Klassik:"Salome" reloaded

Klassik: Endlich eine, die Strauss' Vorstellungen genügte: Maria Rajdl 1930 in Dresden als Salome.

Endlich eine, die Strauss' Vorstellungen genügte: Maria Rajdl 1930 in Dresden als Salome.

(Foto: Ursula Richter)

Die Oper "Salome" von Richard Strauss ist weltberühmt. Jetzt sind gleich zwei veränderte Fassungen dieser Erotik- und Mord-Oper ediert worden. Sie könnten die Aufführungsgeschichte verändern.

Von Michael Stallknecht

Vor allem zwei Sängerinnen sind es, die in den vergangenen Jahren in der Rolle der Salome in Richard Strauss' gleichnamiger Oper international beachtete Triumphe gefeiert haben: Asmik Grigorian, der in der hinreißend verrätselten Inszenierung von Romeo Castellucci bei den Salzburger Festspielen des Jahres 2018 der endgültige Durchbruch gelang. Und Marlis Petersen, die die Partie unter anderem an der Bayerischen Staatsoper und am Theater an der Wien gesungen hat. Beide Sopranistinnen betonen jeweils unterschiedliche Facetten der judäischen Prinzessin, die als Gegengabe für einen Tanz vor ihrem Stiefvater Herodes den abgeschlagenen Kopf Johannes des Täufers fordert. Eines aber haben sie gemeinsam: Weder stimmlich noch körperlich entsprechen beide dem Typ der hochdramatischen Sopranistinnen, die die Rolle bislang zu ihrem Kernrepertoire rechnen durften.

Dass sie damit den Intentionen des Komponisten näherkommen, belegt nun der jüngste Band der kritischen Gesamtausgabe von Strauss' Werken, die seit 2011 an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität entsteht. Dort hat die Musikwissenschaftlerin Claudia Heine erstmals die Retouchen veröffentlicht, die Strauss selbst für eine Aufführung der "Salome" im Jahr 1930 an der Dresdner Semperoper gesetzt hat, also an jenem Haus, das die Oper bereits fünfundzwanzig Jahre zuvor zur skandalumwitterten Uraufführung gebracht hatte. Der Komponist, der damit endgültig zu europaweiter Berühmtheit avanciert war, hatte die Partitur seinerzeit für ein riesiges Orchester entworfen, das das Normensprengende in der Schauspielvorlage von Oscar Wilde auch klanglich zum Ereignis werden ließ. Um einem solchen Orchester standzuhalten, brauchte er für die Titelfigur freilich eine extrem großkalibrige Stimme, wie sie etwa in den Musikdramen Richard Wagners zum Einsatz kommt.

Was Strauss vorschwebte, war ein möglichst unschuldig wirkender Teenager voller erotischem Begehren

Das Ergebnis war die "16-jährige Prinzessin mit der Isoldenstimme (so etwas schreibt man halt nicht, Herr Strauss: entweder - oder)", wie der Komponist selbstkritisch im Alter notieren sollte. Denn hochdramatische Stimmen brauchen nicht nur viel Zeit bis zu ihrer Reife, ihre Besitzerinnen entsprachen auch so gar nicht Strauss' optischen Vorstellungen der Titelfigur. Was ihm dagegen vorschwebte, war ein möglichst unschuldig wirkender Teenager, dem in einer Gesellschaft ohne moralische Maßstäbe das gerade erwachende erotische Begehren entgleitet. Das vergrößert letztlich nicht nur die Schockwirkung der Handlung, sondern birgt auch die unfreiwillige Komik, die in traditionellen Inszenierungen bis in die jüngste Zeit zu erleben war: dass eine gestandene Sopranheroine für den "Tanz der sieben Schleier" plötzlich von einer grazilen jungen Tänzerin ersetzt wird.

Für die Dresdner Wiederaufnahme des Jahres 1930 fand Strauss in Maria Rajdl endlich die Darstellerin, die er schon lange gesucht hatte: eine lyrische Sopranistin mit leichter, jugendlich wirkender Höhe, die sogar selber tanzen konnte, "vornehm und stilvoll", wie der Komponist wollte. Dafür aber musste er im Orchester kräftig den in der Dresdner Partitur bis heute sichtbaren grünen Buntstift ansetzen. Wie man in der Neuedition erkennen kann, kassierte er vor allem Stimmverdopplungen bei den Bläsern, änderte also nichts an der motivischen Substanz, reduzierte aber deutlich den Klangballast. Der entschiedenste Strich betrifft dreißig Takte in Salomes umfangreichem Schlussgesang, um die Ausdauer einer lyrischen Stimme nicht zu sehr zu strapazieren. Daneben hat Claudia Heine in der Dresdner Partitur weitere rein dynamische Retouchen entdeckt, die demselben Ziel dienen, sich aber nicht mehr klar dem Komponisten zuordnen lassen: Orchestersteigerungen verharren länger im Piano, um dann rascher, aber kürzer ins Forte zu explodieren. Für seine Neuproduktion mit Marlis Petersen 2019 an der Bayerischen Staatsoper, sagt Heine, habe der Dirigent Kirill Petrenko das Material bereits intensiv studiert, die Aufführung wirkte in der Tat weniger klanglastig.

Das Interesse von Theatern an der schlankeren Version sei bereits "vielfältig vorhanden"

Dabei dürfte die eingedampfte Fassung in München in den Dreißigerjahren bereits erklungen sein, jedenfalls fanden sich die Retouchen im Orchestermaterial des Hauses. Wie Heine in einer wahren "Detektivarbeit" in der Korrespondenz des Komponisten herausgefunden hat, verbreitete Strauss die Neufassung nämlich mit einiger Energie. Er ließ seinen Verlag eine heute verlorene Musterpartitur erstellen, die er vielen Theatern empfahl. So dürfte "Salome" auch in Wien, Berlin, Stuttgart, Frankfurt oder Mannheim damals deutlich schlanker geklungen haben. Dass die Retouchen später verschwanden, sieht Heine in den Wirren des Zweiten Weltkriegs begründet, aber auch durch den Tod des Komponisten im Jahr 1949, der die Jugendversion endgültig kanonisch werden ließ. Im frisch gedruckten Stimmenmaterial des Schott-Verlags, der mit der neuen Gesamtausgabe kooperiert, sind sie nun wieder vermerkt. Interesse von Theatern, sagt Heine, sei bereits "vielfältig vorhanden".

Sogar auf Französisch: Im gleichen Band hat Heine auch noch eine Variante der Oper publiziert, bei der Strauss die Gesangslinien für Aufführungen im französischsprachigen Raum den Worten Oscar Wildes angepasst hat. Im Gegensatz zu den Dresdner Retouchen war diese "Salome" niemals ganz vergessen, weil im Brüsseler Théâtre de la Monnaie der Klavierauszug der Uraufführung von 1907 erhalten blieb. Bereits vor dreißig Jahren hat sich die Oper in Lyon an eine Wiederaufführung gewagt, bislang fehlte allerdings eine Partitur. Das wahrscheinlich einzig greifbare Exemplar haben die findigen Münchner Forscher in der Library of Congress in Washington aufgetrieben, wo selbst die Bibliothekare nichts mehr davon wussten. Gut möglich, dass die Rezeptionsgeschichte von Strauss' Jugendsünde in den kommenden Jahren einige neue Wendungen nimmt.

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