen", sagte sie, "und wir fühlen, dass die Zeit dafür gekommen ist."

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