Ultras in der Bundesliga:Stimmung nur in jedem zweiten Stadion

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Etwas verloren: Dortmunder Fans im DFB-Pokal gegen Ingolstadt. (Foto: David Inderlied/dpa)

Die Vereine dürfen wieder die Arenen mit Fans füllen, auch die Stehplätze sind wieder offen. Etwa die Hälfte der Ultragruppen bleibt aber trotzdem noch fern. Ein Stimmungsbild aus der Szene.

Von Ron Ulrich

Im Ruhrgebiet, so lautet ein alter Spruch, muss man nur das Flutlicht anknipsen, um die Lampen zu prüfen - und schon kommen mehr als 20 000 Fans. Bei Borussia Dortmund haben sie am Dienstagabend das Flutlicht angeknipst und tatsächlich sind 25 000 Fans gekommen. Der Verein prüfte allerdings nicht die Lampen, sondern empfing in der zweiten Runde des DFB-Pokals den FC Ingolstadt. Da wirkten die Besucher im 81 000 Zuschauer fassenden Rund dann doch etwas verloren.

Nun bewegt Zweitligaschlusslicht Ingolstadt nicht gerade dazu, dass Anhänger die Feier der eigenen Silberhochzeit sausen lassen. Wohl aber taugt die Absenz der Massen im Dortmunder Westfalenstadion zum Abbild der Situation in manchen deutschen Stadien.

Im Frankfurter Waldstadion beispielsweise, einem anderen für seine elektrisierende Atmosphäre bekannten Ort, sollten zum Heimspiel gegen Hertha BSC wieder 40 000 Fans kommen. Doch der Ansturm auf die Tickets blieb aus, am Ende fanden sich knapp über 30 000 ein. Sowohl in Dortmund als auch in Frankfurt bleiben auch die Ultragruppen fern - und nicht wenige Beobachter sehen dabei einen kausalen Zusammenhang.

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Sogar beim BVB kommen nur wenige Fans

Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann sagte in einem Interview mit der VRM-Verlagsgruppe unlängst zur Frage, wie man die durch die Pandemie abtrünnigen Fans wieder zurückgewinne: "Wir brauchen noch einige wenige Voraussetzungen, um den emotionalen Reaktor bei Eintracht Frankfurt wieder voll anwerfen zu können." Hellmann sprach von einem Impuls, der sich aus der Gesamtsituation ergebe. "Für mich wird das der Zeitpunkt sein, an dem die aktive Fanszene zurückkehren wird."

In etwa der Hälfte der Stadien in erster und zweiter Bundesliga meldeten sich die Szenen bereits zurück - doch auch in diesem Punkt scheint Deutschland der viel beschworene "Flickenteppich" zu sein. Die Ultras pflegen keine einheitliche Linie wie bei anderen Themen, für Pyrotechnik oder gegen Dietmar Hopp etwa.

Spricht man mit ihnen, wollen sie wie so häufig nicht namentlich zitiert werden. Doch oft fällt der Satz, dass die Impfquote innerhalb der Gruppen höher als in der Bevölkerung sei. Und dennoch würde die Begrenzung auf 2G, für Geimpfte und Genesene, eben Mitglieder ausschließen. Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte und ein langjähriger Kenner der Stadionkultur, sagt: "In Ultragruppen hat die Solidarität eine zentrale Bedeutung. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Slogan ,alle oder keiner'."

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Die Dortmunder kritisieren das Datensammeln, die Frankfurter die Maskenpflicht

Die Ultras kritisieren bei den jeweiligen Maßnahmen vor Ort auch die Maskenpflicht oder die Datenkontrolle. Die Kontaktverfolgung in der Pandemiezeit sei nachvollziehbar, meint ein Ultra. "Doch wer sagt mir denn, dass nicht die Büchse der Pandora geöffnet wird und die Vereine auch danach die persönlichen Daten sammeln?!" Die Dortmunder Gruppe "The Unity" monierte ihrerseits die Beschränkung auf nur die Hälfte der Stehplätze. Die "Ultras Frankfurt" nannten die Maskenpflicht "inakzeptabel und illusorisch". Die Bild titelte: "Ultras lassen Mannschaft im Stich."

Daraus entwickelte sich eine Diskussion mit einer ironischen Note: Ultras verwehren sich gegen den Event-Charakter des Sports; sie wurden nun aber vielerorts als schmückendes Beiwerk der Party mit Support, Fahnen und Choreografien nahezu eingefordert. Diese Ansicht hat schon Uli Hoeneß in den formschönen Satz gegossen: "Eure scheiß Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich."

Der Boulevard und andere Gegner der Ultras pochen zudem darauf, dass die Stimmung ohne die Verantwortung der Ultras viel authentischer und spielbezogener daherkomme. "Endlich kein Dauersingsang", so drücken es manche Stadiongänger im Netz aus. Michael Gabriel kennt diese Vorwürfe: "Ja, die Anfeuerung ist deutlich spielbezogener. Das wird mancherorts genutzt, um den altbekannten Konflikt zwischen den eher traditionellen Fans und dem Dauersupport der Ultras wieder zu beleben."

Zumindest ein Teil der Kicker schien die Rückkehr der Ultras herbeizusehnen. In Mönchengladbach und an anderen Standorten hatten Führungsspieler in Treffen mit den Gruppen diesen Wunsch hinterlegt. Beim famosen 5:0 gegen die Bayern im Pokal feierten Ultras und alle anderen der 48 000 Borussen gemeinsam einen Fußballabend, als hätte es die Zeit der viel zitierten Geisterspiele nie gegeben - ähnlich lief es in Bochum und Gelsenkirchen. Michael Gabriel spricht von einer steigenden Tendenz bei der Rückkehr der Ultras. Wird also alles wieder wie zuvor?

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In der Bundesliga wirkt es zumindest so, als könnten die Stadien zu Highlight-Spielen voll werden, das Interesse im Alltag aber stark abebben. In Wolfsburg hätten beim Spiel gegen Freiburg 30 000 Zuschauer Platz gefunden, nur ein Drittel kam. Auch Stuttgart blieb auf etlichen Tickets sitzen. Die Zurückhaltung muss nicht nur mit den Ultras zusammenhängen, wohl aber mit der langen Zeit der Geisterspiele. Das Fansein gründet schließlich auch auf der irrationalen Annahme, das Team zum Sieg gebrüllt zu haben, von den Spielern gebraucht zu werden. Nach über einem Jahr ohne Zuschauer sendete der Profibetrieb allerdings ungewollt die subtile, aber deutliche Botschaft: "Wir können es auch ohne euch durchziehen!"

Hinzu kamen die Debatten über die Rolle des Fußballs in der Pandemie, der eine Vorzugsbehandlung genoss, Demut versprach - und manche Klubs dann doch wieder Abermillionen für Ablösesummen ausgaben, um nur einen Kritikpunkt der Fans zu benennen. Die Bayern-Ultras zeigten am Wochenende ein Transparent mit der Aufschrift: "Demut und Reformen in der Pandemie versprochen - bis jetzt nur heiße Luft und Heuchelei."

Und so könnte mancher Fan zu der überraschenden Erkenntnis gelangt sein, dass er seine Wochenenden durchaus auch ohne den Stadionbesuch verbringen kann. Zur Not sogar mit der eigenen, mit der echten Familie.

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