Brauchtum:Der Advent in Zeiten von Corona

Buttnmandllauf in Bischofswiesen, 2018

Beim Buttenmandllauf in Bischofswiesen (Landkreis Berchtesgadener Land) führt meist ein Nikolaus eine Gruppe sogenannter Buttnmandl an, die von Gankerl begleitet werden - Schreck- oder Teufelsgestalten, die in Felle gekleidet sind und die unartigen Kinder bestrafen.

(Foto: Sebastian Beck)

Die Vorweihnachtszeit spiegelt den Wandel der Gesellschaft und ihrer Werte und Normen idealtypisch wider - erst recht im aktuellen Krisenfall.

Von Hans Kratzer

Der Adventsbeginn erfüllt in diesem Jahr zumindest wettermäßig die üblichen Erwartungen. Es ist düster, es schneit, man ist froh, am warmen Ofen zu sitzen. Wegen der Corona-Krise könnte im ganzen Land schon bald wieder jene Ruhe einkehren, die früher um diese Zeit obligatorisch war. Auf den Höfen ruhte die Arbeit, das öffentliche Leben war weitgehend heruntergedimmt. Der Advent war damit vor allem geprägt vom Spannungsfeld zwischen Hell und Dunkel, zwischen Gut und Böse.

Saint Nicholas visits the family and asks the child if it was a good one and he can give nuts to him / Der heilige Nikol

Besuch des Nikolaus und des Krampus bei einer Familie. Reproduktion einer Originalvorlage aus dem 19. Jahrhundert.

(Foto: H.Tschanz-Hofmann /Imago Images)

Dieses Phänomen äußert sich auch darin, dass den großen Heiligen der Adventszeit - Nikolaus, Lucia, Thomas - jeweils finstere Figuren zur Seite stehen, die sich in ihrer Existenz mancherorts bis heute behaupten konnten. Sie heißen Knecht Ruprecht, Krampus, schiache Luz und blutiger Dammerl und verkörpern das Böse und Finstere. Die amerikanische Filmindustrie huldigte dem Krampus 2015 sogar mit einem eigenen Kinostreifen.

Freilich raubt die Absage der Weihnachts- und Christkindlmärkte dem Advent auch in diesem Jahr wieder einen Teil seiner Attraktivität. So denken viele. Die einst so stillen Tage der Vorweihnachtszeit sind ja mit dem wachsenden Wohlstand ziemlich schrill und laut geworden. Mit dem Advent gingen alsbald Glühweinstände, Weihnachtsmänner und Kommerzgeglitzer einher, wodurch nicht nur all die Geister und Dämonen verdrängt wurden, die einst nach altem Volksglauben den Adventshimmel bevölkerten, sondern auch traditionelle Brauchformen wie das Klopfergehen, ein Heischebrauch, bei dem sich verkleidete Kinder einst ein paar Süßigkeiten oder Obst erbettelten.

Auch Michael Ritter, Brauchtumsexperte vom Landesverein für Heimatpflege, registriert einen starken Wandel des Adventsbrauchtums, der sich durch die Corona-Krise weiter zuspitzen könnte. Dadurch, dass viele Märkte, Adventssingen und Veranstaltungen ausfallen, bestehe die Gefahr, im Gleichmaß zu versinken, sagt er. "Es schwindet das Gefühl, das man mit dieser Zeit verbindet. Die Rhythmisierung geht verloren." Früher bildete der Advent einen Höhepunkt im Jahreslauf, Leben und Arbeit waren weitgehend von den christlichen Festtagen geprägt. Jetzt gehe dieses kommunikative Element verloren, das Gefühl der Zusammengehörigkeit. "Bräuche sind ein gesellschaftlicher Kitt", sagt Ritter.

Aber noch ist nicht alles verloren. Ungebrochener Beliebtheit erfreuen sich zum Beispiel die Adventskalender, die seit dem 19. Jahrhundert zum Brauchtum gehören und heute in unterschiedlichen Ausformungen zu haben sind. Der Landesverein für Heimatpflege bietet jeden Tag im Advent auf der Internet-Seite www.volksmusik-magazin.de ein Türchen mit Volksmusik an. "Das ist unser kleiner Beitrag gegen Pandemie-Depressionen und ein Ersatz für ausfallende Adventssingen", sagt Elmar Walter, der Leiter der Abteilung Volksmusik beim Landesverein.

Bruck: Luzienhäuslschwimmen auf der Amper; .

Luciahäuslschwimmen auf der Amper in Fürstenfeldbruck.

(Foto: Johannes Simon)

Die Brauchtumsexpertin Dorothea Steinbacher sorgt sich um das lokale Brauchtum. Auch sie sieht immer mehr Elemente verschwinden, sogar Traditionen wie die Sebastianiwallfahrt in Ebersberg. Diese sei bis 2014 von einem Markt begleitet gewesen, dann sei der Brauch erloschen. Die Klöpfelgeher hatten keine Zukunft mehr, als der ursprüngliche Sinn verloren ging. Andererseits, sagt Steinbacher, stelle sie in der Pandemie ein wachsendes Interesse an solchen Themen fest.

Soeben hat sie ein Buch veröffentlicht, in dem sie sich mit den Bräuchen und Legenden der Winterzeit befasst ("Wenn's draußen finster wird", Kösel Verlag). Darin schildert sie den Reigen des Brauchtums von Allerheiligen, den Beginn der dunklen Zeit, bis Mariä Lichtmess (2.Februar). Darunter auch den noch lebendigen Brauch des Luciahäuslschwimmens am Lucia-Tag (13. Dezember). Steinbacher erinnert sich gut an die Mystik früherer Kindertage. "In den Raunächten durfte man keinen Lärm machen und vermied allzu viel Unruhe, Reisen, Hektik", sagt die Chiemgauerin. Unvergessen ist für sie die aufregende letzte Raunacht vor Dreikönig, als das Rauchfass mit dem Weihrauch geschwenkt wurde, um Haus und Stall immun gegen böse Geister zu machen. "Man fühlte sich wie in einer anderen Welt. Allein schon die gruseligen Schatten, die unsere Laternen warfen."

Den Adventskranz aus selbst geschnittenen Zweigen in der Stube zu binden, am 4. Dezember Barbarazweige in die Vase zu setzen, damit sie an Weihnachten blühen, in der Stube dem Treiben der Unholde am nächtlichen Himmel zu lauschen, solche Urerfahrungen machen die meisten Kinder heute nicht mehr. Das Wissen um den Sinn der Bräuche und den Ursprung vieler Rituale ist verloren gegangen, weil es nicht mehr wichtig ist. Vor dem Internet-Zeitalter verlieh das Brauchtum dem Alltag Struktur, es gab dem Leben Halt. Dabei ist es nicht so, dass der Christbaum ein uraltes Brauchtum wäre. In Bayern ist er erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts heimisch geworden. Der Adventskranz als häuslicher Brauch setzte sich hierzulande sogar erst nach dem Krieg durch.

"Der Advent besteht trotzdem immer noch aus der Summe vieler solcher Elemente", sagt Michael Ritter. Man müsse sich dabei stets bewusst machen, dass Brauchtum nichts Statisches sei, sondern dass es sich ständig verändere. Dabei komme es eben auch zur Verdrehung alter Bräuche. Wurde der Christbaum einst an Weihnachten aufgestellt, um im äußersten Fall bis Mariä Lichtmess (2. Februar) stehen zu bleiben, erhellt er heute Gärten und Kaufhäuser bereits nach Allerheiligen (1. November), um dann gleich nach Weihnachten entsorgt zu werden. Das Brauchtum ändert sich umso schneller, je heftiger es von Kommerz und Zeitgeist bedrängt wird.

Brauchtum: Nichts ist mehr unmöglich: Dackel-Souvenir als moderner Christbaumschmuck.

Nichts ist mehr unmöglich: Dackel-Souvenir als moderner Christbaumschmuck.

(Foto: Catherina Hess)

Dass Weihnachtsmänner dem Nikolaus Konkurrenz machen, dass Christbäume bereits im Advent leuchten und schrill behängt werden, das passt manchen Brauchtums-Puristen ganz und gar nicht. Den Landesverein erreichen ständig Forderungen, er solle doch gegen solche Auswüchse einschreiten. "Das ist aber nicht unsere Aufgabe", sagt Ritter. "Wir haben eine freiheitliche Demokratie. Seien wir doch froh, dass es keine Brauchpolizei und keine Zensur gibt. Letztlich kommt es auf jeden selber an, was ihm wichtig ist und was er daraus macht."

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