Dortmunds Niederlage in Amsterdam:Wie ein Totalschaden

Sport Bilder des Tages Amsterdam, Amsterdam Arena, 19.10.21, NL, Herren, UEFA Champions League, Saison 2021-2022, Ajax A

Erling Haaland vergräbt sein Gesicht im Trikot - später, als er sich den Fans in der Kurve nähert, ist er den Tränen offenbar ziemlich nah.

(Foto: Ulrich Hufnagel/Imago)

Das Dortmunder 0:4 in Amsterdam ist schlimmer als die typische Klatsche gegen Bayern - weil Ajax die Qualitäten zeigt, die der BVB gerne für sich beansprucht.

Von Freddie Röckenhaus

In Erling Haalands Gesicht schien die ganze Hilflosigkeit des Abends geschrieben zu sein. Während der Anhang von Ajax Amsterdam in voller Besetzung und mit voll aufgedrehter Lautstärke den Abpfiff eines 4:0-Triumphs abfeierte, stapfte Borussia Dortmunds Norweger auf den finstersten Ort im Stadion zu, auf den kleinen Block mit BVB-Fans. Die wirkten wie versteinert, während ihr Held Haaland offenbar den Tränen ziemlich nah war, und er hilflos mit den überlangen Armen Gesten versuchte, die Verbundenheit ausdrücken wollten. Null zu vier, eigentlich nur ein Fußballergebnis, doch wenn man jung ist, kann man leicht glauben, man sei gerade einem Erdbeben entgangen, aber die Stadt liege in Trümmern.

Auf der Busfahrt von Amsterdam zurück nach Dortmund, 234 Kilometer und zweieinhalb Stunden lang, soll es so still gewesen sein wie lange nicht mehr. Das 0:4 beim größten Champions-League-Gruppenkonkurrenten Ajax ist, statistisch betrachtet, die höchste Niederlage, die der BVB in der Champions League je kassiert hat. Aber noch niederschmetternder war die Art und Weise dieses Untergangs. Blanke Zahlen sagen ja oft nicht alles über den Leistungsunterschied zwischen zwei Mannschaften.

Das Spiel, das Haaland und der Dortmunder 1000-Mann-Anhang erlebt hatten, hatte sich noch viel schlimmer angefühlt als eine typische Klatsche. Auch wenn Haaland selbst zwei-, dreimal hätte treffen können: Es fühlte sich an wie ein Totalschaden. Schlimmer noch als die in den vergangenen Jahren häufigen hohen Niederlagen beim nationalen Rivalen FC Bayern. An einem schlechten Tag vier oder fünf Stück von den Bayern zu kriegen, daran hat sich Dortmunds Fußball-Völkchen gewöhnt, aber gegen den Serienmeister München gelingt meist wenigstens ein großer Kampf. An diesem Abend in der Johan-Cruijff-Arena blieb das Gefühl von Demütigung.

Dortmunds Trainer Marco Rose war nicht zu beneiden, das fußballerische Debakel nachher noch kommentieren zu müssen, weil die lukrativen Verträge mit Fernsehsendern das nun mal so von ihm verlangen. "Unsere Körpersprache war schon nach dem 0:2 so, als lägen wir schon 0:4 zurück", fing Rose seinen wichtigsten Eindruck ein, und es gelang ihm damit ein bemerkenswert guter Satz. Aber damit beschrieb Rose trotzdem nur die Beobachtung.

Die Frage, warum Roses Mannschaft nach zehn guten Anfangsminuten sich derart auseinandernehmen ließ, erklärte das noch nicht. Und erst recht konnte Rose nicht analysieren, warum das beinahe kollektive Verzagen den Dortmundern immer wieder passiert - seit Jahren, in allen möglichen Wettbewerben, egal mit welchem Trainer. Rose steht erst seit ein paar Monaten an der Dortmunder Linie, doch die beim BVB aus gutem Grund so oft beschworene und geforderte "Konstanz" scheint gerade in der Ferne zu verschwinden.

Roses Gegenüber, Ajax-Coach Erik ten Hag, vor Jahren Trainer der zweiten Mannschaft des FC Bayern, konnte da ganz anders sprechen: "Es war ein offener Schlagabtausch, den wir gewonnen haben. Wir haben ein großartiges Spiel gemacht." Ten Hag hatte sich den Überschwang verdient. Seine Mannschaft wirkte nach einer eher abwartenden Anfangsphase fast immer so, als spiele sie in Überzahl, mit einer Klarheit in der Raumaufteilung und einem traumwandlerisch sicheren Zupacken in Zweikampfsituationen. In Ballbesitz führte ten Hags Mannschaft eine Ballsicherheit vor, die man gewöhnlich auch Marco Roses Borussen nachsagen kann - nur halt nicht an diesem Abend, und offenbar generell nicht berechenbar und immer. Amsterdams Spieler wirkten nicht nur im Kopf und auf den Füßen viel schneller, Ajax schien auch den viel klareren Plan zu haben, wie der Gegner zu knacken ist.

Ajax führt genau das auf, was Dortmund immer gerne zu sein glaubt

"Im letzten Drittel haben wir zu viele Fehler gemacht", analysierte Rose dann doch, "das hätten wir oft viel besser ausspielen müssen. Da war zu wenig Bewegung im letzten Drittel, da hat uns Ajax etwas vorgemacht." Dumm nur, dass die Experten dem BVB die mangelnde Präzision und mangelnde Zielstrebigkeit im eigenen Angriff schon seit Wochen vorwerfen. Nur, dass es gegen Gegner wie Augsburg oder Mainz bisher immer gutgegangen war, während Ajax im Prinzip genau das darstellte, was Dortmund immer selbst gerne zu sein glaubt: Ein großartiger Talente-Schuppen, gemischt mit ein paar ebenso großartigen alten Haudegen.

Dortmunds oft gepriesene Jugendlichkeit, mit der sich gewöhnlich die Leistungsabfälle erklären lassen, hat sich an den Spielerpässen an diesem Abend nicht unbedingt ablesen lassen. Marco Reus, 32, hatte zum Beispiel Anteil am Anfang vom Ende, als ihm in der elften Minute eine Flanke im eigenen Strafraum unglücklich, aber doch vermeidbar über den Kopf rutschte, wodurch er den Ball zum 0:1 ins eigene Tor ablenkte. "Das darf mir nicht passieren, ich hab den Ball völlig falsch berechnet", meinte Reus nachher mannhaft und zerknirscht. Für den Rest des Spiels war der Angreifer weitgehend paralysiert gewesen.

Auch der routinierte Mats Hummels, 32, der wegen seiner andauernden Knieprobleme ausgewechselt werden musste, hatte zuvor keinen guten Tag erwischt. Nicht anders erging es Axel Witsel, Emre Can, Thomas Meunier, Nico Schulz - alles gestandene Typen zwischen Mitte 20 und Anfang 30, die ohne größere Gegenwehr im Angriffswirbel von Amsterdam untergingen. Alles in Dortmund nichts Neues, alles schon erlebt. Aber ausgerechnet gegen Ajax so einzugehen, gegen eine Mannschaft also, deren Fußballphilosophie so ähnlich zu sein scheint - das war schon erschütternd.

Erling Haaland, 21, über den sonst meist im Zusammenhang mit Ausstiegsklauseln und windigen Spielerberatern die Rede ist, fand instinktiv seinen Weg zur Schmerzbewältigung. Am Samstag spielt Dortmund bei Arminia Bielefeld. Bis dahin sollten sie alle Komplexe des Abends in Amsterdam verdrängt haben. Denn verdrängen ist alles, was man mitten in einem Dauerlauf von Spielen und englischen Wochen schaffen kann. In knapp zwei Wochen steht schon das Rückspiel gegen Ajax in Dortmund an. Dass der BVB dann mit den Niederländern so wird umspringen können, wie die es ihrerseits mit den Borussen in Amsterdam taten, dürfte ein Wunschtraum bleiben. Platz eins in der Champions-League-Gruppe dürfte verloren sein.

Ab sofort geht es wohl nur noch um Platz zwei, also ums Achtelfinale, im Duell mit Sporting Lissabon. Die Portugiesen gewannen am Dienstag in Istanbul 4:1 - auch keine gute Nachricht für alle Dortmunder.

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