Erkältungswelle in Kitas:Husten, Schnupfen und Heiserkeit sind zurück

Lesezeit: 3 min

Hatschi! Das kindliche Immunsystem braucht Infekte, um trainiert zu werden. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Auffällig viele kleine Kinder sind in München zurzeit krank. Die Arztpraxen arbeiten am Limit, die Kliniken haben kaum noch freie Betten. Das liegt nicht nur, aber auch an der Pandemie.

Von Lea Kramer

Im zweiten Herbst ohne Oktoberfest dachten viele, München würde von der traditionellen Wiesn-Grippewelle verschont. Doch nun zeigt sich: Husten, Schnupfen, Halskratzen - alles ist wieder da. Vor allem in den Kitas und Kindergärten grassieren allerlei Erreger, auffällig viele Kinder sind krank. Die Kinderarztpraxen arbeiten am Limit, und auch die Kliniken sind voll. Es ist eine außergewöhnliche Situation, für die das Coronavirus zwar nicht unmittelbar verantwortlich ist - mit der Pandemie hat das alles aber dennoch zu tun.

"Ich brauche einen PCR-Test für die Schule: Gibt es da noch was außer an der Theresienwiese?", fragt eine Mutter in einer Elterngruppe eines Nachrichtendienstes. Eine andere berichtet von ihrem Krippenkind. Es hat Fieber. Zum dritten Mal seit den Sommerferien. Ein Vater sagt ein Treffen im Schwimmbad ab. Er hat sich bei seinen Kindern angesteckt und liegt im Bett. Schließlich erzählt einer von einem befreundeten Paar mit Säugling, der nach Garmisch verlegt wurde, weil in den Münchner Kinderkliniken kein Platz mehr ist.

"Viele Eltern sind verunsichert, weil ihre Kinder längere Zeit nicht krank waren"

Unterhaltungen dieser Art finden vermutlich öfter statt. Seit September verzeichnet das Robert-Koch-Institut (RKI) bereits einen Anstieg der Atemwegsinfektionen in ganz Deutschland. Das ist früher als in vergangenen Jahren, wo sich viele Viren und Bakterien erst zum Jahreswechsel richtig eingenistet hatten. Vor allem junge Kinder sind in diesem Herbst stark betroffen. Erkältungen, Bronchitis, Rachen- und Mandelentzündungen, aber auch Grippefälle wurden dem RKI zufolge bei ihnen deutlich häufiger diagnostiziert als noch im Vorjahr, als das Institut aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen die wohl schwächste Influenzasaison seit Jahrzehnten erfasste.

Ein Großteil der Säuglinge und Kleinkinder ist demnach mit dem "Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV)" infiziert, ein Atemwegsinfekt, der die Bronchien befällt und Lungenentzündungen auslösen kann. Im vergangenen Jahr blieb vielen eine Infektion erspart, da sich auch andere Keime durch Kontaktreduzierung, Abstandhalten, Lüften und Masketragen gut bremsen lassen. Und so machen jetzt die Jahrgänge 2020 und 2021 gleichzeitig ihre ersten Infekte durch.

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"Viele Eltern sind verunsichert, weil ihre Kinder längere Zeit nicht krank waren", sagt Ludwig Schmid, der in einer Gemeinschaftspraxis in Obersendling arbeitet. In der Regel verliefen die Erkrankungen harmlos, könnten aber einige Wochen andauern. "Viele denken, das Immunsystem der Kinder sei schwach, aber das Gegenteil ist der Fall", sagt er. Das kindliche Immunsystem brauche die Infekte, um trainiert zu werden. "Trainieren: Das tut es gerade." Nur eben ein paar Monate früher als sonst, wo sich die Praxen erst im Dezember füllten.

15 bis 20 Infekte pro Jahr seien normal

"Bei den Null- bis Vierjährigen sind derzeit über 20 Prozent der Altersgruppe an Atemwegsinfekten erkrankt, dies entspricht einer Inzidenz von über 20 000 für normale Atemwegsinfekte", sagt der Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Bayern (BVKJ) Michael Hubmann. Er unterstützt einen Vorstoß des Bayerischen Familienministeriums, der verschnupften Kita-Kindern ab sofort den Besuch von Krippe und Kindergarten mit negativem Schnelltestergebnis von zu Hause ermöglichen soll. Bislang musste ein PCR- oder PoC-Antigen-Schnelltest vorgelegt werden, damit ein Kind mit leichten Krankheitssymptomen betreut werden durfte.

Das soll die Pädiater entlasten. "Die Praxen werden geflutet von Anfragen und Patienten. Es ist kaum auszuhalten", sagt Gabi Haus, Vorsitzende des PaedNetz München, einem Zusammenschluss von gut 100 Münchner Kinder- und Jugendarztpraxen. Die Kinderärztin hat eine Praxis am Candidplatz in Untergiesing. Dort seien in den vergangenen Wochen wieder häufiger Kinder mit banalen Infekten vorgestellt worden, da Eltern für Kindergarten, Krippe, Schule oder Arbeitgeber Atteste brauchten. "Zettelitis", nennt sie das, die die Ärzte und Ärztinnen unnötig aufhalte. "Wir müssen ganz stark triagieren. Das trifft manche dann härter", sagt sie, also Kinder nach dem Grad der Krankheit priorisieren und nicht danach, wie lange sie schon warten.

Das führe zu Unmut, beim Personal und den Patienten. 15 bis 20 Infekte pro Jahr, das sei bei kleinen Kindern normal, sagt Ärztin Haus. Eltern rät sie zu Geduld: "Wenn ein Husten nach zwei Tagen nicht weg ist und keine gefährlichen Symptome wie Fieber dazukommen, braucht man nicht zum Arzt gehen", sagt sie und schiebt noch eine Forderung an die Politik nach: "Der ganze Ballast muss weg." Sämtliche Regeln sollten im Zusammenspiel betrachtet und dann rechtzeitig kommuniziert werden. Die Pandemie werde alle noch eine Zeit lang begleiten. Und: "Ich kenne keinen Kollegen, der dasitzt und nichts zu tun hat."

In den Münchner Kliniken schlägt sich das ebenfalls nieder. Dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zufolge haben fast alle Kinderkliniken nur noch begrenzte Kapazitäten oder gar keine freien Intensivbetten mehr gemeldet. Die Statistik ändert sich täglich, Betten werden frei, Patienten entlassen oder verlegt. Schon vor Corona waren die Krankenhäuser in den Wintermonaten oft so voll, dass kleine Patienten abgewiesen werden mussten. Deshalb startet das Bettenabtelefonieren heuer schon im Oktober.

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